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Wie Irland auf Deutschland blicktWillkommenskultur auf Irisch

In Irland halten sich hartnäckige Klischees über Deutschland. Das gilt für die deutsche Bahn genau so wie für die Migrationspolitik.

Auf Pünktlichkeit ist Hauptbahnhof Frankfurt kein Verlass Foto: Schoening/imago

D as muss man sich mal vorstellen“, ärgert sich Niall. „Die irische Bahn wirbt damit, dass nicht mal 80 Prozent ihrer Züge pünktlich sind.“ Die sollten sich ein Beispiel an Deutschland nehmen, fügt er hinzu. Carsten aus Kiel, der seit zwei Jahren in Dublin lebt, rückt Nialls Deutschlandbild zurecht: „In Deutschland waren voriges Jahr nur gut 62 Prozent der Züge pünktlich.“

In Irland hält sich hartnäckig die Vorstellung, dass die Deutschen effizient sind, gutes Bier brauen und die besten Autos der Welt produzieren. Bis auf das Bier sei das ein Mythos, sagt John Brennan, politischer Kommentator der Irish Times: „Nur wenige Unternehmen spiegeln die Misere des Landes besser wider als sein größter privater Arbeitgeber, Volkswagen.“ Ebenso wie mit der Autoindustrie gehe es auch mit der Wirtschaft im Allgemeinen bergab. Das Etikett „Made in Germany“ komme längst nicht mehr so gut an wie früher, sagt Brennan.

Bei der Migrationspolitik, so glaubt John McGuirk, Schriftsteller und Chefredakteur von Gript, einer stramm rechten Website, befinde sich Irland „im Großen und Ganzen auf der gleichen Kurve“ wie Deutschland: „Wir haben unsere eigenen Erfahrungen mit der Masseneinwanderung etwa ein halbes Jahrzehnt später als Deutschland gemacht. Warum glaubt irgendjemand, dass unsere Entwicklung in irgendeiner Weise anders verlaufen wird?“

Weder in Deutschland noch in Irland sei die Entscheidung, die Tore zu öffnen, von der Linken getroffen worden, sondern von Parteien, die am ehesten der Mitte zuzuordnen seien. „Wie in Deutschland wurde der Zustrom zunächst von den Großen und den Guten mit ungebremster Begeisterung begrüßt“, meint McGuirk. „Die ist langsam der Erkenntnis gewichen, dass es Probleme geben könnte, nachdem sie zunächst geglaubt hatten, dass die Einwanderung die Assoziation Deutschlands mit den Nazis abschütteln könnte. Die Machthaber in Irland haben die Blaupause für das, was in den nächsten Jahren ohne eine Kurskorrektur passieren wird, direkt vor Augen.“

Bisher keine starke Rechtsextreme

Irland hatte aber schon immer das, was die Deutschen „Willkommenskultur“ tauften, sagt Niall. „Bei uns heißt es Céad míle fáilte, hundertausendmal Willkommen. Das kommt von Herzen, und nicht vom Kopf. Deshalb haben bei uns die rechtsextremen Parteien bei Wahlen bisher kein Bein auf die Erde bekommen.“

Aber die Demonstrationen gegen Geflüchtete und das Abfackeln ihrer Unterkünfte habe doch seit zwei Jahren stark zugenommen, entgegnet Carsten. „Und ein paar Bezirksverordnete und einen Europa-Abgeordneten haben sie auch. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Nazi-Parteien einen Aufschwung wie in Deutschland erleben.“

Das glaubt McGuirk ebenfalls, und es klingt nicht bedauernd: „Sich selbst als gastfreundlich darzustellen, ist eine Form der Selbstbeweihräucherung, die einen in die wohltuende Rolle des Wohltäters versetzt. Aber die Willkommenskultur hat den Deutschen nicht geholfen, und sie wird auch uns nicht helfen.“

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Ralf Sotscheck
Korrespondent Irland/GB
Geboren 1954 in Berlin. 1976 bis 1977 Aufenthalt in Belfast als Deutschlehrer. 1984 nach 22 Semestern Studium an der Freien Universität Berlin Diplom als Wirtschaftspädagoge ohne Aussicht auf einen Job. Deshalb 1985 Umzug nach Dublin und erste Versuche als Irland-Korrespondent für die taz, zwei Jahre später auch für Großbritannien zuständig. Und dabei ist es bisher geblieben. Verfasser unzähliger Bücher und Reiseführer über Irland, England und Schottland. U.a.: „Irland. Tückische Insel“, „In Schlucken zwei Spechte“ (mit Harry Rowohlt), „Nichts gegen Iren“, „Der gläserne Trinker“, "Türzwerge schlägt man nicht", "Zocken mit Jesus" (alle Edition Tiamat), „Dublin Blues“ (Rotbuch), "Mein Irland" (Mare) etc. www.sotscheck.net
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10 Kommentare

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  • Neid- und Vertreibungsideologien scheinen stärker zu sein als Solidargemeinschaften. Schade.

  • "Das Etikett „Made in Germany“ komme längst nicht mehr so gut an wie früher, sagt Brennan."

    "Made in Germany" wurde früher als Label auf Importwaren in England gedruckt, um auf minderwertige deutsche Waren hinzuweisen. Nur so nebenbei:

    de.wikipedia.org/wiki/Made_in_Germany

    Falls sich mal sich mal jemand wundert, warum dieses deutsche "Markensiegel" eigentlich in Englisch bekannt wurde.

  • Ich möchte korrigieren: Das Bier ist auch nichts. Dr. Oetker dominiert hier den Markt, und die Marke wird am Etikettierer gemacht. Vielfalt gibt es nicht.



    Selbst französische Souvenirläden am Atlantik haben da mehr zu bieten. (sic!)

    • @F. Tee:

      Man muss ja nicht diese Marken kaufen, es gibt ja noch regionale Biere.

    • @F. Tee:

      Oh neeee, da muss ich leider Widerspruch anmelden. Wer nur Dr. Oetkers Bier kennt, darf sich wahrlich nicht als Bierkenner geben. Dr.Oetker hat 15% Marktanteil - und der Rest, ist das auch nix?

    • @F. Tee:

      Sie sollten mal richtiges Bier in seiner ganzen Vielfalt proBieren und nicht nur den nächsten Superbilligmarkt ansteuern. Kleiner Tipp: Urlaub in der deutschen Provinz, statt am Atlantik. Dann klappt das auch mit der Auswahl.

    • @F. Tee:

      Bis vor ca. 6-7 Jahren hätte ich Ihnen vollkommen recht gegeben. Da gab es nur Einheitsindustriebier mit unterschiedlichen Etiketten.

      Mittlerweile gibt es aber auch in Deutschland viele kleine Brauereien, die mit auch dem amerikanischen Craftbeer mithalten können und deren Produkte man sogar in den üblichen Supermärkten kaufen kann.

      • @Chris McZott:

        Es gibt schon immer viele kleine Brauereien mit großer handwerklicher Vielfalt. Ob da wirklich mehr Spreu unter dem Weizen war, als beim gehypten „Craft Beer“, wage ich zu bezweifeln. Auch im neudeutschen Biergewerbe gibt’s die guten und die nur gut vermarkteten Sorten.

        • @vieldenker:

          "Es gibt schon immer viele kleine Brauereien mit großer handwerklicher Vielfalt."

          Das wage ich wiederum zu bezweifeln. Bis zum Craftbeer-Trend gab es zwar regionale Biersorten, die dafür aus jeder (lokalen) Brauerei gleich geschmeckt haben. Dem Standard-Hopfenpellet sei dank.

          - Einheits-Pilsner



          - Einheits-Weizen



          - Einheits-Kölsch



          - Einheits-Alt



          - Einheits-Helles



          - Einheits-Schwarzbier



          usw.

          Wenn es überhaupt Geschmacksunterschiede gab, dann nur weil Brauereien das Einheitsrezept mit niedrigeren Qualitätsanforderungen an die Ausgangsprodukte umgesetzt haben - siehe bestimmte "herbe" Biere aus Norddeutschland.

          • @Chris McZott:

            Ihren Pessimismus kann ich aufgrund eigener Praxiserfahrung ganz und gar nicht teilen. Liegt vielleicht daran, dass ich gerne immer wieder etwas Neues ausprobiert habe - und nicht meine jeweils aktuellen Vorstellungen eines guten Biers, als das „Non-Plus-Ultra“ sehe. Da erlebt man dann selbst als überzeugter Pilstrinker, schon mal seine positiven „obergärigen“ Überraschungen, wundert sich über das exquisite, seit zweihundert Jahren gebraute Pils einer kleinen Brauerei in unmittelbarer Nachbarschaft nationaler Brauriesen, oder freut sich auf ein frisch gezapftes Bioregionalbier eines erfahrenen Braumeisters. Im Endeffekt kommt‘s aufs Können und auf‘s Wollen an - und nicht so sehr auf Marke und gerade gängigem Mainstream.