piwik no script img

Wenn der Flirt von früher sich meldetDeep Talk per Sprachnachricht

Ans Flirten ist grade kaum zu denken, Ellbogen­checks sind logistisch schwer genug. Und dann wollen auf einmal alle tiefsinnige Gespräche führen.

Umarmungen zur Begrüßung? Das war einmal, angesagt ist jetzt der Ellbogencheck Foto: ZUMA Wire/imago

K eine Sorge, ich werde jetzt keine Flirt­anleitung geben, wie man die Corona­zeit übersteht als sexuell aktiver Mensch ohne Partner (kurz SAMOP – oder Single meinetwegen). Der Grund, warum ich das unterlasse, ist ganz einfach: Ich weiß es nicht. Wäre ich imstande, Flirttipps zu geben, würde ich nicht ständig neben Resten von ­Spinattiefkühlpizza aufwachen.

Ich will lieber über etwas sprechen, was mir seit ein paar Wochen auffällt und mir jetzt durch ein paar Freunde bestätigt wurde: Aufregende Flirts sind zu Therapiestunden verkommen.

Ich muss kurz ausholen. Diese Pandemie hat innerhalb kürzester Zeit unsere Art zu kommunizieren stark verändert. Wir, statt uns zur ­Begrüßung die Hand zu geben, versuchen uns an unangenehmen wie auch logistisch völlig unmöglichen Ellbogenchecks. Über Umarmungen spricht kein Mensch mehr, und ich hoffe inständig, dass man das Küssen nicht verlernt, denn sonst sieht es schlecht aus für SAMOPs.

Auch im Job: Ich bin überzeugt, dass es Leute gibt, die „Bleibt gesund“ schon in ihre E-Mail-Signatur kopiert haben. Selbst Autowerbung spricht jetzt von „Zusammenhalt“ und „Wir sind für euch da“. Da ist es natürlich naheliegend, dass Flirts auch nicht mehr das sind, was sie mal waren.

Coronaflirter plaudern über die Psycho-Ex

Ein Beispiel aus meinem Leben. Ein Typ, mit dem mich eine On-off-Geschichte verbindet, hat mich neulich völlig aus dem Nichts angeschrieben und wollte wissen, wie es mir „in dieser absurden Zeit“ eigentlich so ginge und ob wir uns mal sehen wollten. Dann holte er aus und schickte mir lange Sprachnachrichten darüber, wie es ihm ginge und wie nervig alles momentan wäre und überhaupt und alles und wann es wieder vorbei wäre und so weiter.

Ich finde es gut, dass Menschen sich mitteilen,aber wie kam er darauf, mich zu kontaktieren?

Versteht mich nicht falsch. Ich finde es gut, dass Menschen sich mitteilen, und dass er mir sein Herz ausschüttete, war okay. Sprachnachrichten länger als acht Minuten verstoßen zwar gegen alle Menschenrechtskonventionen, aber darum soll es nicht gehen. Ich war dennoch aus zwei Gründen überrascht. Erstens: Wieso wollte er sich treffen, hatte er nichts von Corona mitgekriegt? Zweitens: Wie kam er darauf, mich zu kontaktieren, und wie viele hatte er wohl vorher angeschrieben?

Meine Freundin Jule, der ich die Geschichte kurz erzählte, bestätigte mein Gefühl. Selbst bei ganz neuen Flirts mit unbekannten Menschen wird nun der Small Talk übersprungen, und es geht direkt zur Sache. Aber nicht zur guten Sache. Statt: „Und was machst du so in deiner Freizeit?“, kommen Coronaflirter schnell auf ihre „Psycho-Ex“ zu sprechen und darauf, wieso sie alles zerstört hat und ein oberflächlicher Mensch war. Und nach 18 Nachrichten, in denen sie ihr innerstes, intimstes Seelenleben zum Besten geben, wird in einem sehr ungeschickten Schlenker gefragt: „Und wie geht’s dir in dieser absurden Zeit?“ Nie zuvor hatte ich mir belanglosen Small Talk zurückgewünscht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Anna Dushime
Journalistin, Speakerin und freie Kreative. Kolumne: "Bei aller Liebe". Foto: Pako Quijada
Mehr zum Thema

0 Kommentare