Film „Tafiti – Ab durch die Wüste“: Ein Erdmännchen gegen Rassismus
Eine Coming-of-Age-Geschichte für Minis: Der Animationsfilm „Tafiti – Ab durch die Wüste“ übersetzt das Kinderbuch von Julia Boehme überzeugend.
Tafiti begibt sich bei der Suche nach einer blauen Blume auf eine Heldenreise. Da wird tief in die Kulturgeschichte eingetaucht: Die blaue Blume ist eins der Kernsymbole der Romantik und die Heldenreise eins der ältesten, allgegenwärtigen Erzählmuster. Schon sind wir bei Vorbildern wie Novalis und Odysseus. Aber Tafiti ist ein Erdmännchen und der Held eines animierten Kinderfilms.
Und zwar ein Kinderfilm für die ganz Kleinen. Zehnjährige werden diese Geschichte mit niedlichen Tierchen, die komische Abenteuer erleben, schon nicht mehr cool finden, aber die Filmemacher*innen haben sich genau überlegt, was sie hier mit welchen Stilmitteln erzählen wollen. So fehlt auch ein Furzgag nicht, denn kleine Kinder lieben es, über Körperfunktionen zu lachen. Die Abenteuer wiederum sind nicht zu gefährlich, die Spannungsbögen kurz – und die Filmfiguren entweder liebenswert oder Schurken, die sich ständig lächerlich machen.
Die Geschichte ist gut konstruiert, und mit dem jungen Tafiti, der seinen Platz in der Welt noch nicht gefunden hat, gibt es eine ideale Identifikationsfigur. Tafiti ist der Held einer erfolgreichen Kinderbuchreihe, die von der in Bremen geborenen Julia Boehme geschrieben und von Julia Ginsbach illustriert wurde. Beide haben bei der Buchvorlage des Films zusammengearbeitet. Ihr Vorlesebuch „Tafiti – Ab durch die Wüste“ (ab 5 Jahre) ist gerade vor ein paar Wochen erschienen.
Erzählt wird darin von einer Erdmännchen-Familie, die glücklich und sicher in der „splendid isolation“ einer komfortablen Wohnhöhle lebt. Der Patriarch trichtert seinen vielen Nachkommen ständig ein, dass alle anderen Tiere Feinde sind, von denen sich ein Erdmännchen fernhalten sollte. Doch dann trifft der neugierige Tafiti ein Pinselohrschwein mit dem Namen Pinsel (alias Mr Piggy), der alles ins Chaos stürzt, sodass Papa Erdschwein von einer Schlange gebissen wird und mit dem Tode ringt. Nur die Blüte der blauen Blume kann ihn retten, aber die gibt es wohl gar nicht. Und wenn doch, dann kann man sie nur in den fernen Bergen hinter der riesigen Wüste finden, die noch kein Erdmännchen und erst recht kein Pinselohrschwein je durchqueren konnte.
Pinsel ist der typische tollpatschige Begleiter eines klassischen Helden: der Sam Hawkens von Old Shatterhand, der Hund Toto von Dorothy auf der Reise nach Oz oder das Roboterpärchen aus „Star Wars“. Er macht alles falsch, aber welches Kind hätte nicht gern solch einen treuen, guten Freund?
Im Laufe der Reise merkt Tafiti, dass sein Vater unrecht hat, weil er diesem Schwein vertrauen kann. Später schließt er auch noch Freundschaft mit einer Kleinfamilie von Pelikanen (die allerdings als Fischfresser in der Wüste gar nichts verloren haben) und entwickelt sich zu einem kontaktfreudigen, empathischen Tier. Im Grunde ist ja jede Coming-of-Age-Geschichte eine Heldenreise.
Animiert wurde „Tafiti – Ab durch die Wüste“ unter der Regie von Nina Wels und dem „Animation Director“ Timo Berg in einem klaren, sehr plastischen Stil. Die Landschaften, durch die Tafiti und Pinsel wandern, wurden fotorealistisch am Computer gebaut.
Auch die Tiere sind realistisch, also zoologisch und anatomisch korrekt, gestaltet. Aufrecht stehen können deshalb nur die Erdmännchen und das Pinselohrschwein nennt „Tafiti“ dann auch in einem Onliner, den allerdings nur die erwachsenen Zuschauer*innen komisch finden werden, einen „stand up artist“. Interessant ist auch, dass nur Tafiti mit einem roten Halstuch ein Kleidungsstück trägt, also ein wenig menschenähnlicher als die anderen Filmfiguren wirken soll.
„Tafiti – Ab durch die Wüste“, Regie: Nina Weiß und Timo Berg, Deutschland 2025, 80 Minuten
Menschlich wirken die Tiere vor allem durch ihr Minenspiel. Auf dieser Ebene ist die Animation auf einem sehr hohen, internationalen Niveau. Freude, Trauer, Wut, Verlegenheit, Scham, Angst, Bosheit und Verliebtheit machen die Gesichter der Tiere lebendig und dabei werden diese Gefühle erstaunlich nuanciert und komplex ausgedrückt.
Einfallsreich ist auch die Filmmusik von Carsten Rocker, der viel mit Zitaten arbeitet. Da erklingen bei Tafitis ersten Schritten in die Wüste ein paar Klänge, die an „Lawrence von Arabien“ erinnern. Und wenn Schakale vom Saft einer Melone in einen Drogenrausch versetzt werden, hört man eine psychedelische E-Gitarre. Wenn sich eine winzige Elefantenspitzmaus und eine riesige Elefanten-Dame ineinander verlieben, schmettert ein italienischer Tenor eine Arie. Wie bei allen guten Familienfilmen gibt es also eine Ebene, auf der auch Erwachsene ihren Spaß an diesem Film haben können.
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