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Wenn Nebelhörner tutenGefühlter Sieg

In der Fußball-Bundesliga der Männer bringt Werder Bremen beim 2:2 gegen Meister Leverkusen dessen Kombinationsmaschine ins Stocken.

Kann mit seiner Mannschaft zufrieden sein: Werder-Trainer Ole Werner Foto: Carmen Jaspersen/dpa

Bremen taz | Das Bild auf dem Rasen erinnerte nach dem Schlusspfiff mehr an einen 120-minütigen Pokalfight als an ein normales Bundesligaspiel. Nahezu alle Spieler sackten erschöpft zu Boden, fix und fertig von diesem intensiven Spiel, in dem beide Mannschaften bis zur 96. Minute jede Möglichkeit genutzt hatten, den Ball vor das Tor des Gegners zu treiben.

Nachdem sie sich mühsam erhoben hatten, verschwanden die Leverkusener enttäuscht in der Kabine. Bis zur 90. Minute hatten sie die erhofften drei Auswärtspunkte in der Hand gehalten und mussten dann erneut die Erfahrung machen, dass ihnen das Siegen schwerer fällt als in der Vorsaison, in der sie ohne Niederlage bis zur Meisterschaft durchmarschiert waren.

Die Bremer machten sich derweil auf eine Stadionrunde, in der sie gefeiert wurden, als hätten sie gerade einen Titel errungen. Selten hat ein Unentschieden in diesem Stadion mehr Emotionen freigesetzt. Und das nicht nur, weil im vierten Anlauf endlich die ersten Heimtore fielen, die das in dieser Saison bislang stumm gebliebene Nebelhorn in Gang setzen, mit dem hier jedes Werder-Tor gemeldet wird.

Offener Kampf

Vor knapp einem Jahr waren die Bremer Zuschauer sogar nach einem 0:3 gegen Leverkusen noch einigermaßen beseelt nach Hause gegangen – in dem sicheren Gefühl, den künftigen deutschen Meister und schönsten Fußball der Liga gesehen zu haben. Jetzt sahen sie mit Stolz, dass ihre Mannschaft dem Doublesieger mittlerweile einen offenen Kampf liefern und eine Halbzeit lang sogar den Ton angeben kann.

Dabei hinderten die Grün-Weißen die Leverkusener Kombinationsmaschine oft schon weit in deren Spielfeld-Hälfte am vollen Aufdrehen. Im Gegenzug gelangen ihnen vor allem in der ersten Halbzeit zahlreiche klug aufgebaute Angriffe, die zum Torabschluss führten. Sie ließen sich auch nicht dadurch entmutigen, dass aus ihren Chancen zunächst nichts heraussprang, während der Gegner seine erste Chance zum 1:0 durch Victor Boniface nutze.

Selbst als Felix Agu nach dem zwischenzeitlichen Ausgleich durch einen Kopfballtreffer von Marvin Ducksch den Ball in der 78. Minute aus kurzer Entfernung ins eigene Tor schoss, ließ die Überzeugung in die eigene Stärke nicht nach. „Wir waren griffig und gallig. Wir hatten extrem viele Torchancen und haben verdient den Punkt geholt“, sagte Kapitän Marco Friedl nach dem Spiel. „Wir wollen den nächsten Schritt gehen und uns weiterentwickeln, das sagen wir als Team immer wieder.“

„Entwicklung“ ist ein Schlüsselwort der bisherigen Amtszeit von Trainer Ole Werner. In dieser hat er Werder zum einzigen Bundesliga-Absteiger der letzten sieben Jahre gemacht, der sich wieder in der ersten Liga etablieren konnte. Der HSV, Schalke 04, Hertha BSC, 1. FC Köln, Hannover 96, 1. FC Nürnberg, Fortuna Düsseldorf und andere stecken immer noch in der 2. Liga fest.

Aus der 2. Liga

Als Werner den Club Ende November 2021 auf Platz zehn der 2. Liga übernahm, standen bereits neun Spieler im Kader, die jetzt noch eine wichtige Rolle spielen. Während andere Absteiger ihren Kader in den letzten drei Jahren teilweise mehrfach durcheinandergewirbelt haben, setzt Werder auf Kontinuität. In den ersten beiden Saisons nach dem Wiederaufstieg standen die Plätze 13 und neun zu Buche, aktuell rangiert das Team auf Platz acht.

Junge Spieler wie Marco Friedl, Felix Agu und Romano Schmid haben sich unter Werner stark verbessert, die erfahrenen Kräfte mindestens ihr Niveau gehalten. Torwart Michael Zetterer machte Trainer Werner zum Stammspieler und Marvin Ducksch, dessen Bundesliga-Tauglichkeit anfangs angezweifelt wurde, hat es unter ihm in die Nationalelf geschafft.

Von hinten heraus

Mit den Zugängen Senne Lynen und Jens Stage ist mehr Stabilität in der Mittelfeldzentrale dazugekommen. Das Zusammenspiel hat Werner von hinten heraus entwickelt. Erst wurde die Abwehr stabilisiert und dann der Kombinationsfluss nach vorne verfeinert. Lange Bälle auf einen Zielspieler gibt es seit dem Abgang von Niclas Füllkrug vor eineinhalb Jahren kaum noch zu sehen. Die jungen Offensivkräfte Justin Njinmah, Derrick Köhn, Marco Grüll und Keke Topp sollen künftig für noch mehr Tempo und Abschlussqualität sorgen.

Parallel zur spielerischen Weiterentwicklung veränderte sich die Chemie in der Kabine. „Als wir abgestiegen sind und auch später im ersten Jahr Bundesliga war es noch nicht so homogen wie jetzt“, sagte Romano Schmid vor Kurzem auf dem Werder Bremen-Onlineportal Deichstube. „Inzwischen kann man alles offen ansprechen, niemand ist gleich sauer.“ Besonders Schmid selbst profitiert von der neuen Atmosphäre – er wird immer mehr zum Dreh- und Angelpunkt des Bremer Spiels. Gegen Leverkusen krönte er seine Leistung mit dem Ausgleich in der 90. Minute durch einen herrlichen Schuss in den Winkel.

Die letzten Absteiger vor Werder, die es wieder nach oben schafften, hießen VFB Stuttgart und SC Freiburg. So weit wie diese ist Werder in seiner Entwicklung noch nicht. Die Bremer haben sich aber auf ihre Spur gesetzt.

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