Whistleblower Daniel Ellsberg: „Sprich mit den Medien“
Wieder bringt ein Hinweisgeber einen US-Präsidenten in Bedrängnis. Was sagt Daniel Ellsberg dazu, quasi der Vater heutiger Whistleblower?
Ein wütender US-Präsident, ein wild um sich twitternder Donald Trump – ein US-Geheimdienstmitarbeiter bringt den Mann im Weißen Haus in Bedrängnis, die Demokraten sind dabei, ein Amtsenthebungsverfahren einzuleiten.
Der Grund: Der Whistleblower hat sich beim Generalinspektor der Geheimdienste darüber beschwert, dass Trump den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenski telefonisch gedrängt haben soll, Ermittlungen gegen den demokratischen Präsidentschaftsbewerber Joe Biden und dessen Sohn aufzunehmen. Biden würde das schwächen, Trump hätte einen Vorteil im Wahlkampf.
Daniel Ellsberg, 88, war selbst ein Whistleblower. Als hochrangiger Mitarbeiter im US-Verteidigungsministerium brachte er 1971 die Pentagon Papers an die Öffentlichkeit. 7.000 Seiten, die die Lügen- und Desinformationskampagne der US-Regierung vor und während des Vietnamkriegs enthüllten.
Ellsberg wurde als erster Whistleblower in den USA wegen Spionage angeklagt. Ihm drohten 115 Jahre Gefängnis. Erst als herauskam, dass Mitarbeiter von Präsident Nixon in die Praxis von Ellsbergs Psychiater eingebrochen waren, musste das Verfahren eingestellt werden.
taz: Wieder steht ein Whistleblower im Zentrum der Ereignisse in den USA. Fühlen Sie Sich ihm verbunden?
Daniel Ellsberg: Für mich sind Whistleblower Helden. Nachdem ich die Pentagon-Papiere enthüllt hatte, musste ich 39 Jahre auf die nächste große Enthüllung warten. Dann machte Chelsea Manning Hunderttausende Dokumente über den Irakkrieg öffentlich, drei Jahre später brachte Ed Snowden Licht ins Dunkel der verfassungsfeindlichen Überwachungspraktiken vor allem US-amerikanischer Geheimdienste. Die Person jetzt hat ein einziges Dokument vorgelegt – aber das allein identifiziert den Präsidenten in Echtzeit, während er eine Straftat begeht. Wir wissen sogar, wer anwesend war oder zuhörte, als der Präsident die Straftat beging.
Daniel Ellsberg, 88, war ein hoher „Military Analyst“, als er 1971 die „Pentagon Papers“ an die Öffentlichkeit brachte und damit die Lügen- und Desinformationskampagne der US-Regierung vor und während des Vietnamkriegs zu enthüllen half. Ellsberg ist ein Antikriegsaktivist geblieben und hat jüngere Whistleblower wie Chelsea Manning, Ed Snowden und Julian Assange unterstützt. 2017 erschien sein Buch „The Doomsday Machine: Confessions of a Nuclear War Planner“. Ellsberg lebt in Kalifornien.
Machen sich diese Leute mit strafbar?
Jeder Zuhörer, der gemerkt hat, dass da eine Straftat stattfand, und nichts dagegen unternommen hat, ist ein Komplize. Bislang gibt es keine Hinweise darauf, dass jemand von ihnen versucht hat, den Anruf zu unterbrechen oder die Wahrheit vor den Behörden zu enthüllen. Das wäre in diesem Fall der US-Kongress, denn das Justizministerium ist vermutlich nicht besonders effizient. Denn Justizminister William Barr scheint selbst ein Komplize zu sein.
Welche Unterschiede im Vorgehen gibt es zwischen Ihnen und dem aktuellen Whistleblower?
Ich war selbst Zeuge, als Präsident Lyndon B. Johnson im August 1964 die Öffentlichkeit über die Angriffe auf zwei US-Schnellboote im Golf von Tonkin belog. Er behauptete, es wären Nordvietnamesen gewesen, um so den offiziellen Kriegseintritt der USA zu legitimieren
Ist es illegal, wenn ein Präsident die Öffentlichkeit belügt?
Trump hat das Tausende Male mit seinen Tweets getan und ich glaube nicht, dass ein Gesetz das verbietet. Aber Lügen unter Eid vor dem Kongress sind illegal. Genau das haben Johnsons Mitarbeiter vor dem US-Kongress getan, als sie den Angriff als vietnamesische Provokationen bezeichneten, obwohl er komplett von Amerikanern gemanagt worden war. Ich war einer von vielleicht tausend Leuten, die wussten, dass das Lügen vor dem Kongress waren. Keiner von uns hat das enthüllt. Damit haben wir alle unseren Eid gebrochen, die Verfassung zu verteidigen.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Der Präsident sagt, der jetzige Whistleblower habe lediglich Informationen aus zweiter Hand.
Bislang hat keiner der Zuhörer bestritten, dass der Anruf so stattgefunden hat. Der Whistleblower hat mindestens eine Person identifiziert. Inzwischen hat auch Außenminister Mike Pompeo zugegeben, dass er dabei war. Und ich bin sicher, dass der Whistleblower auch die anderen benennen würde, wenn er vom Kongress gefragt würde. Der Kongress könnte dann Erste-Hand-Informationen bei ihnen einholen.
Anders ist auch, dass dieser Whistleblower den Dienstweg gegangen ist.
Er hat eine Untersuchung eingeleitet, indem er sich an den Generalinspekteur für die Geheimdienste gewandt hat. Er – oder sie – riskiert daher im Augenblick keine Verfolgung. Denn der Generalinspektor hat bestätigt, dass die Person alles richtig gemacht hat.
Was passiert, wenn Trump verhindert, dass der Whistleblower vor dem Kongress aussagt?
In dem Fall würde die Person vor einer ethischen Herausforderung stehen – so wie ich, Manning und Snowden auch. Der Whistleblower müsste die eigene Verfolgung dagegen abwägen, ob er dem Kongress Informationen vorenthalten kann. Wir haben keinen Whistleblowerschutz für jemanden, der eine Geheiminformation an eine Person ohne Top-Secret-Freigabe weitergibt, zum Beispiel an Journalisten.
Was würden Sie tun?
Ich würde einen Präsidenten, der das Recht bricht und der sich selbst schützt, indem er das Geheimhaltungssystem nutzt, nicht unterstützen. Aber ich würde die Information nicht nur dem Kongress geben. Ich selbst habe eineinhalb Jahre verloren, weil ich mich damals auf Senator Fulbright verlassen habe, der mir zugesagt hatte, er würde Hearings über die Pentagon Papers abhalten, das aber wegen Druck aus dem Weißen Haus nicht getan hat. Ich würde sagen: Warte nicht lange. Sprich mit den Medien.
Alles riskieren, um es öffentlich zu machen?
Wir haben hier eine Straftat gegen unsere Verfassung. Einen Versuch, die Macht der Regierung zu nutzen, um eine künftige Wahl mithilfe einer ausländischen Regierung zu eigenen Gunsten zu manipulieren.
Wie erklären Sie, dass der Präsident überhaupt einen solchen Anruf bei dem ukrainischen Präsidenten getätigt hat?
Gewöhnlich schützen Mitarbeiter den Präsidenten davor, illegale Dinge zu tun. Sie lassen das andere erledigen. Dann können sie plausibel bestreiten, dass es der Präsident war. Für mich bedeutet es, dass es diesem Präsidenten egal ist, ob er legal handelt oder nicht. Er hat kein Gespür dafür, dass das Gesetz auch für ihn gilt.
Warum hat ihn niemand abgehalten?
Trumps ehemalige Berater haben gesagt: Tu es nicht, sonst trete ich zurück. Das hat Trump davor geschützt, schon früher ein Amtsenthebungsverfahren zu bekommen. Jetzt hat Trump Leute wie Justizminister Barr, die alles tun, was er verlangt.
Ist es politisch klug, etwas über ein Jahr vor der Präsidentschaftswahl eine Amtsenthebung einzuleiten?
Entweder man akzeptiert die Idee, dass der Präsident über dem Gesetz steht. Oder man unternimmt Anstrengungen, um gegen ihn vorzugehen, wenn es aussieht, als hätte er das Gesetz gebrochen.
Das Amtsenthebungsverfahren wird zu politischem Theater und Schlammschlachten auf dem Höhepunkt des Wahlkampfs führen. Trump ist ein Meister auf diesen Gebieten.
Wer diesen Präsidenten wegen seiner Fähigkeiten als Lügner und Demagoge zu beeindruckend findet, um ihn zur Rechenschaft zu ziehen, wenn er das Recht bricht, akzeptiert eine Autokratie. Auch im Jahr 1776, bei unserer Gründung, waren viele willens, mit einem König zu leben. Aber bislang konnte sich die Minderheit, die keinen absoluten Herrscher will, durchsetzen.
Wenn im demokratischen Repräsentantenhaus die Amtsenthebung durchkommt, wird der republikanische Senat Trump wohl freisprechen. Das könnte im Endspurt des Wahlkampfs passieren und Trump zur Wiederwahl verhelfen.
Die Chance ist groß, dass das Amtsenthebungsverfahren im Repräsentantenhaus durchkommt. Zugleich ist fast sicher, dass Trump im Senat frei gesprochen werden wird. Ich hoffe, dass das Verfahren nicht nur die Republikaner, sondern auch die Demokraten an die Urnen bringen wird. Wir wissen nicht, ob das Verfahren Trump nutzt oder schadet. Aber es gibt noch andere Erwägungen.
Welche?
Wir sollten unseren eigenen Vorhersagen nicht allzu sehr vertrauen. Denken Sie an 2016 – da haben wir uns fast alle getäuscht. Vor einer Woche war die Mehrheit der Amerikaner noch gegen ein Amtsenthebungsverfahren. Heute ist das anders. Und wenn wir nichts unternehmen, würden sich die Leute angewidert von den Demokraten abwenden. Auch das würde Trump helfen.
Sollte das Amtsenthebungsverfahren zum Erfolg führen, hätte eine anonyme Person aus dem Geheimdienst die Demokratie in den USA gerettet.
Übertreiben Sie die Anonymität nicht. Der Generalinspektor der Geheimdienste kennt die Person. Sie ist auch bereit, vor dem Kongress auszusagen. Dabei wird fast sicher ihre Identität bekannt.
Dennoch kommt die Information aus den Geheimdiensten. Was sagt es über die amerikanische Demokratie, wenn ein Whistleblower aus der CIA nötig ist, um erstmals ernsthaft zu versuchen, Trump loszuwerden?
Die Person versucht nicht, Trump loszuwerden. Sondern schlägt vor, dass ihm der Prozess gemacht wird. Entweder vor Gericht. Oder im Kongress. Auch Donald Trump verdient einen fairen Prozess. Ich kann hier nichts erkennen, was auch nur im Entferntesten fragwürdig wäre. Diese Person kommt aus dem Geheimdienst. Ich kam aus dem Verteidigungsministerium. Alle Behörden lügen. Zum Glück gibt es in einer repräsentativen Demokratie Wege, um das herauszubringen. Nur sind die meisten Menschen nicht bereit, ihre Karriere, ihre Familie, die Bildung ihrer Kinder, und alles aufs Spiel zu setzen, um die Gesellschaft und die Behörden zu informieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
„Männer“-Aussage von Angela Merkel
Endlich eine Erklärung für das Scheitern der Ampel