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Wie die Türkei auf Deutschland blicktMein Onkel räumt das Zimmer frei

In der Türkei gibt es viele positive Vorurteile über Deutschland. Aber der sonst herumalbernde Onkel unserer Kolumnistin macht sich ernsthafte Sorgen.

In der Türkei steigen die Preise täglich, und viele Leute können sich nicht mal mehr Grundnahrungsmittel leisten Foto: John Wreford/SOPA/imago

I n der Türkei gibt es einige Begriffe und Eigenheiten, die ihren Ursprung in Deutschland haben. Neben der „deutschen Rechnung“ – jeder bezahlt getrennt, was in der Türkei eher unüblich ist – sagt man auch oft „deutsche Pünktlichkeit“, wenn jemand besonders zuverlässig ist. Und wenn ein Geschäft pünktlich um eine bestimmte Uhrzeit schließt, hört man manchmal scherzhaft: „Das ist wie in Deutschland.“ Diese kleinen Details zeigen, wie stark Deutschland in der türkischen Wahrnehmung verankert ist.

Neulich telefonierte ich mit meinem Onkel aus Istanbul. Schon beim ersten Lachen wusste ich, dass er wohl eine seiner ironischen Fragen stellen würde. Tatsächlich: „Und, wann wirst du jetzt eigentlich abgeschoben?“ Natürlich meinte er es als Spaß. Aber die aktuelle politische Lage in Deutschland bereitet ihm hörbar Sorgen.

In den türkischen Medien lese und höre man zunehmend von rechtsextremen Netzwerken in Deutschland, die sogar über Massenabschiebungen nachdenken. „Glaubst du, das ist nur Gerede für den Wahlkampf oder muss man sich wirklich Sorgen machen?“, fragt er plötzlich ernster.

Er bewundert Deutschland nach wie vor – die wirtschaftliche Stabilität, das Sozialsystem, die Ordnung. Aber er nimmt auch die Spannungen wahr. Er hat selbst in Deutschland gelebt, bis er sich aus privaten Gründen entschied, wieder zurück nach Istanbul zu gehen.

„Deutschland gibt sich gerne als Vorbild für Demokratie“, sagt er, „aber was passiert, wenn eine Partei wie die AfD wirklich an die Macht kommt? Dann stellt ihr vielleicht Statuen von Alice Weidel oder hängt Bilder von Hitler auf? Stell dir mal vor!“ Er lacht wieder.

Dann wechselt er das Thema. „Na ja, so viel besser ist es bei uns nicht“, meint er. „Die Preise steigen täglich, und viele Leute können sich nicht mal mehr Grundnahrungsmittel leisten.“ Die wirtschaftliche Krise in der Türkei ist allgegenwärtig – hohe Arbeitslosigkeit, schwächelnde Lira, steigende Mieten. „Früher konnten wir uns noch ein halbwegs gutes Leben aufbauen“, sagt er.

Auch die politische Lage in der Türkei ist angespannt. „Du kannst hier nicht einfach alles sagen, was du denkst“, erklärt er. Gleichzeitig verstehe er die Doppelmoral westlicher Länder nicht: „Deutschland kritisiert ständig die türkische Regierung, aber sie arbeiten trotzdem mit ihr zusammen, wenn es ihnen passt.“

Mein Onkel hofft, dass Deutschland stabil bleibt – für alle und für ganz Europa: „Sie haben die Nazis hervorgebracht, ja,“ und dann muss er wieder lachen, „aber sie haben auch die Antifa hervorgebracht! Das darf man nicht vergessen.“ Einen Tipp hat er noch für mich: „Ich hoffe, du wählst die Linken, die scheinen die einzig Stabilen zu sein.“

Mein Onkel scherzt sehr gern, aber dieses Mal bleibt am Ende eine gewisse Ernsthaftigkeit zurück. „Also“, sagt er, „soll ich dein Zimmer schon mal frei räumen, falls es bei euch eng wird?“ Ich lache. Aber ich frage mich: Ist es wirklich so abwegig?

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Derya Türkmen
Ist seit Oktober 2023 bei der taz, schreibt am liebsten über Gesellschaftthemen, Filmpolitik, Migration und die türkische Diaspora in Deutschland. Hat TV- und Filmproduktion in Hamburg, Angewandte Medien in Mittweida studiert, sowie Asian Cinema und TV-Broadcast in Ayr/Schottland.
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15 Kommentare

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  • Schade, dass die Autorin nicht erklärt, wo sie den Unterschied sieht zwischen Erdoganland und Weidelland.

    Ich wäre neugierig gewesen.

    Die Türkei schiebt ja auch beispielsweise nach Syrien ab.

    • @rero:

      Ich habe den Unterschied, den sie macht, ziemlich deutlich gelesen:



      In der Türkei hätte sie die "richtige" Familiengeschichte.



      Politisch macht sie da keinen Unterschied, es sind andere die für sie definieren, wo sie sich wohlfühlen darf und wo nicht.

      • @Herma Huhn:

        Wenn man in der Türkei die falsche Meinung vertritt, darf man sich sehr schnell nicht mehr wohlfühlen.

        Da nützt die beste Familiengeschichte nichts.

        Gerade als Journalistin.

        Mit der "richtigen" Meinung kommt man auch bei der AfD gut an.

        Akif Pirinçci kennt sich da aus.

        Der Unterschied ist schon mal nicht markant.

        • @rero:

          Überbewerten Sie da mal die Lage in Deutschland nicht. Hier können Sie auch ganz schnell abgeschoben werden, wenn sie so wie ich, auch nicht die richtige Meinung und dazu den deutschen Pass haben. Als die grenzen- und kritiklose Loyalität zu Israel von meinem Aufenthaltsrecht abhängig gemacht wurde, habe ich mich das erste Mal wie in dem Land gefühlt, dessen Pass ich trage, die Türkei nämlich, in der ich auch gelebt habe. Tatsächlich war es kein Unterschied, wie sie sagen zum heutigen Deutschland. Und ein weiterer Unterschied zu hier und dort ist, dass man in der Türkei nicht als das dämonisierte Stiefkind der Nation behandelt wird, der als Sündenbock für alles herhalten muss, sondern dass Erdogone wenigstens alle gleich Scheiße behandelt. Glauben Sie mir, das fühlt sich besser an als zu sehen , dass man nur selbst verhasst ist aufgrund seiner Ethnie, während andere mehr Rechte haben. Die Autorin hat wenigstens Wahlrecht hier im Gegensatz zu millione anderen Steuerzahlern.

          Ich kenne kaum jemanden, der wie ich ohne deutschen Pass hier geboren und aufgewachsen ist und nicht trotzdem gezwungenermaßen, versucht sich mit dem Gedanken anzufreunden, evtl. In die Türkei gehen zu müssen.

          • @Edda:

            Das dämonisierte Stiefkind sind in der Türkei vielleicht einfach andere Gruppen?

            Man sollte dort nicht jüdisch sein, Armenischsein kann ebenfalls das Leben schnell beenden.

            Die Frage stellt sich, ob Kurden das ebenso sehen.

            Als nationalistischer Türke scheint man bessere Chancen zu haben.

            Aber Sie werden sich da besser auskennen.

  • Wenn Türkei die Alternative zu Deutschland sein soll, dann gutnacht.



    Dort herrscht schon lange Willkür und Staatsterror. So weit sind wir noch nicht.



    Auch wenn einige Deutsche und Türken das gerne hätten

    • @ Christoph:

      Volle Zustimmung.



      Mit der Demokratie istes in der Türkei nuiht weit her.



      Rassismus, das



      Morden an Kurden und Erdogans widerwärtiges Anbiedern an die Hamas , zum Beispiel, wie steht dazu der Onkel?

      • @Kimmi:

        Alles richtig aber bitte nicht so selbstherrlich. Denn von nichts von dem kann sich Deutschland frei machen. Und ja, mittlerweile ist der Abstieg hier so weit vorangeschritten, dass die Unterschiede zwischen der Türkei und Deutschland immer unsichtbarer werden. Als Mensch, der in beiden Ländern gelebt und gearbeitet hat, vor allem im sozialen Bereich, denke ich, dass ich das gut beurteilen kann. Insbesondere als türkische Muttersprachler. Was anscheinend Leute wie Sie auch gar nicht verstehen ist, es geht uns schon lange nicht mehr darum, ob die Türkei besser ist oder nicht, sondern es geht nur noch darum wie sicher Deutschland für uns und unsere Kinder ist. Und für Menschen mit einem Halbmondpass die auch noch muslimisch sind oder als solche gelesen werden, ist die Türkei sicherer. Und was nützt mir deutsche Demokratie, wenn wie ein Damoklesschwert dauernd Abschiebung droht und mein Sohn von Nazis bedroht wird? Für linksgrünversiffte ‚Muslime‘ wird es sehr gefährlich, freie Meinung kundzutun oder zu posten. Sie kann mich sogar meinen Heimat hier kosten.



        Ich kann aber verstehen, dass es Deutschen angenehmer ist, sich demokratisch der Türkei überlegen zu fühlen

  • Wir sehen uns auf den Demos gegen Rechts und gehen wählen.

  • Als jemand aus einer ähnlichen Situation teile ich deine Sorgen.



    Ich denke die richtige Frage ist "Wann?" und nicht "Ob?".



    Fall die CDU wirklich nicht mit der AFD koaliert , kann es nur schwarz, rot, grün geben. Also Ampel 2.0: CDU verhindert das Rot Grün auch nur einen Schritt für Soziale zwecke machen und sitzen nur bockig da. Mittlerweile stimmen sie öfter und öfter mit der AFD ab. Weil sie keine Politik machen und nur rot grün "aufhalten" wollen.

    In 2031 den nächsten Wahlen geht die CDU auf 15% runter und die AFD kommt mit 35% die CDU wird mittlerweile ein braver Schoßhund sein und pünktlich zum 100. Jahrestag...



    ist er wieder da.

    Dein Onkel scheint ein ziemlich stabiler Typ zu sein!

    • @überfluss:

      Ach und Rot-Grün sitzen nicht bockig in der Ecke, wenn Merz politisch in die andere Richtung will als ihre eigene?



      Die CDU soll Rot-Grün gewähren lassen, aber selber keine Politik in Ihrem Sinne (konservativ) beitragen. Dann sollen Rot-Grün die CDU aufhalten. Also selber gar keine Politik betreiben. Gleichzeitig soll die CDU aber von der AFD Stimmen abziehen und diese halbieren (dafür darf sie aber keine Politik machen).

      Das ist so irrwitzig was hier verlangt wird, da braucht man sich doch nicht wundern, wenn die CDU sich aus der Mitte abwendet.



      Rot-Grün werden sich bewegen müssen, nicht umgekehrt, wenn bald 60% der Wähler Rechts/Konservativ sind.

      • @Walterismus:

        CDU hat die letzten 40 Jahre genug Schaden angerichtet.



        Mehr Sozialstaat ist die Antwort nicht weniger. Milliardäre enteignen. Sonst wunderst du dich wenn Elon dann in Deutschland neben der Alice mit unseren Gesetzten herumfummelt.

      • @Walterismus:

        Die CDU hat sich selbst in diese Lage gebracht, in dem sie narzisstisch, absolut egozentrisch und ja, auch etwas größenwahnsinnig agiert. Mit Erpressung und ‚entweder-oder‘ Rhetorik sprich ‚ihr tut, was ich mache oder ihr seid gegen mich‘, macht man keine Politik und darf sich nicht über Verstimmung potentieller Koalitionspartner wundern. Außerdem ist das Verhalten von Merz‘ alles andere als staatsmännisch. Es erinnert eher an den reichen, verzogenen Collegeboy, der in seinem ersten Job als Manager einsteigen will und und klar signalisiert, dass er zu geil für Kompromiss ist!



        Die CDU will eine alleinige Regierung aufbauen und hat klar geäußert, dass sie kein Interesse und keinen willen hat, eine Koalition mit irgend jemandem einzugehen. Und wenn doch dann ganz sicher nicht mit SPD oder den Grünen. Das hat sie viel überzeugend darüber gebracht in all den Monaten, als dass sie keine Koalition mit der AfD eingehen wird. Für mich sagt ihre Meinung nichts anderes aus, als dass SPD und Grüne genauso rassistisch wie die CDU werden müssen, damit es klappen kann und nicht versuchen sollen. Die CDU von Ehren Menschenfeindlichen werden sie in Politik Bundespolitik gießen wollen, abzubringen.

  • Danke für diesen Einblick. Er lässt mich, trotz allem, betroffen zurück.

    Ein zweites 33 von unserem Boden aus ist für mich nicht vorstellbar. Ja, die AFD könnte 2029 an die Macht kommen, die Linken sorgen schon dafür, indem sie ernsthafte Maßnahmen und das "Denkbare" klein halten. Aber selbst Trump mit seiner Machtfülle und seinem Furor ist weit davon weg legale Einwanderer anzugreifen.

    Hoffen wir, dass die Grenzen meiner Fantasie die nächsten Jahre überstehen.

    • @Dr. Idiotas:

      "Aber selbst Trump mit seiner Machtfülle und seinem Furor ist weit davon weg legale Einwanderer anzugreifen."

      Sorry, aber Einwanderer, die Mist bauen, sofort auszuweisen, ist in den USA seit geraumer Zeit Konsens.

      Bereits wegen kleinerer Vergehen.

      Das war schon vor Trump so.

      In Deutschland gilt diese Position als rechts.