piwik no script img

Warten, bis das Blut kommtAlles richtig doll schlecht

Ein verschobener Impf-Termin ist kein Weltuntergang. Aber unter gewissen Umständen kann er trotzdem alles infrage stellen.

Warten, warten, warten: Wer das nicht gut kann überbrückt die Zeit mit weinen am Telefon Foto: rogistok/imago

W ir haben einen schönen alten Holzfußboden, ich mag ihn sehr, so sehr, dass ich vor ein paar Tagen 30 Minuten weinend auf ihm saß. Wie konnte es so weit kommen?

Ich wollte einen Corona-Impftermin ausmachen. Eigentlich keine Herausforderung, dachte ich, hoffte ich. Doch dann wurde es schwierig. „Ja, sind Sie denn Ri­si­ko­pa­ti­en­t*in oder arbeiten im Gesundheitswesen?“ „Nein, aber ich bin mit einem Risikopatienten verheiratet und möchte mich deshalb auch impfen lassen.“ „Ja, also, das müssen wir mit den Ärz­t*in­nen besprechen, die Stiko empfiehlt die Impfung ab 60 Jahren oder für Menschen mit Vorerkrankungen. Wir rufen Sie zurück.“

Mein Handy und ich sind unzertrennlich. Und dann, exakt in der seltenen Minute unserer Trennung rief die Praxis an und hinterließ mir eine für mich unverständliche Nachricht auf der Mailbox. Von meinem Mann bräuchten sie erst mal Facharztberichte, von meiner Impfung war plötzlich nicht mal mehr die Rede. Als ich zurückrief, hatte die Praxis allerdings bereits geschlossen und ich war verdammt das zu tun, was ich am schlechtesten kann: warten. Warten, bis ich am nächsten Morgen auf den Anrufbeantworter oder mit ganz viel Glück sogar mit einem Menschen sprechen konnte.

So weit, so nervig. Kann man sich kurz drüber ärgern und dann geht es weiter? Nicht an jenem Abend im Hause Lorenz. Da bin ich nämlich ausgeflippt. Habe meinen Mann die Nachricht viermal vorgespielt, dabei geweint und gerufen „Was reden die? Das macht keinen Sinn, ich hatte doch was ganz anderes gesagt. ALLES, ALLES, ALLES ist immer schwierig, kein Vorgang je einfach. Ich kann nicht mehr.“

Er hatte recht. Nur half das nicht

Mein Mann briet gerade Gnocchi mit Zucchini und Paprika in der Pfanne an und wusste jetzt auch nicht so recht, wie reagieren, nuschelte nur, „das ist doch jetzt nicht so schlimm“. Er hatte recht. Nur half mir das gar nicht.

Objektiv war es nichtig, subjektiv eine kleine Katastrophe. Ich rannte ins Schlafzimmer und kauerte mich vors Bett. Auf unseren schönen Dielenboden. Wäre interessant, ob Tränen zur Holzpflege geeignet sind.

Laut schluchzend dachte ich wieder mal, wie sehr zu viel dieses Leben mir doch ist. Dass alle anderen sicher niemals schreiend auf dem Schlafzimmerfußboden vorzufinden wären, wegen eines missverständlichen Anrufs in einer Arztpraxis. Dass ich zu viel für die Welt bin und die Welt aber auch zu viel für mich und dass dieses Dilemma sich nicht auflösen lässt und warum eigentlich niemand kommt und mir die Verzweiflung klaut. Ich war wirklich wahnsinnig traurig in meiner schönen Wohnung, mit dem lieben, Gnocchi bratenden Mann und den einfühlsamen Freun­d*in­nen in meinem Telefon. Alles war eigentlich gut und doch war ich überzeugt, dass alles richtig furchtbar doll schlecht ist und vermutlich so bleiben wird.

Am nächsten Morgen kam das Blut. Es wurde Zeit.

Meine Periode ähnelt in ihrer Zuverlässigkeit dem M41er Bus in Berlin. Sie kommt relativ willkürlich. Die Menstruations-App dient – wie der BVG-Fahrplan – lediglich der groben Orientierung. Wann jedoch die Erlösung als Blutstropfen in meiner Unterhose landet, bleibt allmonatlich spannend. Ebenso spannend wie die Frage, wann wir unseren Impftermin erhalten werden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Sarah Lorenz
Sarah Lorenz wurde 1984 in Eckernförde geboren, lebt und schreibt auf St.Pauli. Seit 2023 Kolumne PMS-Ultras in der taz. Im Internet bringt sie unter dem Pseudonym Buchi Schnubbel allabendlich eine Kleinstadt an Menschen zu Bett.
Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
  • Schade, dass Sie ohne Erklärungen allein gelassen wurden, verstehe gut, dass Sie frustriert waren.

    Ich versuche mal kurz zu erklären, was der Grund für die Empfehlungen der Stiko ist, dann fühlen Sie sich vielleicht besser.



    Risikopatienten (vor allem Alte und Immunsupprimierte) sollten sich vor allem deswegen impfen lassen, weil davon ausgegangen wird, dass sie auf Basis der bisherigen Impfungen und/oder Infektionen keine ausreichend robuste Immunität aufbauen. Um Komplikationen oder schwere Verläufe bei Infektionen zu vermeiden, sollen sie sich boostern lassen. (nicht um Infektionen selbst zu vermeiden, das ist nämlich leider nicht möglich)

    Als Angehörige fallen sie nicht in die Gruppe, weil



    a) Sie sich trotz Impfung infizieren



    b) es für Ihren Partner egal ist, ob er sich durch Sie oder jemand anderen infiziert

    Entscheidend ist, dass Ihr Partner durch die Auffrischungsimpfung eine bessere Immunität hat und daher durch eine (nicht vermeidbare) Infektion nicht stark gefährdet wird.

    Daher: sparen Sie sich den Frust mit der Arztpraxis, es macht am Ende keinen Unterschied

    • @Ringsle:

      Aus der aktuelle Empfehlung der StIKo: “Zudem empfiehlt die STIKO Personen mit erhöhtem Risiko für schwere COVID-19-Verläufe (Personen im Alter ≥ 60 Jahre, Personen ab dem Alter von 6 Monaten mit relevanten Grundkrankheiten, BewohnerInnen in Einrichtungen der Pflege), einem erhöhten arbeitsbedingten Infektionsrisiko (medizinisches oder pflegerisches Personal) sowie [jetzt kommt's] Familienangehörigen und engen Kontaktpersonen von Personen unter immunsuppresiver [sic!] Therapie, die durch eine COVID-19-Impfung selbst nicht sicher geschützt werden können, weitere Auffrischimpfungen”

      Außerdem:

      ad a) Der Virus ist seit dem letzten Impfstoffupdate weiter mutiert, d.h. es ist davon auszugehen, dass neuere Impfstoffe dem Immunsystem helfen, mit den neueren Mutanten besser umgehen. Die Viruslast von geimpften Personen fiel zumindest in der Vergangenheit deutlich geringer aus als die von ungeimpften Personen. Es ist daher davon auszugehen, dass geimpfte Menschen weniger infektiös sind—selbst wenn sie sich anstecken.

      ad b) Es ist deutlich einfacher sich bei anderen Menschen nicht anzustecken (z.B. indem man in der Öffentlichkeit eine Maske trägt) als bei der Person, mit der man Haus und Bett teilt.

      Mit besten Grüßen.

      • @tinygrassisdreaming:

        In wie weit die Autorin Kontaktperson einer unter immunsuppressiver Therapie stehenden Person ist, die durch Impfung selbst keinen Immunschutz aufbauen kann, sei dahingestellt.



        Es betrifft (glücklicherweise) eher wenige, richtig konkret wird die Stiko in dieser Impfempfehlung nicht. Es gab allerdings 2022 mal (www.rki.de/DE/Cont...22/07/Art_03.html) eine Impfempfehlung, die konkret Bezug auf spezielle Immunsuppressionszustände nahm. Konkret: kritisch sind (zum Zeitpunkt der Impfung) Hochdosis-Kortison, Hochdosis MTX, spezielle hochwirksame Immunsuppressiva und spezielle Biologika. Dazu kommen schwerste angeborene Immundefekte, Z.n. Organtransplantation, Dialysepatienten und Krebserkrankungen unter Immuntherapie, HIV mit fortgeschrittener Immunsuppression.

        Ja, richtig, wenn eine schwerst immunsupprimierte Person sich u.U. weiter isoliert (was vielleicht auch wegen anderer Erkrankungen phasenweise sinnvoll sein kann), ist natürlich die Kontaktperson besonders im Fokus.



        Ich denke aber, dass dies seltener vorkommt und in diesen Fällen die behandelnden Ärzte auch darauf hinweisen. Mir persönlich wäre die (Fremd-)schutzwirkung der Covidimpfung in solchen Fällen definitiv zu gering, sodass ich mich wohl eher mit isolieren würde, aber wie gesagt, das sind Ausnahmen (z.B. myeloablative Therapie vor Stammzelltransplantation)

        Es spricht ja auch gar nichts dagegen, dass sich die Autorin nochmal boostern lässt - ich wollte eher darauf aufmerksam machen, dass es unterm Strich wohl nur wenig Unterschied macht und es nicht wert ist, darüber zu verzweifeln. Aber genau darum ging es wohl angesichts der Rubrik "PMS" wohl auch...;-)

  • Die Auskunft der Praxis verstehe ich nicht. Die Stiko-Empfehlungen sind ja genau das - Empfehlungen. Wenn man nicht darunter fällt und dennoch eine Impfung möchte, wo ist das Problem.

    • @Ciro:

      In der Tat. Evtl geht es noch darum wer die Kosten überimmt. Aber hier hat wohl die 'vorauseilende Fürsorge' zugeschlagen manchmal auch als Form des Patriachats bekannt...