Weitere Proteste in Frankreich: Müllkrise im Rentenstreit
Während in Frankreich die Parlamentskammern einen Kompromiss zur Rentenreform suchen, protestieren wieder Hunderttausende und streikt die Müllabfur.
Es gibt weiterhin Streiks und Blockaden in zahlreichen Sektoren der Wirtschaft und öffentlichen Dienste. Besonders sichtbar ist der Konflikt bei der Müllabfuhr in Paris und anderen Städten. Dort stapeln sich seit mehr als einer Woche die Abfälle.
Der Müllstreik wurde längst zum Politikum, mit dem beide Seiten Druck machen. Stadtbehörden machen die Zentralregierung mit ihrer provozierenden Reform für das stinkende Chaos verantwortlich. Innenminister Gérald Darmanin dagegen verlangt, dass Paris’ Oberbürgermeisterin Anne Hidalgo, die sich mit dem Kampf gegen die Rentenreform solidarisch erklärt, Streikende zwangsverpflichten müsse. Nur ein Teil der akkumulierten Abfälle wird seit Dienstag von Streikbrechern einer privaten Firma weggeräumt.
Präsident Emmanuel Macron und seine Regierung wollen sich weder davon noch von anderen Streiks beeindrucken lassen. Da sich beide Parlamentskammern uneins waren, sollte noch am Mittwoch wie für solche Fälle vorgesehen eine gemischte paritätische Kommission einen gemeinsamen Text der Reform beschließen. Der würde dann am Donnerstag dem Senat und danach der Nationalversammlung zur Abstimmung vorgelegt werden müssen.
Reformbefürworter sollen „Kompromiss“ aushandeln
Diese Kommission besteht aus je sieben Senatoren und Abgeordneten. Da zehn von ihnen schon vorab erklärtermaßen für die Rentenreform nach Macrons Vorstellungen waren, steht praktisch fest, was da als „Kompromiss“ herauskommen würde.
Für die Regierung ist entscheidend, dass die zur Abstimmung vorgelegte Reform in beiden Kammern mit der Unterstützung der Konservativen und Zentrumsdemokraten mitgetragen wird. Mindestens 15 der 59 Abgeordneten der konservativen Oppositionspartei Les Républicains (LR) hatten aber bisher erklärt, sie würden gegen die Reform stimmen, andere wollen sich enthalten.
Die Regierung kann sich aber eine Niederlage in der Volksvertretung nicht leisten. Sie versuchte darum bis zuletzt, mit Versprechen und Drohungen LR-Abgeordnete für sich umstimmen. Sonst wäre sie gezwungen, den undemokratischen, aber verfassungsrechtlich legalen Artikel 49.3 einzusetzen.
Damit kann ein Gesetz ohne Votum von Exekutive für angenommen erklärt werden. Die Opposition kann danach nur noch per Misstrauensantrag die Regierung stürzen.
Regierung will Umgehung des Parlaments vermeiden
Die Verwendung des Artikel 49.3 zur Umgehung des Parlaments wäre ein Zeichen politischer Schwäche der Staatsführung. Premierministerin Elisabeth Borne, die in dieser Machtprobe mit den Gewerkschaften ihren Posten als Regierungschefin aufs Spiel setzt, will darum tunlichst vermeiden, zu dieser Holzhammermethode greifen zu müssen.
Die Gewerkschaften haben bereits angekündigt, dass sie ihren Widerstand gegen die Anhebung des Rentenalters von 62 auf 64 Jahre auch fortsetzen, wenn das Parlament im Eilverfahren unter dem Druck der Regierung eine mehr oder weniger veränderte Reform auf Wunsch von Macron durchwinken sollte.
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