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Widerrufsprüfverfahren beim Asyl„Ich will nicht zurück“

Das Bamf überprüft Hunderttausende positiver Asylbescheide. Fast alle Entscheidungen werden bestätigt. Trotzdem haben Betroffene Angst.

Schon wieder Dokumente beim Bamf vorlegen: Das gehört zum Alltag vieler Geflüchteter Foto: Robert Michael/imago

Berlin taz | Es ist Anfang Februar, als Maryam Tamimi einen Brief vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) erhält. „Ladung zur Befragung“ steht da, von einer „Mitwirkungspflicht“ im „Widerrufs- bzw. Rücknahmeverfahren“ ist die Rede. Maryams Asylverfahren wurde 2016 positiv entschieden, ihre Identität vom Bamf geprüft, inzwischen studiert sie im 4. Semester Maschinenbau und ist gerade mitten in der Prüfungsphase. „Sie haben mich schon alles gefragt und ich habe ihnen schon alles erzählt“, sagt sie. „Was gibt es jetzt?“

Tamimi heißt eigentlich anders. Weil sie Angst vor Konsequenzen für ihren Aufenthaltsstatus hat, soll ihr Name nicht öffentlich werden. „Ich habe mir viele Gedanken darüber gemacht, ob sie mich jetzt wieder nach Syrien zurückschicken“, berichtet die Studentin. „Ich habe alle meine Termine bei der Ausländerbehörde pünktlich eingehalten, mich integriert, die Sprache gelernt, ich schaffe meine Prüfungen.“ Sie habe „Angst, weil eigentlich schon alles geklärt ist“.

Tamimis Situation ist kein Einzelfall. 218.123 „Widerrufsprüfverfahren“ sind derzeit beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge anhängig, 192.664 führte das Bamf bereits 2018 durch. Innerhalb der ersten drei bis fünf Aufenthaltsjahre sieht das deutsche Asylrecht eine Überprüfung von Flüchtlingsanerkennungen vor. In bestimmten Fällen kann der Schutzstatus aufgehoben werden.

Ein Widerruf des Flüchtlingsstatus ist möglich, wenn die Gründe der Flucht nicht mehr bestehen – zum Beispiel, weil sich die Situation im Herkunftsland der Betroffenen maßgeblich verbessert hat. Eine Rücknahme des Schutzstatus erfolgt, wenn eine Flüchtlingsanerkennung irrtümlich ver­geben wurde, beispielsweise wegen falscher Angaben bei der Antragsstellung. Beides ist selten der Fall – die Rücknahme- und Widerrufsquote belief sich auf 1,2 Prozent im Jahr 2018 und 3,3 Prozent in 2019.

Anlasslose Befragungen

Beratungsstellen beobachten, dass anerkannte Flüchtlinge immer häufiger und ohne erkenntlichen Anlass im Rahmen der Widerrufs- und Rücknahmeverfahren zum Gespräch vorgeladen werden. Gegenüber der taz versichert das Bundesinnenministerium, dass Betroffene vom Bamf – wie gesetzlich vorgesehen – nur zur Mitwirkung aufgefordert werden, wenn diese erforderlich und zumutbar sei. Pro Asyl sieht das anders. „Unserer Meinung nach erfolgt eine solche Einzelfallprüfung in der Praxis nicht“, sagt deren rechtspolitische Referentin Wiebke Judith.

2018 waren 419 Bamf-Beschäftigte ausschließlich mit Widerrufsprüfungen befasst

Anstelle pauschaler Vorladungen plädiert die Menschenrechtsorganisation dafür, Widerrufs- und Rücknahmeverfahren nur bei konkreten Hinweisen auf Aberkennungsgründe zu veranlassen. Erst dann sollte ein Gespräch stattfinden, in dem das Bamf die vermeintlichen Gründe vorlegt und die Betroffenen sich dazu äußern können. Ein solches Vorgehen entspräche auch den europarechtlichen Vorgaben.

Auch Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, plädiert für die Abschaffung der Regelüberprüfungen. „Das würde dem Bamf viel überflüssige Arbeit und den Schutzbedürftigen eine Zeit der Unsicherheit ersparen“, sagt sie. „Überprüfungen in konkreten Verdachtsfällen würden völlig genügen.“ Die neuen Ressourcen könnten in die Bearbeitung der über 50.000 offenen Asylverfahren fließen. Im Jahr 2018 waren 419 Beschäftigte des Bamf ausschließlich mit Widerrufsprüfungen befasst.

„Der Frieden ist so schön hier. Ich will nicht zurück in den Krieg“, sagt Maryam Tamimi. Sie war 17 Jahre alt, als sie sich allein auf den Weg von Damaskus nach Deutschland machte. Ihre Familie harrt noch immer in Syrien aus. Mit der Vorladung des Bamf kam auch die Angst, erneut über ihre Flucht berichten zu müssen. „Ich will davon nicht nochmal erzählen. Ich versuche selbst, das zu vergessen“, sagt sie.

Die Gespräche im Rahmen der Widerrufs- und Rücknahmeverfahren glichen häufig einer zweiten Anhörung, kritisieren Aktivist*innen. Für viele Geflüchtete bedeute das eine massive emotionale Belastung, die bleibe, auch wenn das Verfahren zu ihren Gunsten entschieden werde, kritisiert Pro Asyl. Tamimi hofft, dass ihr Verfahren gut ausgeht. Am Mittwoch hatte sie ihren Termin beim Bamf. Es sei „gut gelaufen“, sagt sie. Wie viel Zeit nun vergehen wird, bis sie über den Ausgang des Verfahrens Bescheid bekommt, weiß sie nicht. Und so bleibt vorerst auch die Unruhe.

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2 Kommentare

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  • Klingt wie bürokratischer Übereifer von Beamten, die die Existenz ihrer riesigen Behörde und vieler Jobs rechtfertigen müssen. Zumindest in so eindeutigen Fällen wie Syrien. Dass dorthin so schnell niemand zurückgeschickt werden darf, liegt ja nun wirklich auf der Hand.

    Aber welcher Behördenchef gibt schon gerne zu, dass sein Apparat vielleicht zu groß ist?

    • @Winnetaz:

      Es mach sehr oft Sinn auch nach 3 Jahren noch einmal zu überprüfen. Sich zum Beispiel die Reisepässe noch einmal anzusehen, ob neue Einreise und Ausreisestempel vorhanden sind.



      Auch in dem geschilderten Fall gibt es einen Punkt der eine erneute Ladung durchaus rechtfertigt: Die junge Dame wurde angehört als sie minderjährig war, also vermutlich als unbegleitete Minderjährige. Da macht es rechtlich durchaus Sinn zu gucken ob jetzt, wo sie volljährig ist, die Voraussetzungen des Flüchtlingsschutzes noch vorliegen oder eher der subsidiäre Schutz greift. Das erfährt man aber eher selten wenn man einen Brief schreibt mit der Bitte doch mal kurz zu schildern ob sich irgendwas geändert hat. Die Antwort kann man sich dann denken. Da ist das persönliche Gespräch deutlich konstruktiver.

      Das kann man grundsätzlich, wie Frau Jelpke (die es vermutlich zur Arbeitsentlastung des BAMF aber auch am einfachsten finden würde, die Behörde aufzulösen und einfach jedem einen Aufenthaltstitel zu geben so wie ich sie nach einschätze) kritisieren. Aber das BAMF ist an die gesetzlichen Regelungen gebunden und MUSS die Regelüberprüfung machen, ob es will oder nicht. Und das ist dann oft die "letzte Chance" zu sehen ob der Schutz noch vorliegt, weil danach steht in der Regel eine Niederlassungserlaubnis (bzw, langfristiger Aufenthaltstitel, cih will jetzt keine Begriffe durcheinanderwerfen). Da ist der Vorwurf seiner gesetzlichen Pflicht nicht nachzukommen vorprogrammiert, also kein Wunder das die Behörde sich daran hält. Egal ob man es jetzt sinnig findet oder nicht, die Frage ist aber politisch. Die Behörde selber sucht sich das nicht aus.