Widerrufsprüfverfahren beim Asyl: „Ich will nicht zurück“
Das Bamf überprüft Hunderttausende positiver Asylbescheide. Fast alle Entscheidungen werden bestätigt. Trotzdem haben Betroffene Angst.
Tamimi heißt eigentlich anders. Weil sie Angst vor Konsequenzen für ihren Aufenthaltsstatus hat, soll ihr Name nicht öffentlich werden. „Ich habe mir viele Gedanken darüber gemacht, ob sie mich jetzt wieder nach Syrien zurückschicken“, berichtet die Studentin. „Ich habe alle meine Termine bei der Ausländerbehörde pünktlich eingehalten, mich integriert, die Sprache gelernt, ich schaffe meine Prüfungen.“ Sie habe „Angst, weil eigentlich schon alles geklärt ist“.
Tamimis Situation ist kein Einzelfall. 218.123 „Widerrufsprüfverfahren“ sind derzeit beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge anhängig, 192.664 führte das Bamf bereits 2018 durch. Innerhalb der ersten drei bis fünf Aufenthaltsjahre sieht das deutsche Asylrecht eine Überprüfung von Flüchtlingsanerkennungen vor. In bestimmten Fällen kann der Schutzstatus aufgehoben werden.
Ein Widerruf des Flüchtlingsstatus ist möglich, wenn die Gründe der Flucht nicht mehr bestehen – zum Beispiel, weil sich die Situation im Herkunftsland der Betroffenen maßgeblich verbessert hat. Eine Rücknahme des Schutzstatus erfolgt, wenn eine Flüchtlingsanerkennung irrtümlich vergeben wurde, beispielsweise wegen falscher Angaben bei der Antragsstellung. Beides ist selten der Fall – die Rücknahme- und Widerrufsquote belief sich auf 1,2 Prozent im Jahr 2018 und 3,3 Prozent in 2019.
Anlasslose Befragungen
Beratungsstellen beobachten, dass anerkannte Flüchtlinge immer häufiger und ohne erkenntlichen Anlass im Rahmen der Widerrufs- und Rücknahmeverfahren zum Gespräch vorgeladen werden. Gegenüber der taz versichert das Bundesinnenministerium, dass Betroffene vom Bamf – wie gesetzlich vorgesehen – nur zur Mitwirkung aufgefordert werden, wenn diese erforderlich und zumutbar sei. Pro Asyl sieht das anders. „Unserer Meinung nach erfolgt eine solche Einzelfallprüfung in der Praxis nicht“, sagt deren rechtspolitische Referentin Wiebke Judith.
Anstelle pauschaler Vorladungen plädiert die Menschenrechtsorganisation dafür, Widerrufs- und Rücknahmeverfahren nur bei konkreten Hinweisen auf Aberkennungsgründe zu veranlassen. Erst dann sollte ein Gespräch stattfinden, in dem das Bamf die vermeintlichen Gründe vorlegt und die Betroffenen sich dazu äußern können. Ein solches Vorgehen entspräche auch den europarechtlichen Vorgaben.
Auch Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, plädiert für die Abschaffung der Regelüberprüfungen. „Das würde dem Bamf viel überflüssige Arbeit und den Schutzbedürftigen eine Zeit der Unsicherheit ersparen“, sagt sie. „Überprüfungen in konkreten Verdachtsfällen würden völlig genügen.“ Die neuen Ressourcen könnten in die Bearbeitung der über 50.000 offenen Asylverfahren fließen. Im Jahr 2018 waren 419 Beschäftigte des Bamf ausschließlich mit Widerrufsprüfungen befasst.
„Der Frieden ist so schön hier. Ich will nicht zurück in den Krieg“, sagt Maryam Tamimi. Sie war 17 Jahre alt, als sie sich allein auf den Weg von Damaskus nach Deutschland machte. Ihre Familie harrt noch immer in Syrien aus. Mit der Vorladung des Bamf kam auch die Angst, erneut über ihre Flucht berichten zu müssen. „Ich will davon nicht nochmal erzählen. Ich versuche selbst, das zu vergessen“, sagt sie.
Die Gespräche im Rahmen der Widerrufs- und Rücknahmeverfahren glichen häufig einer zweiten Anhörung, kritisieren Aktivist*innen. Für viele Geflüchtete bedeute das eine massive emotionale Belastung, die bleibe, auch wenn das Verfahren zu ihren Gunsten entschieden werde, kritisiert Pro Asyl. Tamimi hofft, dass ihr Verfahren gut ausgeht. Am Mittwoch hatte sie ihren Termin beim Bamf. Es sei „gut gelaufen“, sagt sie. Wie viel Zeit nun vergehen wird, bis sie über den Ausgang des Verfahrens Bescheid bekommt, weiß sie nicht. Und so bleibt vorerst auch die Unruhe.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu
Er wird nicht mehr kommen
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung