Weltspiele der Nomaden: Ringen um Identität
Der türkische Präsident Erdoğan hat die World Nomad Games in sein Land geholt. Der sportliche Wettbewerb spielt dabei nur eine Nebenrolle.
Es sind Bilder wie gemacht für die Algorithmen der gängigen Social-Media-Kanäle: Ein brennender Reiter galoppiert in einem fünfsekündigen Clip durch ein nachtdunkles Hippodrom; nur einen Scroll weiter posieren Bogenschützinnen in traditioneller Kleidung vor einem wolkenlosen Himmel – alles unterlegt mit den Klängen archaischer Saiteninstrumente. Es ist vermutlich genau der Content, den sich die türkischen Veranstalter erhofften, als sie vor vier Jahren den Zuschlag erhielten, die World Nomad Games auszurichten.
Zuvor hatte dreimal Kirgistan die Olympischen Spiele für traditionell nomadische Sportarten ausgerichtet und den Ablauf von Jahr zu Jahr professionalisiert. 2018 kamen Tausende Sportler:innen aus der ganzen Welt in das zentralasiatische Land, um sich in über 30 verschiedenen Sportarten von Bogenschießen hoch zu Ross bis zu Mancala-Brettspielen zu messen.
Dieses Jahr wurden die malerischen Gipfel und Bergseen des Tienschangebirges an der Grenze zwischen Kirgistan und Kasachstan durch ein Gelände am westtürkischen İzniksee eingetauscht, unweit des Marmarameeres. Hier erinnert wenig an die zentralasiatische Weite. Spuren nomadischen Lebens wie Jurten sucht man in der modernen Türkei vergeblich. Die rapide Urbanisierung in den letzten fünfzig Jahren hat in großen Teilen Anatoliens für uniforme Stadtbilder gesorgt.
Und doch sind Inszenierungen wie am vergangenen Wochenende in İznik keine Seltenheit unter der rechtsnationalistisch und islamisch-konservativen Regierungskoalition. Die Vorstellung einer Einheit der Turkvölker, auch bekannt als Panturkismus, erfreut sich seit jeher großer Beliebtheit bei nationalistischen Eliten in der Türkei. Präsident Recep Tayyip Erdoğan greift auf ähnliche Narrative zurück.
Historische Bezüge
So ließ er sich bei einem Staatsbesuch mit kostümierten Clanführern der „16 historischen Turkstaaten“ inszenieren; auch wird keine Gelegenheit ausgelassen, um an den Geist von Manzikert zu appellieren, wo im Jahre 1071 das christliche Byzanz von den Seldschuken bezwungen wurde und die türkische Ansiedlung in Anatolien begann.
Vor der eigenen Wählerschaft geriert sich Erdoğan damit als legitimer Nachfolger mit Großmachtanspruch. Und auch in der Außenpolitik findet sich diese Symbolik wieder, indem im zentralasiatischen Kontext gebetsmühlenartig von Brudervölkern gesprochen wird. Mit der 2009 gegründeten Organisation der Turkstaaten gibt es zudem eine von der Türkei initiierte Kooperationsplattform. Doch meist bleibt es bei rhetorischen Figuren – Russland und China sind in der Region ökonomisch und sicherheitspolitisch wesentlich einflussreicher, während die Türkei auf Soft Power setzt.
Aus sportpolitischer Sicht mischt Ankara aber mit: Erdoğans Sohn Bilal, seines Zeichens begeisterter Bogenschütze, ist seit 2017 Präsident des Weltverbands der Ethnosportarten. Dieser hat zwar angesichts der vielen zersplitterten Regionalverbände bislang nur wenig Einigungskraft entwickelt, es gilt aber als ein erster Erfolg, dass die Spiele jetzt in der Türkei stattgefunden haben, obwohl dort Pferdesport höchstens in Wettbüros Beachtung findet.
Dies schlug sich auch im Programm nieder: Statt Sport standen kulturelle Aspekte im Vordergrund. Es gab einen von der türkischen Entwicklungshilfeorganisation TİKA präsentierten Foodcourt, traditionelle Konzerte und vor allem viel Instagram-taugliche Folklore. Einen Medaillenspiegel und umfassende Livestreams der parallel stattfindenden Wettbewerbe suchte man hingegen vergeblich, und auch der Umfang der Wettkampfsportarten wurde deutlich reduziert.
Neben diversen traditionellen Ring- und Bogendisziplinen ist bei den World Nomad Games Kök Börü (auch als Kökpar oder Buzkashi bekannt) das Highlight. Zwei Teams aus fünf Reitern versuchen einen Ziegenkadaver möglichst häufig in den gegnerischen Tay Kazan – ein brunnenförmiges, achtzig Zentimeter breites Gebilde – zu bugsieren, ähnlich der Spieldynamik gängiger Ballsportarten. In der Vergangenheit galt es stets als Politikum, nach welchen Regeln gespielt wird: mit Tay Kazan oder nur mit einem Kreis auf dem Boden als Ablageziel. Die türkischen Veranstalter umgingen dies einfach, indem je einmal nach kasachischen und kirgisischen Regeln gespielt wurde.
Die nächsten World Nomad Games werden wieder in Zentralasien ausgetragen: Kasachstan will im Jahr 2024 erstmals die Spiele ausrichten, vermutlich dann wieder mit Streitereien ums richtige Regelwerk, aber dafür auch mit spannenderem sportlichen Wettkampf.
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