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Wechsel von der Linken zur SPDHauptsache Rot

Die Berliner SPD feiert sich für den Eintritt von drei ehemaligen Linken-Politikern. Im Mittelpunkt steht der Abgeordnete Sebastian Schlüsselburg.

Die „rote Bibel“: Die Ex-Linken Schlüsselburg (2. v. l.) und Nöll (2. v. r.) umringt von der Berliner SPD-Spitze Foto: Stefan Kruse/dpa

Berlin taz | SPD-Fraktionschef Raed Saleh war die enorme Freude anzusehen, als er am Mittwochmorgen vor Jour­na­lis­t:in­nen hochoffiziell seinen großen Fang präsentierte: Sebastian Schlüsselburg. Der bisherige haushalts- und rechtspolitische Sprecher der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus ist seit Dienstag Sozialdemokrat. Schon bei der Abgeordnetenhaussitzung an diesem Donnerstag soll Schlüsselburg in Salehs SPD-Reihen Platz nehmen.

Vor gut drei Monaten war Schlüsselburg aus der Linkspartei ausgetreten und seither parteiloses Mitglied der Linksfraktion. Dem Abgeordnetenhaus gehört er seit der Wahl 2016 an. Und über all die Jahre, sagte Saleh, habe er ihn „immer als einen fleißigen, wortgewandten Kollegen erlebt“. Zwar habe das Neumitglied „es uns, der SPD, nicht immer leicht gemacht“. Aber, so der SPD-Fraktionschef weiter: „Wir brauchen Menschen mit einer kritischen Haltung.“

Schlüsselburg war nicht der einzige Ex-Linke, der am Mittwoch in der Parteizentrale in Wedding von den beiden Landesvorsitzenden Martin Hikel und Nicola Böcker-Giannini öffentlichkeitswirksam das „rote Bibel“ genannte Parteibuch in die Hand gedrückt bekam. Neben ihm saß Friedrichshain-Kreuzbergs Sozialstadtrat Oliver Nöll, von Böcker-Giannini vorgestellt mit dem Hinweis, dass hier „zusammenwächst, was schon mal zusammengehörte“.

Nöll war schließlich einst SPD-Mitglied. Aus Protest gegen die unter anderem von dem damaligen Bundesarbeitsminister Olaf Scholz verantwortete Agenda 2010 trat er in den Nullerjahren aus. Es wäre „schief“, zu sagen, er sei wegen des jetzigen Bundeskanzlers in den Schoß der Sozialdemokratie zurückgekehrt, erklärte Nöll. Aber er sehe im Sozialbereich gewisse „Fortschritte“.

Schlüsselburg will Sozialist bleiben

Im Grunde ging es bei der SPD-Show aber kaum um Nöll. Auch nicht um den ehemaligen Lichtenberger Bezirksbürgermeister Michael Grunst, der, wie Böcker-Giannini nebenbei erwähnte, als dritter Ex-Linker der SPD beigetreten ist – er war auch gar nicht anwesend. Im Mittelpunkt stand Schlüsselburg.

Als Replik auf Salehs Lob der Kritik betonte Schlüsselburg, der zuletzt stets „das Haushaltschaos“ von CDU und SPD gegeißelt hat, dass er selbstverständlich auch nach seinem Wechsel von der Opposition in die Reihen der schwarz-roten Koalition die Arbeit des Senats kritisieren werde, wo er das für nötig erachte. „Ich bin demokratischer Sozialist. Ich bleibe das auch.“

Er gebe seine Überzeugungen ja „nicht am Kleiderhaken ab, das wäre auch nicht glaubwürdig“, sagte der Steglitz-Zehlendorfer mit Wahlkreis in Lichtenberg bei dem Termin in der SPD-Zentrale. Sein Ziel sei es, die Politik des rot-schwarzen Senats „ein bisschen zu verbessern“ – und dabei die SPD „wieder zu einer starken, linken Volkspartei zu machen“.

Linken-Streit um Antisemitismus

Der 41-Jährige hatte die Linke Ende Oktober 2024 zusammen mit den Ex-Senator:innen Klaus Lederer, Elke Breitenbach und Sebastian Scheel sowie Ex-Fraktionschef Carsten Schatz nach einem Streit über den Umgang mit antisemitischen Positionen in der Partei verlassen. Die fünf nun Parteilosen wollten eigentlich bis zum Ende der Legislatur 2026 Teil der Linksfraktion bleiben. So hatten sie es mit der Fraktion verabredet. Schlüsselburg scherte nun aus.

Am Mittwoch machte der Neu-SPDler durch die Blume deutlich, dass er sich in der Linksfraktion einfach nicht mehr wohlgefühlt habe. So sei die Erklärung der fünf Ex-Genoss:innen, weiterhin der Linksfraktion angehören zu wollen, „von einer Minderheit, die aber eine Mehrheit in der Partei stellt“, infrage gestellt worden.

„Das war ein Arbeitsklima, bei dem ich mir nicht habe vorstellen können, bis zum Ende der Legislatur daran festzuhalten.“ Das sei ihm um den Jahreswechsel herum bewusst geworden, sagte Schlüsselburg.

Wer’s glaubt, wird selig, heißt es von seinen ehemaligen Fraktionskolleg:innen. „Sebastian Schlüsselburg hat uns noch im November und Dezember erklärt, dass er keinen konkurrierenden Parteien beitritt. Gleichzeitig hat er, wie wir jetzt wissen, den Schritt zur SPD seit Wochen vorbereitet“, sagte Linksfraktionschef Tobias Schulze am Mittwoch zur taz.

Sag mir, wo du stehst

Der erst am Montagabend durchgesickerte Bruch habe dann, so Schulze weiter, „viele in der Fraktion vor den Kopf geschlagen, das hat Vertrauen zerstört, und ja, viele schwer enttäuscht“.

Das ist freundlich formuliert. Dem Vernehmen nach sind insbesondere die vier verbliebenen Ex-Linken stinksauer auf Schlüsselburg. Denn zur Wahrheit gehört, dass nicht zuletzt ein paar Ver­tre­te­r:in­nen der „Bewegungslinken“ in der Fraktion um die Abgeordnete Katalin Gennburg früh gefordert hatten, alle fünf hochkant rauszuschmeißen.

Die große Mehrheit der Fraktion lehnte diese Radikalmaßnahme ab. Schlüsselburg hat nun dafür gesorgt, dass sich auch die Un­ter­stüt­ze­r:in­nen der fünf Ex-Linken schwer düpiert fühlen.

Schulze sagte, alle müssten selbst wissen, auf welcher Seite sie stehen: „Ob man sich in diesen Zeiten auf die Seite einer Koalition schlägt, die die Stadt kaputt spart, oder auf der Seite derjenigen steht, die mit den Leuten gegen diese Politik auf die Straße geht.“ Schlüsselburg habe sich entschieden. „Den Rest muss er mit seinem Gewissen ausmachen.“

Schiffe mit Schlagseite

Den so Angesprochenen bekümmerte das wenig. Mehrfach betonte Schlüsselburg, er wolle „aus Gründen“ nicht mehr zurück, sondern nur nach vorn schauen. Er sei der SPD auch deshalb beigetreten, weil die Demokratie von rechtsextremen und populistischen Kräften, von AfD und BSW, zunehmend in die Zange genommen werde. „Um dem entgegenzutreten, braucht es eine starke, linke, interventionsfähige Kraft, und das ist aus meiner Sicht die SPD.“

Nun ist das mit der starken SPD aktuell so eine Sache. In bundesweiten Umfragen liegt die Partei nach CDU und AfD weit abgeschlagen zwischen trostlosen 14 und 17 Prozent, teilweise sogar hinter den Grünen. In Berlin sah es zuletzt noch düsterer aus. Hier wollten nur noch 12 Prozent der Befragten der SPD die Stimme geben, sollten jetzt Abgeordnetenhauswahlen anstehen.

Böse Zungen behaupten: Sebastian Schlüsselburg, Oliver Nöll und Michael Grunst hätten ein havariertes Schiff mit schwerster Schlagseite für ein havariertes Schiff mit schwerer Schlagseite verlassen.

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1 Kommentar

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  • wer so schnell den weg von einer immer noch linken partei in den rechtesten und demokratiefeindlichsten landesverband einer schon lange nicht mehr linken partei findet und sich dabei auch noch als demokratischen sozialisten bezeichnet, der muss wirklich über ein gerüttelt maß an einbildungskraft, eine gewisse portion hybris und eine große bereitschaft zu selbstverleugnung verfügen. gratulation, herr schlüsselburg! vermutlich haben die sozen ihn genau deswegen mit offenen armen empfangen.