Wechsel zwischen Politik und Konzernen: Gut geölte Beziehungen

In der EU gibt es zwischen Politik und Energieindustrie sehr enge Verbindungen. Eine neue Studie fordert bessere Regeln für den Seitenwechsel.

Sonne über Steinkohlekraftwerk

Jeder zweite EU-Kommissar und jeder dritte Abgeordnete landet nach seiner Amtszeit bei der Wirtschaftslobby Foto: dpa

Miguel Arias Cañete ist EU-Kommissar für Klimaschutz. Er hat 2015 das Pariser Abkommen mitverhandelt und die EU-Staaten auf CO2-Reduktion und Erneuerbare eingeschworen. Jetzt soll er eine Strategie entwickeln, wie sich Europa bis 2050 vollständig aus Kohle, Gas und Öl verabschieden kann.

Seine ganz persönliche ­„Dekarbonisierung“ hat Cañete schon hinter sich: Zu seinem Amtsantritt als EU-Kommissar 2013 verkaufte er seine Anteile an zwei spanischen Ölkonzernen, bei denen auch seine Frau und sein Sohn engagiert waren. Der Schwiegersohn des obersten europäischen Klimaschützers wird bis heute dort als Direktor geführt.

Cañete ist nicht allein. Hunderte von PolitikerInnen und BeraterInnen in der EU wechseln zwischen ihrem Amt und den Konzernen der fossilen Industrien hin und her. Kommissare, Ministerpräsidenten, Minister, Parlamentarier und hohe Beamte von Regierungen heuern bei Firmen an, die ihr Geld mit Kohle, Öl, Gas oder Atomstrom verdienen.

Regierungen sichern sich die Fähigkeiten von Managern und Experten aus diesen Bereichen. Eine klare und einheitliche Regelung für diese Seitenwechsel gibt es bislang nicht. Das ist das Fazit der Studie „Revolving Doors“, die die Europa-Grünen am heutigen Mittwoch vorstellen. In Deutschland liegt die Untersuchung der taz bereits vor.

Der Zeitpunkt ist kein Zufall. In Bonn findet noch bis kommende Woche die nächste Runde der UN-Klimakonferenzen statt. Gleichzeitig ringen die EU-Staaten im „Winterpaket“ der EU-Kommission gerade um die künftige Energie- und Klimapolitik. Aber: Immer wieder wehren sich Kohleländer wie Polen gegen harte Auflagen, Deutschland zaudert beim Kohleausstieg, der Emissionshandel wurde nur notdürftig repariert.

Lösung nur mit der Industrie

Auch bei den UN-Verhandlungen regt sich Widerstand gegen die enge Verbindung von Regierungen und Verschmutzern. Umweltgruppen fordern immer wieder, die Öl- und Kohleindustrie von den Konferenzen auszuschließen. Das Europäische Parlament hat die UN aufgefordert, Regeln für Interessenkonflikte zu erlassen.

Die offizielle Antwort der UN lautet bisher: Eine Lösung gebe es nur mit, nicht gegen die Industrie. „Wir können und wollen nicht steuern, wer in den Delegationen sitzt“, sagt ein UN-Sprecher. Den Verhaltenskodex, der diese Beziehungen regelt, können nur die UN-Staaten selbst ändern.

Das Gutachten zeigt detailliert, wie häufig Manager und Politiker die Rollen tauschen. So wechselte Hildegard Müller, einst Vertraute von Angela Merkel (CDU), aus dem Bundeskanzleramt zum Branchenverband Energie und Wasser (BDEW) und weiter zur RWE-Tochter Innogy. Hannelore Kraft (SPD), frühere NRW-Ministerpräsidentin, ist inzwischen Aufsichtsratsmitglied des Steinkohlekonzerns RAG.

Der frühere österreichische Kanzler Wolfgang Schüssel ist heute Aufsichtsrat beim Energiekonzern RWE, Spaniens Ex-Premier Felipe Gonzalez beriet einen Gaskonzern. Italiens Vize-Außenminister Lapo Pistelli wechselte direkt aus dem Amt zum Ölkonzern Eni.

Innige Beziehung zwischen Regierung und Konzernen

Die Studie der Grünen liefert keine direkten Beweise, dass der „Drehtüreffekt“ die Klimapolitik der EU sabotiert – aber jede Menge Indizien. So wechselten in den größten 13 EU-Ländern in 28 Fällen Minister oder Regierungschefs in die fossile Industrie, insgesamt bekamen 87-mal Politiker, Beamte oder Abgeordnete dort einen neuen Job.

87 Politiker oder hohe Beamte wechselten in der EU vom Staat zur Energieindustrie

Vor allem die großen Konzerne wie Gazprom, Engie, EDF oder Vattenfall stellten ein. In Ländern wie Österreich und Belgien schickt die Industrie auf eigene Kosten ihre Mitarbeiter in die Regierung.

Fast überall sind die Beziehungen zwischen Regierung und Energiekonzernen innig. In Großbritannien landeten 90 Prozent der Aussteiger aus dem Energie- und Industrieministerium bei der Gas- oder Ölindustrie. In Spanien fand fast jeder zweite Minister seit der Wiedereinführung der Demokratie 1977 nach seinem Amt einen gut dotierten Unterschlupf in der Industrie.

In der tschechischen Regierung stammten sechs von zwölf Ressortchefs aus der Wirtschaft, erklärtes Ziel ist, „den Staat wie ein Unternehmen zu führen“. In Deutschland stellen Konzerne wie RWE oder Nordstream vielfach ehemalige Minister, Staatssekretäre oder gleich Ex-Kanzler Gerhard Schröder ein.

Konzerne erwerben Erfahrung

Und wo die Energiekonzerne Staatsbetriebe sind, ist die Verbindung schon von Amts wegen eng: in Polen, Italien, aber auch in Frankreich, wo Premierminister Édouard Philippe vor Amtsantritt für den Atomkonzern Areva arbeitete.

Bereits 2014 prangerte Greenpeace die Verbindung deutscher Politiker zur Kohleindustrie an, auch der Einfluss von Autokonzernen war schon 2016 Thema eines „Schwarzbuchs Autolobby“. Auf EU-Ebene hat die Antikorruptionsorganisation Transparency International 2017 die Wechsel zwischen allen Industrien und der Politik untersucht.

Fazit: Jeder zweite EU-Kommissar und jeder dritte Abgeordnete landet nach seiner Amtszeit bei der Wirtschaftslobby. Nötig sei eine „dauerhafte und unabhängige Ethik-Kommission“, die über solche Wechsel entscheide, forderten die Korruptionsbekämpfer.

Regeln für Drehtüren? Selten.

Die Konzerne erwerben mit den Umsteigern Erfahrung, Insiderinformationen und Kontakte zu Gesetzgebern und Regulierern. Gleichzeitig schwächen sie die staatliche Seite. Auch finanziell lohnt sich der Seitenwechsel: Ex-Politiker bekommen satte Gehälter, ihre ehemaligen Regierungen teilen schließlich umfangreiche Subventionen für Kohle, Öl und Gas aus: Deutschland gibt jährlich 3 Milliarden Euro an Hilfe, Frankreich 5 Milliarden, Großbritannien 7 und Italien gar 12 Milliarden Euro.

Seit Montag und noch bis zum 10. Mai treffen sich die Delegierten von über 190 Staaten in Bonn zur UN-Zwischenkonferenz für den Klimaschutz. Sie bereiten die Entscheidungen vor, die im Dezember im polnischen Kattowice bei der COP24 fallen sollen. Dort müssen sich die Staaten auf konkrete Regeln einigen, wie das Klimaabkommen von Paris ab 2020 umgesetzt wird. Außerdem wollen sie klären, wo und wie bereits vorher konkret CO2 gemindert werden kann und wie weltweit die Öko-Energien schneller ausgebaut werden. (bpo)

Regeln für die „Drehtüren“ gibt es nur in acht EU-Ländern, kritisiert die Studie, darunter Deutschland. Eingehalten werden diese allerdings nicht immer. „Die Seitenwechsel schaden dem Vertrauen in die Demokratie“, sagt Sven Giegold, Grünen-Finanzexperte. „Wir brauchen überall in Europa eine Karenzzeit von drei Jahren für den Wechsel aus Regierungen, Ministerien und Parlamenten in Lobbyjobs“.

Ein Lobbyregister müsse offenlegen, wer auf Regierungen einwirke. Die UN brauche eine Definition für Interessenkonflikte. Diese Regeln gälten dann auch für Klimaschützer. Denn inzwischen sichern sich auch manche Umweltgruppen Erfahrungen und Einfluss von Experten. Laurence Tubiana, Klima­beauftragte Frankreichs beim Paris-Deal, arbeitet für die European Climate Foundation. Und der ehemalige peruanische Umweltminister und Chef der UN-Konferenz von 2013, Manuel Pulgar Vidal, berät jetzt den WWF.

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