Wer hat denn die Medaillen gewonnen? Unsere!

■ Prozesse wegen Dopings in der DDR? Rache, heißt es im Osten, Siegerjustiz! Gedopt wurde überall

Kaum hat der Dopingprozeß gegen Trainer und Ärzte aus der DDR begonnen, schon taucht das böse Wort im Osten wieder auf: Siegerjustiz. Wie die Prozesse gegen Honecker, gegen Mielke, gegen Krenz, gegen die Mauerschützen, alles Siegerjustiz. Hier geht es doch nicht um irgendwelche Trainer – dem ganzen DDR-Sport wird der Prozeß gemacht. Erst alles Stasi, jetzt alles Doping. Das ist Rache! Wer hat denn im Schwimmen bei den Olympischen Spielen Gold gewonnen? Und wer im Rodeln, im Rudern, im Turnen, im Eiskunstlauf? Unsere!

So spricht der Osten.

Diese Stimmung wissen die Verantwortlichen des DDR- Sports zu nutzen. „Die Verdammung der DDR soll auf den Sport ausgedehnt werden“, heißt es in einer Erklärung zu dem Dopingprozeß, die unter anderem die früheren Präsidenten des Deutschen Turn- und Sportbundes, Manfred Ewald und Klaus Eichler, sowie der einstige Abteilungsleiter Sport im ZK der SED, Rudi Hellmann, unterzeichnet haben. „Ziel ist es, zu beweisen, daß Erfolge der DDR-Sportler auf Gesetzesverletzungen gegründet sind.“ Den Angeklagten gehört ihre Sympathie, „gehören sie doch zu denen, die sich schon zu DDR-Zeiten um die Gesundheit der Athleten sorgten“.

Kleiner Schönheitsfehler bei der Siegerjustiz-Argumentation: Die Dopingprozesse sind von Ostdeutschen angestrengt worden – von Opfern der DDR-Dopingpraxis. Sportler haben ihre ehemaligen Trainer angezeigt.

Wer im Kollektivismus groß geworden ist, weiß manchmal wenig von individueller Verantwortung. Das Denkmuster ist simpel und verführerisch: Entweder sind wir alle schuldig – oder alle unschuldig. Warum, so wird gefragt, klagt man jetzt die „kleinen“ Trainer an und läßt die „großen“ Befehlshaber im Zentralkomitee laufen? Weil sie die wegen Körperverletzung nicht drankriegen. Doping ist nun mal nicht strafbar. Und außerdem: Gedopt wurde auf der ganzen Welt. Jens König