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Widerständige Kunst aus OsteuropaAls die Kunst den Kontakt mit der Öffentlichkeit aufnahm

Die Stiftung der Wiener Bank Erste Group will mittels anarchischer Kunst Demokratiearbeit in Osteuropa leisten. Ein Besuch in Warschau und Wien.

Wieder­aufführung der Performance „Universal Futurological Question Mark (U.F.O.)“ von 1978 des Slowaken Július Koller in Warschau Foto: Karolina Pawelczyk

Dass Kunst gerade in schwierigen Zeiten besonders gebraucht wird, weil sie für die Freiheit des Individuums steht, wird im satten Teil der Welt gern in Sonntagsreden gefeiert. Auf die schlimmstenfalls am Montag ein Sparbeschluss folgt. Wie relevant Kunst für das demokratische Verständnis einer Gesellschaft und ihre Widerstandskraft tatsächlich sein kann, ist immer wieder in Osteuropa zu erleben.

Kürzlich besonders anschaulich in Warschau, wo seit Oktober 2024 im Stadtzentrum ein schneeweißer Kubus dem alten stalinistischen Kulturpalast-Klotz Kontra gibt, der sich 240 Meter hoch in den Himmel reckt. Das Gebäude des Moderne-Museums nach Plänen von US-Architekt Thomas Phifer gilt als Symbol des Aufbruchs für das vibrierende Warschau und zugleich für ein Land, das politisch gespalten ist. Denn auch für Polen gilt die Formel: Die Städte wählen liberal, das Land konservativ bis rechtsnational. Das wurde auch jüngst bei der Stichwahl zum Präsidentenamt wieder bestätigt, als sich letztlich der rechtskonservative Karol Nawrocki gegen den liberalen Rafał Trzaskowski durchsetzte – dank der Stimmen aus den ländlichen Gebieten des Ostens und Teilen des Südens von Polen.

Als vor wenigen Wochen die Ausstellung „The Cynics Republic – Plac Defilad“ in den weitläufigen Warschauer White-Cube-Räumen eröffnete, strömten die Menschen herein wie zu einem Popkonzert. Man spürte sofort: Alles, was hier in diesem Museum stattfindet, genießt höchste Aufmerksamkeit. Aber anders als in Kunststädten wie Berlin, wo bei solchen Ereignissen eher die coole Arroganz des Szenevolks den Ton angibt, schien hier nicht ostentative Lässigkeit hip – sondern Diskurs. In dieser Ausstellung gab es ausschließlich Sperriges zu sehen. Unter anderem Kunst aus dem politischen Widerstand gegen die sozialistischen Regime Osteuropas seit den 1960er Jahren, überwiegend Foto-, Video- und Performancekunst, die nach den 1990er Jahren des politischen Umbruchs beinahe vollständig vergessen war. Zumindest in Westeuropa wusste man kaum etwas davon.

Rund 150 Kunstwerke aus jener Zeit traten in der Ausstellung in einen Dialog mit Werken aus den Beständen des 2007 gegründeten Museums für Moderne, das seit Oktober 2024 in dem exemplarischen White-Cube-Bau residiert. Sie entstammen der österreichischen Kontakt Sammlung mit Sitz in Wien, die seit über 20 Jahren systematisch in Osteuropa Kunst dieser Zeit erforscht und die oft im Geheimen entstandenen Artefakte systematisch sammelt. Als langfristiger Kooperationspartner des Museums für Moderne Kunst in Warschau war die Kontakt Sammlung bereits an der Eröffnung des neuen Gebäudes im Oktober beteiligt.

„Wo ist der Champagner?“ ruft der Gründer

„Kontakt“, dieser Name verdankt sich der Tatsache, dass das Wort in dieser orthografischen Form im Deutschen, Tschechischen und Slowakischen existiert. Der slowakische Künstlers Július Koller nutzte das Wort seit den späten 1960er Jahren in seinen Antihappenings und Werkserien; der tschechische Künstler Jiří Kovanda verwendete es, um auf die unterbrochene Kommunikation zwischen Kunst und Öffentlichkeit sowie zwischen dem kommunistischen Block und der westlichen Welt hinzuweisen.

„Wo ist der Champagner?“ ruft der Gründer der Sammlung, Boris Marte, bei der Eröffnung der Warschauer Ausstellung. Marte ist CEO der Erste Stiftung, die 2004 in Kooperation mit der ebenfalls in Ost- und Zentraleuropa vertretenen Wiener Bank Erste Group die Kontakt Sammlung als gemeinnützigen Verein aufbaute. Marte schwärmt von dem „wundervollen und starken“ Zeichen, das von dem Museum vis-à-vis dem Kulturpalast ausgehe. Es sei „eine Manifestation der Relevanz von Kunst für die Gesellschaft und die Demokratie.“

Marte steht im Treppenhaus des Museums, wo sich in einer großen Sound- und Bildinstallation ein roher Gerüstturm als summendes und tönendes Kraftzentrum der Schau in die Höhe schraubt. Das temporäre Gerüst aus typischen Baustellen-Stahlstangen verlangt nach Bewegung des Publikums. Überall dröhnt und flimmert es. Verwackelte, intime Clips aus den 1970er Jahren konkurrieren mit der Hochglanzästhetik aktueller Videoarbeiten, Grobkörnig-Dokumentarisches mit raffinierter Technik, scheppernde Tonspuren mit den Geräuschen, die das Museumspersonal beim Klettern in den Gerüsten zum Warten und Wiederstarten von alten Videos erzeugt.

Sie arbeiten mit Mitteln der Selbstironie

Der französische Kurator der Schau, Pierre Bal-Blanc, versteht die Installation als vielstimmige Partitur, deren Lesarten frei von Vorgaben seien. Der Titel „The Cynics Republic – Plac Defilad“ bezieht sich auf die griechische Denkschule der Kyniker aus dem fünften vorchristlichen Jahrhundert, deren wichtigster Vertreter Diogenes war. Die Kyniker suchten anarchisches Glück in Askese, Entsagung und materieller Unabhängigkeit.

Ein treffsicherer Titel, insbesondere für die Neo-Avantgarde-Kunst aus der Kontakt Sammlung. Die besteht vor allem aus dokumentierten Performances. Deren kargen Materialien verdanken sie jener Zeit des Mangels, oft arbeiten sie mit Mitteln der Selbstironie und des Humors. Wenn etwa ein grobkörniges Video einem ernst Dreinschauenden beim rituellen Kürzen seines Bartes zuschaut. Oder wenn der kroatische Performancekünstler Slaven Tolj zwischen einer Wodka- und einer Whiskeyflasche sitzt und immer wieder aus einem Shaker nascht, in dem beide hochprozentige Stellvertreter zweier Welten ein explosives Gemisch ergeben. Das Ergebnis ist ein Ohnmachts-Rausch, der Titel des Videos lautet ziemlich visionär „Globalisation“. Der im Westen kaum bekannte polnische Künstler Tomasz Machciński wiederum ist lange vor der amerikanischen Star-Künstlerin Cindy Sherman in immer neue Identitäten geschlüpft und hat sich singend in seinen schrillen Kostümierungen gefilmt.

Boris Marte erinnert sich: „Als wir vor 20 Jahren ‚Kontakt‘ gründeten, herrschte eine Arroganz der Kunstwelt des Westens vor, die den Osten noch nicht als gleichwertig akzeptierte.“ Mit der nomadischen Kontakt Sammlung, deren Objekte kostenfrei ausgeliehen werden, werde ein neues Kapitel „europäischer, noch nicht geschriebener Kunstgeschichte“ erforscht, die dereinst zur europäischen Identität beitragen werde.

Die Sammlung arbeitete von Anfang an eng mit den lokalen Szenen zusammen, etwa mit dem slowenischen Kunsthistoriker Igor Zabel, der seit 1986 Kurator an der Moderna Galerija in Ljubljana war und sich viel mit der Kunst Ost- und Mitteleuropas seit 1945 auseinandersetzte. Dem früh Verstorbenen widmet die Sammlung einen nach ihm benannten Preis, der alle zwei Jahre in seiner Heimatstadt Ljubljana vergeben wird.

Die erste österreichische Sparkasse entstand 1819

Im Wiener Sitz der Stiftung erzählen Hephzibah Druml, Programm- und Produktionsleiterin der Kontakt Sammlung, und Katrin Klingan als Leiterin der Kultursparte der Stiftung Näheres zur Motivation der Sammlung. Klingan erklärt, dass die Gründungsgeschichte mit der ersten österreichischen Sparkasse zu tun hat, die 1819 aus dem Gemeinwohlgedanken heraus gegründet wurde. Als die Erste Bank in den 1990er Jahren in die osteuropäischen Länder expandierte, folgte ihr die Stiftung. Den Sammlungszweck präzisiert Hephzibah Druml: „Es geht auch darum, dass ein Segment der zeitgenössischen Kunst im östlichen Europa nicht verschwindet in irgendwelchen privaten Sammlungen oder Galerien, sondern dass das aufgearbeitet wird und der Öffentlichkeit präsent bleibt.“

In rascher Folge beteiligt sich die Kontakt Sammlung an Ausstellungen, die Warschauer Schau ist nach kurzer Laufzeit schon vorbei. Dafür werden Werke der Sammlung demnächst im kosovarischen Prizren während der Autostrada-Biennale gezeigt, oder derzeit in der slowakischen Hauptstadt Bratislava im unabhängigen Kunstnetzwerk Tranzit, das noch nicht von den Säuberungen der rechtspopulistischen Kulturministerin Martina Šimkovičová betroffen ist. Es geht in der Schau „Liminal Ecologies“ auch um den Klimawandel und Fragen der Migration. Schon konsequent, wie die Stiftung durch die Ausstellung ihrer sperrigen Kunst auch eine Art Demokratiearbeit leistet.

Und es ist wichtig, wo doch in Deutschland derzeit große Unternehmen ihre in Jahrzehnten zusammengetragenen Sammlungen eilig verhökern: Die Objekte der Kontakt Sammlung gehören dem Verein, der unabhängig agiert, sie sind kein Investment. Sie können weder von der Erste Bank noch von der Stiftung verkauft werden.

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2 Kommentare

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  • Mit der Förderung der Demokratie in Osteuropa und dem Balkan hat Österreich ja jede Menge Erfahrungen. Das kommt in den Ländern bestimmt super an.

  • Warum kommt die Erste erst jetzt darauf, Kunst in Osteuropa zu unterstützen?

    Das war schon nach der Revolution in Rumänien 1990 gefordert, als die dortige Demokratie sehr wacklig war, dann vor wenigen Jahren, als die Regierung Ponta sich die Gesetze korruptionsfreundlich umschreiben wollte. Das war schon 2003 in Ungarn gefordert, als dortige Künstler und Intellektuelle, freie Presse und Radios im Budapester 9. und 11. Bezirk - von George Soros unterstützt - das System Orbán heraufziehen sahen und recht behielten. Das war vor 15 Jahren in Moldau nötig, als Russland das Land massiv destabilisierte, das war nötig, als es galt, in der Ukraine Rechtsextreme in der Regierung Azenjuk in Schach zu halten und sich gegen die Regierung Janukowitsch vor dem Maidan in Kiew, Lwiw und Czernowitz eine Kunstszene etablierte, die in Westeuropa nie gesehen wurde.

    Die Kritik von Boris Marte über die Arroganz der Kunstwelt des Westens, formulierte schon 1990 die Neue Slowenische Kunst mit Irwin, Laibach und Dragan Zivadino etc.

    Warum erst jetzt?



    Die Erste ist in ganz Ostereuropa tätig und gehört neben OMV zu den großen österreichischen Playern. Mir fehlt der Glaube, dass das aus Überzeugung kommt.