Weltkonferenz zur Telekommunikation: Schach dem freien Internet
Wie viel Einfluss darf eine UN-Behörde auf das bisher nicht-staatlich kontrollierte Internet haben? Und soll Google für den Netzausbau zahlen? Darüber wird in Dubai verhandelt.
![](https://taz.de/picture/182168/14/ITU_dubai_0312.jpg)
Es war im Juni 2011, als der damalige russische Ministerpräsident Wladimir Putin der Genfer Zentrale einer wenig bekannten Organisation einen Besuch abstattete: der Internationalen Fernmeldeunion ITU, einer UN-Unterorganisation, die bislang vor allem die technischen Aspekte des grenzüberschreitenden Telefonverkehrs regelt. Vor der Presse erklärte Putin den Grund seiner Mission: Er unterstütze das Ziel „internationaler Kontrolle über das Internet mithilfe der Kontroll- und Überwachungsmöglichkeiten der ITU“.
Was etwas umständlich klingt, ist inhaltlich hochbrisant: Bislang wird das Internet von einem losen Netzwerk nichtstaatlicher Organisationen verwaltet. Wenn es nach Putin geht, würden in Zukunft Staaten die Kontrolle über das Netz übernehmen – mithilfe der ITU.
Die Chance dafür bietet die Reform des zentralen ITU-Vertragswerks, über die ab Montag bis zum 13. Dezember von 193 Staaten auf der Weltkonferenz zur internationalen Telekommunikation (WCIT) in Dubai verhandelt wird. Nötig ist die Vertragsreform, weil sich die Welt der Telefonie seit der letzten Änderung im Jahr 1988 radikal gewandelt hat. Statt im Festnetz wird heute vor allem mobil telefoniert, statt Telefonleitungen nutzen Internettelefonie-Anbieter wie Skype die Datenleitungen des Internets.
Es liegt daher nahe, der ITU auch Regelungskompetenz für das Netz zu geben. Russland, China und einige arabische Länder planen sogar, zentrale Aspekte über die ITU regeln zu lassen: beispielsweise die Verteilung der IP-Adressen, den Inhalt von Webseiten oder Fragen der Internetsicherheit.
Zensur und technologischer Stillstand?
Für Netzaktivisten ist das ein Horrorszenario: „Die Vorschläge von China und Russland bedrohen die Freiheit und die Menschenrechte im Netz“, fürchtet die Bürgerrechtsgruppe Access. Der US-amerikanische Informatiker Vint Cerf, er gilt als einer der Entwickler des Internets, erklärte im Mai vor dem US-Kongress: „Das offene Netz war nie in größerer Gefahr als jetzt.“ Die Kritiker befürchten neue staatliche Überwachungsmöglichkeiten, Zensur und technologischen Stillstand. Die bisherige dezentrale Verwaltung des Internets seien die wesentlichen Grundvoraussetzungen für ein kreatives und freies Netz.
Diese Haltung vertreten auch die meisten westlichen Länder, allen voran die USA und Europa. Sie haben angekündigt, auf jeden Fall gegen Vorschläge für mehr Internetkontrolle zu stimmen. Die Bundesregierung will sich bei der Konferenz für „Offenheit, Transparenz und die Freiheit des Internets“ einsetzen.
Entsprechend rechnen Beobachter nicht damit, dass sich die Chinesen und Russen durchsetzen werden. Denn weil technologische Übereinkünfte nur dann Sinn ergeben, wenn sich alle daran halten, treffen die 193 ITU-Mitgliedstaaten ihre Beschlüsse einstimmig.
„Es wird im Moment viel Feuer entfacht und viel Rauch gemacht, aber am Ende wird man die bestehenden Regeln nicht in Frage stellen“, sagt Wolfgang Kleinwächter, der an der Universität Aarhus zu Internetpolitik forscht. Kleinwächter glaubt aber dennoch, dass das Thema Netzkontrolle noch für mehrere Jahre auf der Agenda stehen wird: „Dubai ist eher der Eröffnungszug in einer langen Schachpartie um die Frage, wie das Internet reguliert wird. Das ist eine der großen Fragen der Weltpolitik.“
Google Onlinepetition
Doch nicht nur um politische, sondern auch um wirtschaftliche Interessen geht es in Dubai. Unter dem Stichwort #FreeAndOpen lancierte Google im November eine Onlinepetition gegen das Vorhaben einiger Länder, auf der WCIT in Dubai das Internet unter verstärkte staatliche Kontrolle zu bringen.
„Eine freie und offene Welt braucht ein freies und offenes Internet“, heißt es da; und etwas konkreter: Würden bestimmte Vorschläge für die Vertragsänderung in Dubai Wirklichkeit, „müssten Dienste wie YouTube, Facebook und Skype Gebühren entrichten, um für Menschen überall auf der Welt zugänglich zu sein“.
Der Verweis auf mögliche finanzielle Belastungen für die Konzerntochter YouTube zeigt: Die Kampagne gegen die ITU, gegen mögliche staatliche Zensur und für Freiheit im Netz, hat für Google auch einen wirtschaftlichen Hintergrund. Es geht um die Frage, ob die Internetfirmen, die immer größere Datenmengen durchs Netz schicken, für den dafür nötigen Ausbau der Infrastruktur zahlen sollen. Dieser Vorschlag steht in Dubai auf der Tagesordnung.
Hinter der Idee steht federführend die Vereinigung der europäischen Telekommunikationsnetzbetreiber Etno. Sie repräsentiert unter anderem die Deutsche Telekom, France Télécom und Telecom Italia – allesamt ehemalige Monopolisten, deren althergebrachtes Geschäftsmodell bedroht ist, weil Auslandstelefonate zunehmend kostengünstig über Internetanbieter wie Skype abgewickelt werden.
Gebühren für große Datenmengen
Der Etno-Vorschlag sieht vor, von Anbietern großer Datenmengen wie YouTube oder Skype für jeden Besucher Gebühren zu verlangen. Kritiker halten das für wenig praktikabel. Etno schlägt außerdem vor, eine Art Zweiklasseninternet einzuführen und damit zusätzliche Erlöse für den Netzausbau zu generieren. Dabei würden Anbieter, die große Datenmengen schnell befördern wollen, zur Kasse gebeten.
„Wir wollen ein Preismodell, das die Einkünfte von Netzbetreibern sichert und das den Anbietern von Inhalten erlaubt, besser auf dem Markt konkurrieren zu können“, fordert der Etno-Vorsitzende Luigi Gambardella. Das Zweiklasseninternet würde allerdings mit dem Prinzip der Netzneutralität brechen, das bislang dafür sorgt, dass es unter den im Internet verschickten Datenpaketen keine Vorzugsbehandlung gibt.
Das Vorhaben der Europäer, so erklärt Milton Mueller von der US-amerikanischen Syracuse University, stehe „in einer Reihe andauernder Kämpfe darüber, wie das Internet die traditionellen Telekomgeschäfte und -märkte zum Erliegen gebracht hat“. Allerdings stehen die Chancen schlecht, dass sie damit in Dubai Erfolg haben werden.
Zwar steht die ITU selbst der Idee wohlwollend gegenüber, doch europäische Regierungen wollten den Vorschlag nicht übernehmen. Mittlerweile hat sich offenbar das ITU-Mitgliedsland Kamerun bereit erklärt, die Etno-Formulierungen in ihrem Änderungsantrag aufzunehmen. Bleibt die Konferenz aber bei ihrem Konsensprinzip, hat der Antrag keine Chance. Google hat dafür seinen Teil geleistet.
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