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Wegen SteuerbetrugBritische Vize-Premierministerin Rayner steht vor dem Aus

Erst undurchsichtiger Immobilienbesitz, jetzt auch noch ein Steuervergehen: Der Ruf der populären Labour-Politikerin Angela Rayner ist beschädigt.

Die stellvertretende Premierministerin Angela Rayner muss ihr Amt wohl aufgeben Foto: Toby Melville/reuters

Berlin taz | Großbritanniens Labour-Premierminister Keir Starmer kämpft gerade gegen viele Probleme. Miese Umfragewerte, der Höhenflug des Rechtspopulisten Nigel Farage mit seiner Partei „Reform UK“, ein bevorstehender Sparhaushalt mit neuen Sozialkürzungen. Jetzt hat er ein weiteres Problem: seine eigene Stellvertreterin.

Seit Angela Rayner am Mittwoch zugeben musste, dass sie beim Kauf einer Immobilie in Hove an Englands Südküste 40.000 Pfund (gut 45.000 Euro) zu wenig Steuern gezahlt hat, steht das Aus einer der populärsten Labour-Politikerinnen im Raum. Zur Last gelegt wird der 45-Jährigen nicht nur dieses Steuervergehen. Sie hat schon in der Vergangenheit für Irritationen mit undurchsichtigen Immobilienbesitzverhältnissen gesorgt. Und nachdem Rayner zu Oppositionszeiten, vor Labours Wahlsieg 2024, bei Steuersünden konservativer Politiker immer als Erste und Lauteste Rücktritte gefordert hatte, muss sie sich nun fragen lassen, wie sie es mit sich selbst hält.

Bei Labour ist Rayner eine Ausnahmeerscheinung, obwohl sie eigentlich für das steht, wofür Labour gerne stehen würde, wenn sich die britische Arbeiterklasse noch mit dieser Partei identifizieren würde. 1980 in Stockport bei Manchester in eine bitterarme Familie geboren – ihre Mutter war Analphabetin, einmal die Woche ging man zur Oma zum Baden und Richtig-Essen, erzählte sie später in einem Interview –, wuchs sie in der sozialen Spaltung der Thatcher-Ära ganz unten auf. Mit 16 wurde sie schwanger und verließ die Schule ohne Abschluss. Später schaffte sie die Ausbildung zur Pflegerin, sie engagierte sich gewerkschaftlich, und 2015 wurde sie für Labour ins Unterhaus gewählt. In ihrer Jungfernrede gestand sie, sie könne kaum in die Fußstapfen ihrer illustren Labour-Vorgänger treten – schon gar nicht mit ihren bunten Schuhen mit hohen Absätzen.

Rayner erlebte viel, was andere nicht gut wegstecken würden. Eine erneute Schwangerschaft endete mit einer Frühgeburt nach nur 23 Wochen, die fälschlicherweise als spontaner Abort behandelt wurde; das Baby wog unter einem halben Kilo, erlitt eine Hirnblutung und lag die ersten sechs Monate zwischen Leben und Tod. Es stößt nun in der Öffentlichkeit besonders sauer auf, dass Angela Rayner das Entschädigungsgeld, das der staatliche Gesundheitsdienst NHS ihr für Fehler bei dieser Geburt gezahlt und angelegt hat, zum Kauf eines dritten Eigenheims für 800.000 Pfund (fast eine Million Euro) verwendet hat und darauf auch noch Steuern sparen wollte, indem sie die Luxuswohnung mit Meerblick fälschlicherweise zu ihrem Hauptwohnsitz erklärte.

Aber das passt zu dieser stählern und authentisch auftretenden Politikerin. Wo Starmer hölzern und unbeholfen auftritt, ist Rayner wortgewandt und schlagfertig, mit einem aggressiven Witz. Zuweilen wirkt sie wie eine Labour-Antwort auf Boris Johnson mit einem ähnlich chaotischen Auftritt und ähnlich unbekümmertem Umgang mit dem Chaos im eigenen Leben. Starmer machte sie schon als Oppositionsführer zu seiner Stellvertreterin, die sich anders er selbst mit reichen Tories anlegte und diese als „Abschaum“ bezeichnete. Das war und ist ganz nach altlinkem Geschmack, obwohl sie sich selbst gar nicht als Linke sieht.

Jetzt hat sich Rayner in einen Skandal manövriert, auf den sie mit Totalabwehr und Halbwahrheiten reagiert und auch damit an Boris Johnson erinnert. Der Ethikbeauftragte der Regierung untersucht ihr Steuervergehen – so was war aus ihrer Sicht früher ein Rücktrittsgrund. Ob sie das politisch übersteht, war am Donnerstag offen. Beschädigt ist sie auf jeden Fall.

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