Wettsucht im Fußball: Erneut am Pranger
Der italienische Männerfußball hat mal wieder einen Wettskandal. Das Perfide ist, dass sich bei Suchtprävention für Fans und Profis nichts getan hat.

Der Calcio hat einen Wettskandal, mal wieder. 12 Spieler der Serie A werden von der Mailänder Staatsanwaltschaft verdächtigt, auf illegalen Plattformen Glücksspiele getätigt zu haben. Nationalspieler wie Sandro Tonali und Alessandro Florenzi gehören dazu, außerdem der argentinische Weltmeister Ángel Di María während seiner Zeit bei Juventus Turin. Heraus kam das, weil die betroffenen Spieler ihre Wettschulden über einen Mailänder Juwelier beglichen.
Die beliefen sich auf etwa 1,5 Millionen Euro. Spitzenreiter in dieser Liste war Nicolò Fagioli, damals wie Di María bei Juventus Turin, aktuell beim AC Florenz. 693.000 Euro soll allein er in Luxusuhren und Schmuckstücke anderer Art bei dem Glitzersteineshop angelegt haben, damit dort seine Gläubiger entweder das Geld oder die Objekte abholen konnten.
Fagiolis Name zeigt aber auch, dass vieles an diesem Skandal ein alter Hut ist. Bereits vor zwei Jahren stieß die Turiner Antimafiastaatsanwaltschaft bei ihren Ermittlungen zu Geldwäsche durch die organisierte Kriminalität auf seinen Namen. Fagioli und Tonali wurden auch sportrechtlich gesperrt, weil sie auf Fußballspiele gesetzt hatten.
Dass die beiden nun mit neuen Schlagzeilen über alte Sünden in den Medien sind, besorgt den Psychologen und Glücksspielsuchtexperten Paolo Jarre. Er therapierte Fagioli in den letzten anderthalb Jahren. „Es ist ein großes Problem, das einerseits den langen Zeiten der Justiz geschuldet ist, andererseits aber auch der Schludrigkeit der Medien.“
„Alte Wunden aufgerissen“
Denn aus den meisten Berichten könne man nicht entnehmen, dass sich all das auf Dinge bezieht, die vor mehreren Jahren passiert sind. „Jetzt erneut im Zentrum der Berichterstattung zu stehen, bedeutet für einen jungen Mann wie Nicolò Fagioli, aber auch für andere, sicherlich das Wiederaufreißen einer Wunde, die gerade erst verheilt ist“, sagte Jarre der taz.
Fagioli selbst reagierte verletzt. Auf Instagram postete er: „Ich habe meine Schuld gegenüber der Justiz beglichen, mit einer Verurteilung und einer Sperre, mit fortwährenden Demütigungen und großer Scham sowie dem Risiko, nicht mehr aufstehen zu können. Dieselbe Presse, die sich mit den schwerwiegenden Problemen meiner Krankheit und dem Umgang damit befasste, stellt mich jetzt erneut an den Pranger. Noch einmal: Ich trage die Last, etwas Schlimmes getan und alle Menschen enttäuscht zu haben, die an mich geglaubt haben. Aber wenn ich jetzt diesen ganzen Medienrummel sehe, erlebe ich diese Geister wieder. Dieses Mal ist nichts davon fair.“
Ausmaß der Sucht verborgen
Da hat Fagioli weitgehend recht. Das bemerkenswerteste Detail an den jetzt veröffentlichten Erkenntnissen ist auch nicht das Zocken an sich, das Fagioli und Tonali, die beide in therapeutischer Behandlung waren, jetzt hoffentlich im Griff haben. Erschreckend ist vielmehr die Tatsache, dass Fagioli insgesamt 31 Menschen, darunter Teamgefährten bei Juventus und in den Nachwuchsnationalmannschaften, dafür gewann, für ihn die Zahlungen zu tätigen. Er konnte so das Ausmaß seiner Spielsucht verbergen. Das ist auch eines der klinischen Kriterien zur Diagnose des Suchtverhaltens.
Weitere sind laut Jarre „Entzugssymptome beim Aufhören, der Zwang zu immer höheren Einsätzen, um das gleiche Maß an Zufriedenheit zu erreichen, das Ausleihen von Geld, das Vernachlässigen anderer normaler Beschäftigungen wie Arbeit und Familie“.
Strukturell nichts verändert
Die perfideste Komponente des aktuellen Medienrummels ist aber, dass sich in den letzten zwei Jahren nach dem ursprünglichen Skandal in Sachen Suchtprävention im Fußball strukturell nichts getan hat. Weder in Italien, wie Jarre konstatiert, noch in Deutschland. „Es gab Medienberichte, die für das Thema Glücksspielsucht sensibilisieren. Erste Vereine wie etwa der 1. FC Nürnberg öffnen sich für diese Thematik. Aber wir haben weder Forschungen aktueller Art noch substanziellere Präventionsbemühungen. DFB und DFL sind maximal passiv“, kritisiert der Bremer Glücksspielforscher Tobias Hayer. Hayer betont, dass sowohl Mitglieder von Sportvereinen als auch Fans zur Risikogruppe im Glücksspielbereich zählen, mit einer bis zu Faktor 3 erhöhten Wahrscheinlichkeit gegenüber der Allgemeinbevölkerung, an der Sucht zu erkranken.
Bessere Prävention läge im Interesse des gesamten Fußballbetriebs. Und weil mittlerweile kaum ein Verein der Bundesliga auf Werbeverträge mit Wettunternehmen verzichten mag, wäre es ein Hebel, einen Teil dieser Summen direkt in die Prävention der eigenen Spieler und Angestellten und auch der Fans zu investieren.
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