piwik no script img

Widerstand gegen AtomkraftNie wieder Fukushima

Tausende demonstrieren gegen die Nutzung der Atomkraft in Deutschland. Proteste gibt es auch in Paris. Deutsche Banken finanzieren indes Atomkonzerne.

„Rettungsschirm gegen Radioaktivität“ in Göttingen. Bild: dpa

GÖTTINGEN taz | Auf der Bundesstraße 65 im Kreis Schaumburg ist eine Dekontaminationsstelle errichtet worden. Männer in grauen Schutzanzügen und mit Gasmasken stoppen Fahrzeuge, die aus der Gefahrenzone kommen, und überprüfen sie auf radioaktive Strahlung.

Im rund 50 Kilometer entfernten Atomkraftwerk Grohnde hat sich ein schwerer Unfall ereignet, erklären die Maskierten den verdutzten Autofahrern. Die radioaktive Wolke breite sich schnell über Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen aus.

Der GAU in Grohnde und seine möglichen Folgen wurden hier nur gespielt. Mit insgesamt rund 150 solcher Aktionen simulierten Umweltschützer am Samstag ein Szenario, wie es sich bei einem Unfall in dem AKW tatsächlich entwickeln könnte. In einem Radius von 40 bis 80 Kilometern um den Meiler haben sie Anlaufstellen für Flüchtlinge, Auffanglager für Verstrahlte und Ausgabestellen für Jodtabletten aufgebaut.

In mehreren Städten und auf Weserbrücken bilden Aktivisten zudem Menschenketten. 20.000 Leute sollen sich den Veranstaltern zufolge allein an den Aktionen rund um Grohnde beteiligt haben. Die Polizei gibt 5.000 an.

Demonstriert wurde am Samstag auch an den AKW-Standorten Neckarwestheim in Baden-Württemberg und im bayerischen Gundremmingen sowie an der westfälischen Urananreicherungsanlage Gronau. Dort erinnerte die russische Journalistin Swetlana Slobina an den Uranmüll, der zwischen 1995 und 2009 aus Gronau nach Sibirien gebracht wurde – insgesamt 27.000 Tonnen, deren Entsorgung völlig ungeklärt ist.

In Neckarwestheim ging der Regionalgeschäftsführer des Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND), Axel Mayer, die grün-rote Landesregierung an: „Der heutige Katastrophenschutzplan mit seinen lächerlich kleinen Evakuierungsradien ist allenfalls ein Kataströphchenschutz.“

In Paris bildeten die nach Angaben der Veranstalter beteiligten rund 20.000 Menschen eine Menschenkette, um für einen Atomausstieg Frankreichs zu demonstrieren. „Nie wieder Fukushima“ stand auf Plakaten. Auch aus Deutschland waren Aktivisten angereist. Von den 19 französischen Atomkraftwerken befinden sich 3 in weniger als 250 Kilometern Entfernung zur deutschen Grenze. Organisiert wurde die Menschenkette von dem Bündnis Sortir du nucléaire (Raus aus der Atomenergie).

Ebenfalls zum Fukushima-Jahrestag präsentiert die Umweltorganisation Urgewald die Ergebnisse eines Bankentests. Sie befragte die acht größten Finanzinstitute, welche Konsequenzen sie aus der Atomkatastrophe gezogen haben und welche Rolle Atomfinanzierungen heute in ihren Portfolios spielen.

Treffer ergaben sich bei zwei deutschen Banken: Die Deutsche Bank verhalf den Atom- beziehungsweise Bergbaukonzernen Areva und Rio Tinto zu mehr als 1,1 Milliarden Euro, die HypoVereinsbank/UniCredit versorgte Areva und BHP Billiton mit 944,5 Millionen Euro. „Solche Summen für Unternehmen lockerzumachen, die gefährliche Uranminen betreiben und die Erschließung weiterer Minen planen, ist unverantwortlich“, sagt Urgewald-Geschäftsführerin Heffa Schücking. Für atomkritische Menschen verbiete es sich, bei diesen Banken ein Konto zu haben.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • J
    jegg

    Nie wieder Fukushima?

    Fast 20.000 Menschen kamen vor zwei Jahren bei der Erdbeben- und Tsunami-Katastrophe in Japan ums Leben – ersoffen, erschlagen oder noch immer vermisst.

    Um diese Toten sollten wir trauern und ihrer gedenken!

     

    Aber Hauptsache wir pflegen erst mal unsere Ängste.

     

    Keine Sorge, ich war schon vor Sellafield (Windscale), Three Mile Island, Tschernobyl und Fukushima gegen Atomkraftnutzung.

    Aber hysterische Schnappatmung behindert die Diskussion um zu einer schnellen und machbaren Lösung zu kommen!

    Gute Besserung

  • HM
    Hans Müller

    Wenn andere Regierungen (und in demokratischen Staaten somit deren Bevölkerung) das nukleare Risiko anders bewerten, warum sollte dann ein deutsches Unternehmen sich nicht an dem möglichen Gewinn beteiligen?

    Wenn das Kraftwerk hops geht sind sies selber schuld und nicht die Deutsche Bank.

    Anders sieht das natürlich bei deutschen Nachbarstaaten aus. Hier sollte sich die Bundesregierung überlegen und verhandeln, so dass das Risiko minimiert wird.

  • PS
    Peter Stengel

    Mit einem Supergau ist in Deutschland nicht zu rechnen, da ein Tsunami des japanischen Ausmaßes hier nicht auftritt.

    Deutschland repräsentiert etwa ein Hundertstel der Weltbevölkerung, meint aber klüger zu sein als der Rest der Welt.

    Der deutsche Atomausstieg bewirkt mehr Schaden als Nutzen. Zum Beispiel muss zur Zeit die Atomenergie durch zusätzliche Kohlekraftwerke ersetzt werden und das wird noch einige Zeit so bleiben. KKW stoßen aber erhebliche Mengen an radioaktiven Stoffen aus.

    Da weltweit etwa 7800 Millionen Tonnen Kohle pro Jahr in Kohlekraftwerken verbrannt wird, schätzt man den Gesamtausstoß auf 10.000 Tonnen Uran und 25.000 t Thorium, der zum großen Teil in der Asche enthalten ist. Die Asche von europäischer Kohle enthält etwa 80–135 ppm Uran.

    Zwischen 1960 und 1970 wurde in den USA etwa 1100 Tonnen Uran aus Kohleasche gewonnen.

    Der entsprechende Ausstoß bei AKW würde in Deutschland eine Welle der Empörung auslösen.