Was Zähne erzählen: Auf den Zahn gefühlt
Zahnschmelz ist die härteste Substanz in unserem Körper – robust genug, um Jahrmillionen zu überdauern. Und es enthüllt viel über die Urzeitwelten.

Möglich machte dies ein hochsensitives massenspektrometrisches Verfahren, das winzigste Proteinreste aufspüren kann. Um den wissenschaftlichen Wert dieser Entdeckung zu zeigen, verglichen die Forschenden die alten Sequenzen mit Proteinen von lebenden und jüngeren, ausgestorbenen Nashornarten. Die Aminosäurenabfolgen lassen Rückschlüsse auf Verwandtschaftsverhältnisse und die Evolution des Nashorns zu.
Wirklich neue Erkenntnisse über etwaige Großeltern oder entfernte Cousins der heutigen Nashörner brachte das zwar nicht. Wichtig genug für eine Publikation im Fachblatt Nature ist jedoch der Forschungsansatz selbst. „Der Zahnschmelz ist so hart, dass er diese Proteine über sehr lange Zeiträume schützt. Es ist im Wesentlichen wie ein Tresor“, wird Studienleiter Ryan Sinclair Paterson in der zugehörigen Pressemeldung zitiert.
Diese natürliche Konservierung funktioniert nicht nur in der Arktis mit ihren besonderen Erhaltungsbedingungen. Eine parallel veröffentlichte Nature-Studie eines amerikanischen Teams belegt, dass auch in tropischen Gebieten Kenias Proteine bis zu 18 Millionen Jahre in Zahnschmelz überdauern können. Paterson und seine Kollegen hoffen mittelfristig auf noch ältere Proteininformationen. Die Studie zeigt, dass Proteine unter günstigen Bedingungen mindestens 24 Millionen Jahre überstehen und damit theoretisch auch die 66 bis 230 Millionen Jahre überdauern könnten, die uns von den Dinosauriern trennen – oder sogar eventuell noch länger.
Dinobeißerchen bis ins kleinste Detail vermessen
Die Chancen dafür stünden gut, glaubt auch Geochemiker Thomas Tütken von der Universität Mainz. Er war an der aktuellen Studie zwar nicht beteiligt, ist aber ein ausgewiesener Experte für die Analyse von Zahnschmelz. „Dass im Zahnschmelz auch Proteine über sehr lange Zeiträume erhalten bleiben, haben wir schon länger vermutet. Es laufen schon weitere Untersuchungen zu älteren Zähnen.“
Thomas Tütken, Geochemiker
In der Paläontologie könnte dieser neue Ansatz bei der Beantwortung vieler wichtiger Fragen helfen. Bisher werden Verwandtschaftsverhältnisse vor allem über die Gestalt der Tiere, also die Morphologie ihrer Skelettreste, nachgewiesen. Mithilfe von Proteinresten in Dinosaurierzähnen könnten Verwandtschaftsverhältnisse künftig noch sicherer und unabhängig von der Knochen- oder Zahnform bestimmt werden. Spannend wäre das zum Beispiel bei der Frage nach der Abspaltung der modernen Vögel von den Dinosauriern oder nach den ersten wirklichen Säugetieren. Doch Verwandtschaftsverhältnisse sind nicht die einzigen Urzeitgeheimnisse, die dank Zähnen gelüftet werden können.
Traditionell untersuchen Forschende die Oberfläche der Zähne. Per Laser können Dinobeißerchen bis ins kleinste Detail vermessen werden. Die Abnutzungsspuren zeigen sich dabei wie eine dreidimensionale Geländekarte mit Bergen und Tälern.
Aus der Beschaffenheit lässt sich rekonstruieren, wie die Nahrung wohl aussah. Ein Ergebnis solcher Untersuchungen: Junge Tyrannosaurier hatten ein anderes Fressverhalten als die ausgewachsenen Tiere. Die Zähne der Jungtiere waren deutlich stärker abgenutzt. Vermutlich liegt das daran, dass sie häufiger Knochen abnagten und sich stärker von Kadavern ernährten. Die erwachsenen Tiere machten dagegen häufiger lebende Beute. Bei kleinen Pflanzenfressern zeigen die Zähne Abnutzungsspuren von Gestein, weil sie Grünzeug am Boden abrupften und damit öfter auf Sand und an den Pflanzen anhaftenden Gesteinsstaub bissen.
„Im Zahnschmelz lesen wie in einem Tagebuch“
Ein neuerer Ansatz ist der Blick auf die Isotopensignaturen, die sich im Zahnschmelz bei dessen Biomineralisation einlagern. Dabei handelt es sich um Varianten von Elementen, die sich in ihrer Masse unterscheiden. Weil die Verhältnisse von schwereren zu leichten Isotopen durch Klima oder Nahrung systematisch variieren, lässt sich auch nach Millionen von Jahren herausfinden, was die Tiere gefressen haben und unter welchen Umweltbedingungen sie lebten. So eignen sich Isotope des essenziellen Spurenelements Zink gut dafür, die Nahrung von Tieren zu rekonstruieren: Muskelfleisch enthält mehr Zink-64 als Pflanzenmaterial.
Je höher ein Tier in der Nahrungskette steht, desto kleiner ist das Verhältnis von Zink-66 zu Zink-64. Strontium wiederum wird auch mit der Nahrung aufgenommen und wegen ähnlicher chemischer Eigenschaften anstelle von Kalzium in Knochen und Zähnen eingelagert. Mithilfe des Strontiumisotopenverhältnisses lässt sich mehr über die Herkunft und Wanderung der Tiere herausfinden. Isotopen verändern sich nämlich in verschiedenen Ökosystemen und Landschaften. „Im Prinzip lernen wir gerade, im Zahnschmelz zu lesen wie in einem Tagebuch“, sagt Tütken. Die Methode ist dabei minimalinvasiv, nur wenige Milligramm Material genügen typischerweise für eine Isotopenanalyse. Gerade bei seltenen Zahnfunden ist das ein großer Vorteil.
Zuletzt hat der Mainzer Geochemiker zusammen mit anderen Forschenden Zähne verschiedener Dinosaurier aus dem späten Jura und der späten Kreide untersucht – darunter auch die bananengroßen Beißer des T-Rex. Dabei analysierten sie, in welchem Verhältnis drei stabile Sauerstoffisotope im Zahnschmelz erhielten blieben. „Der im Zahnschmelz eingelagerte Sauerstoff stammt zum Teil von dem Sauerstoff, den die Dinosaurier damals eingeatmet haben. Und daraus lassen sich ziemlich genaue Rückschlüsse auf die Zusammensetzung der damaligen Atmosphäre und damit das urzeitliche Klima ziehen“, so Tütken.
Die Analyse von Dinosaurierzahnschmelz offenbarte dramatisch höhere CO2-Werte in der Vergangenheit: Im späten Jura lag der Kohlenstoffdioxidgehalt der Atmosphäre viermal höher als vor der Industrialisierung, in der späten Kreidezeit noch fast dreimal so hoch. Besonders auffällig waren die Isotopenwerte in den Zähnen eines Tyrannosaurus rex, die wahrscheinlich auf CO2-Spitzen durch gewaltige Vulkanausbrüche hindeuten. Noch eine Erkenntnis: Die globale Photosyntheseleistung der urzeitlichen Pflanzen war im urzeitlichen Treibhausklima deutlich höher als heute.
Auch die alte Frage nach der Körpertemperatur der Dinosaurier konnte durch Zahnschmelzanalysen (erneut) beantwortet werden. Lange hielt man Dinosaurier für wechselwarm – ähnlich wie Eidechsen oder Schlangen. Diese Annahme wurde inzwischen mehrfach widerlegt, auch dank der chemischen Zusammensetzung des Zahnschmelzes. Das Team analysiert gezielt die Kohlenstoff- und Sauerstoffisotopenzusammensetzung des im Zahnschmelz gebundenen kleinen Karbonatanteils. Je seltener die Isotope beider Elemente darin eine Verbindung eingehen, desto wärmer war die Temperatur. Wie mit einem Fieberthermometer konnten sie sogar die Körpertemperatur einzelner Tiere bestimmen. Bei großen Langhalsdinosauriern wie dem Giraffatitan lag sie bei rund 38 Grad. Doch damit nicht genug: Zahnschmelz verrät Forschenden heute sogar, wie sich Lebewesen vor Jahrmillionen bewegten.
Entenschnabel-Dinosaurier, auch liebevoll „Kühe der Kreidezeit“ genannt, zogen zum Beispiel in großen Herden von Hunderten Tieren durch die Landschaft, stets auf der Suche nach frischem Grün. Dabei legten sie Tausende Kilometer zurück. Auch Camarasaurus, ein 20 Meter langer Langhalssaurier, war ein Wanderer. Ein Forscherteam des Colorado College untersuchte verschiedene Sauerstoffisotope im Zahnschmelz des Tieres und entdeckte, dass es seinen Durst nicht nur in flachen Seen der Heimat stillte. Unterschiedliche Konzentrationen des Sauerstoffisotops O-18 zeigten, dass die Tiere wohl auch in höhere Bergregionen zogen, um dort zu fressen und zu trinken. Die Forschenden schlossen daraus: Im heißen Sommer bevorzugten sie die schattigen Berge und kehrten im Herbst ins Flachland zurück. Dank ihrer Einträge im Zahnschmelztagebuch konnten Forschende an diesen Reisen teilhaben – wenn auch nur mit Mikroskop und Massenspektrometer.
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