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Weitere Anklage wegen 219aDer Druck steigt

Gegen Berliner Ärztinnen liegt eine Anklageschrift vor, weil sie über Abtreibungen informieren. Auch zwei weitere Verfahren laufen.

In Argentinien wird für die Entkriminalisierung von Abtreibungen demonstriert (Foto), in Deutschland stehen Ärzt*innen vor Gericht Foto: dpa

Berlin taz | „Auch ein medikamentöser, narkosefreier Schwangerschaftsabbruch in geschützter Atmosphäre gehört zu unseren Leistungen.“ Wegen dieses Satzes könnten sich die Berliner Ärztin Bettina Gaber und ihre Kollegin bald vor Gericht verantworten müssen.

Die Worte stehen auf der Webseite der beiden Gynäkologinnen – und stellen in den Augen der Staatsanwaltschaft offenbar einen Verstoß gegen Paragraf 219a StGB dar, der „Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft“ verbietet. In den Akten fände sich bereits eine Anklageschrift gegen die beiden Ärztinnen, sagte deren Anwalt Johannes Eisenberg der taz. Dem Gericht übermittelt wurde diese noch nicht.

„Die Staatsanwaltschaft hat uns angeboten, dass wir straffrei ausgehen, wenn wir den Eintrag von der Webseite nehmen“, sagt Gaber der taz. Ein Angebot, das die Ärztinnen nicht annehmen wollten. „Es geht hier nicht um Werbung, sondern um sachliche Information“, sagt Gaber. „Das muss mir als Ärztin und den Frauen, die einen Abbruch brauchen, zustehen.“

Der Paragraf 219a hat eine hitzige Debatte ausgelöst, seit im November die Gießener Ärztin Kristina Hänel wegen ihrer Webseite zu einer Geldstrafe von 6.000 Euro verurteilt worden war. Grüne, Linke, SPD und FDP plädieren seitdem für die Abschaffung oder wenigstens Reform des Paragrafen. Die Union will daran festhalten.

„1 und 1“ macht mit

Die Anklageschrift gegen Gaber und ihre Kollegin erfolgt nur wenige Wochen vor Hänels Berufungsverhandlung am 6. September vor dem Gießener Landgericht. Eine Woche davor stehen die Ärztinnen Nora Szász und Natascha Nicklaus in Kassel vor Gericht, ebenfalls wegen Einträgen auf ihrer Webseite.

Ärzt*innen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, werden zunehmend von Abtreibunsgegner*innen unter Druck gesetzt. Die Anzeigen gehen vor allem auf zwei Männer aus dem Umfeld selbst ernannter Lebensschützer*innen zurück: Klaus Günter Annen aus Weinheim, der auf der Webseite Babycaust.de Abtreibungen mit dem Holocaust vergleicht. Ein weiterer Mann hat unter dem falschen Namen Markus Krause in einem taz-Interview erklärt, schon 60 bis 70 Strafanzeigen gestellt zu haben.

Dieser Mann hat auch mit „1 und 1“, dem Internetdienstanbieter von Kristina Hänel, Kontakt aufgenommen – und fordert, dass dieser die Domain der Ärztin sperrt, falls sie den Hinweis auf die Abbrüche nicht entfernt. In dem Schriftverkehr, der der taz vorliegt, fordert das Unternehmen Hänel nun auf, dies bis Dienstag zu tun. „Nach fruchtlosem Ablauf der Frist wären wir gezwungen, die Domain zu sperren.“

***

Aktualisierung 13.08.2018, 13 Uhr: Die Domain von Kristina Hänel wurde nicht gesperrt. Die Ärztin hatte „1 und 1“ gegenüber Stellung genommen. Der Anbieter habe sie daraufhin informiert, dass man „den Beschwerdeführer hiernach über die nach allem diesseits nicht mögliche abschließende, eindeutige Einschätzung der Sach- und Rechtslage informiert“ und den Vorgang damit bis auf weiteres abgeschlossen habe.

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7 Kommentare

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  • Als ob der Provider da eine Wahl hätte.

  • Zu sagen, wir bieten das an, ist Werbung.



    Zu sagen, eine Abtreibung kann auch medikamentös vorgenommen werden, ist eine objektive Information.

    Die Information, welche Ärzte Abtreibungen vornehmen, bekommt man im Rahmen der Pflichtberatung.



    Da man die sowieso machen muss, gibt es kein zu behebendes Informationsdefizit.

  • Leider sagen die Gerichte nur, was Werbung ist und nicht was reine Information im Sinne des 219a ist, denn die Information dazu ist ja nicht unzulässig, aber wie kann man 219a konform informieren? Das hat noch keiner rechtssicher definiert.

  • Noch immer schreiben Männer Frauen vor, was sie mit ihrem Körper und ihrem leben anstellen durfen. Wenn es die Gesetze nicht mehr bringen, wird die soziale Ächtung bemüht und nun auch noch der offensichtlich gelungene Versuch über den Internetprovider die berufliche Darstellung einzuschränken. Dass 1&1 da mitmacht ist bitter und sollte einen Boykott oder zumindest einen Aufschrei nach sich ziehen. Information ist kein Verbrechen.

    • @siri nihil:

      Ich lese: „Noch immer schreiben Männer Frauen vor, was sie mit ihrem Körper und ihrem Leben anstellen dürfen.“



      Ich halte das für eine Unterstellung. Sei`s drum. Nehmen wir an, dass das stimmt. Dann kommen mir Fragen: Schreiben das Männer Frauen vor, weil sie Männer sind? Wie soll das möglich sein? Wo funktioniert unser Rechtsstaat nicht? Trotz Quote. Oder entscheiden so Männer in Ausübung eines Amtes, das auch von Frauen besetzt sein kann? Und, wenn das der Fall ist: Kann es sein, dass sich auch (die) Männer etwas Kluges bei ihrer Entscheidung gedacht haben, die nur, je nach Interesse und Weltbild, als frauenfeindlich gedeutet wird?



      Martin Korol, Bremen

    • @siri nihil:

      Quark, der Provider kann gar nicht anders reagieren. Wir sind ein Rechtstaat. Nur weil jedermann Strafanzeigen stellen kann, bedeutet das nicht, dass Menschen am Ende bestraft werden. Ärzte dürfen allgemein aus berufsständischen Gründen keine richtige Werbung machen. Insofern ist diese FDP Kampagne auch leicht zu durchschauen.

  • 9G
    90191 (Profil gelöscht)

    Werbung ist nunmal Werbung und keine bloße Information. Es kommt auf das Interesse dahinter an.

    Wer "informiert", um mit der Information Leute dazu zu bewegen, eine angebotene Dienstleistung oder ein angebotenes Produkt zu erwerben, macht Werbung.