Weniger Risiko mit Kennzeichnung: Front gegen anonyme Polizeischläger
Nach Urteil von Menschenrechts-Gerichtshof wollen Grüne die Kennzeichnungspflicht für Polizisten wieder auf die Tagesordnung setzen. SPD blockt, Gewerkschaften maulen
Möller verwies auf ein jüngst ergangenes Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der sich mit der Frage befasste: Gibt es ein Recht darauf, identifizierbaren PolizistInnen gegenüberzutreten? Der Gerichtshof bejahte diese Frage und verurteilte Deutschland zur Zahlung einer Entschädigung, weil es gegen Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verstoßen habe, die ein Verbot von Folter und unmenschlicher, erniedrigender Behandlung vorsieht.
Geklagt hatten zwei Münchner Fußballfans, die geltend machten, dass sie am 9. Dezember 2007 beim Lokalderby zwischen dem FC Bayern und 1860 München beim Verlassen des Stadions anlasslos von Polizisten angegriffen worden seien. Die 227 eingesetzten Polizisten seien größtenteils in identischen Uniformen mit Helmen, Visier und Gesichtsmasken ausgestattet gewesen.
„Der Gerichtshof bekräftigt, dass, soweit die zuständigen nationalen Behörden maskierte Polizeikräfte einsetzen, um Recht und Ordnung aufrechtzuerhalten oder Verhaftungen durchzuführen, diesen Kräften vorgeschrieben sein sollte, sichtbar Unterschiedsmerkmale wie etwa Identifikationsnummern zu tragen“, heißt es in dem Urteil.
Die Forderung der Grünen und von Bürgerrechtsorganisationen, eine Kennzeichnungspflicht für Polizisten einzuführen, ist in Hamburg bisher am jeweiligen Koalitionspartner CDU und SPD gescheitert.
Bei der Kennzeichnungspflicht gibt es mehrere Modelle: entweder die Namensnennung oder individuelle Zahlencodes, die rotierend verändert werden könnten, aber verifizierbar blieben.
Heute schon machen einzelne Beamte im Streifendienst von der Namenskennung Gebrauch, weil sie Bürgern nicht anonym entgegentreten wollen.
Die Hardliner der Gewerkschaft der Polizei (GdP) und der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) leisten gegenüber der Politik gegen die Kennzeichnungspflicht Widerstand, weil dadurch Polizisten unter Generalverdacht gestellt würden oder identifiziert werden könnten.
Diese Befürchtungen sind nach Untersuchungen der Länderpolizeien, die eine Kennzeichnungspflicht eingeführt haben, unbegründet.
Im Gegensatz zur GdP und der DPolG findet die Gewerkschaft Bund deutscher Kriminalbeamter (BdK), dass nichts gegen eine Kennzeichnungspflicht spricht. Schließlich müssten sich Kriminalbeamte stets mit vollem Namen unter Angabe ihrer Dienststelle zu erkennen geben.
Denn das Unvermögen von Augenzeugen und Opfern, PolizistInnen, denen Misshandlungen vorgeworfen werden, zu identifizieren, könne „zu einer praktischen Straffreiheit für eine bestimmte Kategorie von Polizeibediensteten führen“.
Der Einsatz von Polizeieinheiten ohne individuelle Kennzeichnung sei von vornherein geeignet, die Effektivität von Ermittlungen zu behindern. Damit riskiere der deutsche Staat, die Standards zu unterschreiten, welche die Menschenrechtskonvention für eine Untersuchung mutmaßlicher Polizeigewalt vorsieht.
Davon, dass der deutsche Staat sich das regelmäßig leistet, kann der Hamburger Anwalt Marc Meyer ein Lied singen. Ein Beispiel ist sein Strafantrag gegen einen Polizisten wegen versuchten Totschlags bei einer Demonstration im Dezember 2007, der wie ähnliche Verfahren wegen Körperverletzung im Sande verlief. Nach eineinhalb Jahren wurde das Verfahren von der Staatsanwaltschaft eingestellt, weil der Täter nicht ermittelt werden konnte. Der Polizeischläger blieb bis heute unerkannt.
Mit Tonfa-Stock Ohr abgetrennt
Meyers Mandanten war bei der Demonstration gegen Repression durch den „Terrorparagrafen 129a“ nach dem G8-Gipfel in Heiligendamm mit dem Nahkampfstock Tonfa ein Ohr abgetrennt worden. Nach diversen Stopps hatte sich die Demonstration gerade auf der Höhe des Hallenbads in St. Pauli befunden. „Es war eine total ruhige Situation“, erinnerte sich das damals 36-Jährige Opfer, „da war nichts.“
Dann seien sechs bis acht Polizisten in „hellgrünen Uniformen“ und in „lockerer Formation“ auf ihn zugekommen und ein Beamter habe plötzlich mit dem Tonfa auf ihn eingeschlagen. Die Polizisten seien dann weitergezogen, als wäre nichts gewesen.
Ihm sei zunächst gar nicht klar geworden, „wie schlimm das war“, sagte das Opfer. Dass ihn die Attacke sein linkes Ohr gekostet habe, bemerkte er erst dadurch, dass „Leute und Sanitäter begannen, in der Umgebung nach dem Ohr zu suchen“.
Täter ließ sich nicht ermitteln
Obwohl die markanten quittengrünen Uniformen auf eine Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) der Berliner Polizei schließen ließen, konnte das von der Staatsanwaltschaft beauftragte Dezernat interne Ermittlungen (DIE) den Täter angeblich nicht ermitteln. Letztendlich blieben bis zum Schluss 120 tatverdächtige Polizisten der Berliner BFEs übrig.
Aus den lückenhaften Einsatzprotokollen ließ sich der Trupp des Schlägers nicht herausfiltern. KeineR der vernommenen BeamtInnen, die damals alle Kampfmontur mit Helmen und Sturmhauben darunter trugen, wollte Täter gewesen sein noch etwas gesehen haben. „Selbst nach Vorlage von Videofilmen blieb der Trupp unerkannt, weil es damals keine Kennzeichnungspflicht gegeben hat“, erinnert sich Anwalt Meyer.
Durch die Vorkommnisse beim G20-Gipfel in Hamburg im Juli hat diese alte Forderung nach einer Kennzeichnungspflicht für Polizisten gerade an Aktualität gewonnen. Denn der Gipfel zeigte, dass es zu unkontrollierter Polizeigewalt aus Frustration oder politischem Hass kommen kann.
122 Ermittlungsverfahren waren mit Stand vom 21. Dezember gegen PolizistInnen anhängig – vornehmlich wegen Körperverletzung, Bedrohung, Nötigung oder Freiheitsberaubung. „Die Ermittlungen laufen noch“, sagt Nana Frombach, die Sprecherin der Staatsanwaltschaft.
Brisant an der aktuellen Entscheidung des Gerichtshofs für Menschenrechte ist, das dieser rechtsstaatliche Mängel bei der Aufklärung möglicher Menschenrechtsverletzungen als Verletzung der Menschenrechtskonvention betrachtet. Das Bundesverfassungsgericht als Vorinstanz habe der Pflicht des deutschen Staates zur Aufklärung nicht ausreichend Rechnung getragen.
Klare Worte aus Straßburg – und dennoch tut sich auch die rot-grüne Rathauskoalition schwer mit Konsequenzen. Im Koalitionsvertrag hat sie zwar vereinbart, „Gespräche mit den Polizeigewerkschaften aufzunehmen, um zu prüfen, ob und wie eine Kennzeichnungspflicht auch bei der Hamburger Bereitschaftspolizei eingeführt werden kann“, getan hat sich in zwei Jahren allerdings nichts.
Das wollen die Grünen nun ändern. „Das Urteil hat eine klare Botschaft: Zum rechtsstaatlichen Handeln gehört auch dessen Überprüfbarkeit“, sagt Antje Möller.
Das Urteil stärke das Argument, dass das Allgemeininteresse an der Kontrollierbarkeit staatlichen Handelns nicht als ungerechtfertigter Generalverdacht gegen die Polizei zu werten sei. Damit sei die Chance gewachsen, „den dicken Brocken vom Tisch zu bekommen“, sagt Möller, wenngleich die Gespräche mit den Polizeigewerkschaften nicht leicht würden.
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