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War da was?

Krieg und Kapitulation verhinderten die Realisierung der größenwahnsinnigen Planungen von Albert Speer für die Reichshauptstadt Germania. Doch die Wunden blieben. Oft sind sie unsichtbar. Eine Spurensuche

Model von Germania. Vorn der 117 Meter hohe Triumphbogen, viermal so groß wie sein Vorbild, der Arc de Triomphe in Paris Foto: UIG/imago

Aus Berlin Uwe Rada

Soll man diese Geschichte des Größenwahns und was von ihm blieb vom Ende her erzählen? Von der Befreiung durch die Rote Armee am 23. April 1945?

Die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter des Lagers 75/76 in Berlin-Schöneweide haben den Tag herbeigesehnt, erzählt Susanne Müller. „Sie saßen im Luftschutzkeller und hofften, dass sie nicht getroffen werden. Gleichzeitig wussten sie, dass jede Bombe das Ende des Krieges näher bringt.“

Als es dann so weit war, war das Leid der Männer und Frauen aus Polen, der Ukraine, Russland oder Italien nicht zu Ende. Müller erzählt von Ugo Brilli, einem italienischen Zwangsarbeiter aus der Toskana. Der berichtete, wie er auf der Suche nach Essbarem in den Kellern der umgebenden Mietskasernen von einem Bewohner bedroht wurde. „Wenn wir die Sachen nicht dagelassen hätten“, schrieb Brilli in seinen Erinnerungen, „ich denke, er hätte uns kaltgemacht.“

Susanne Müller führt an diesem kalten Novembermorgen eine Seminargruppe des Vereins Berliner Unterwelten über das Gelände des ehemaligen Lagers, in dem sich heute das Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit befindet. „Die Insassen durften sich nach der Befreiung frei bewegen“, sagt Müller. „Doch der Weg nach Warschau oder Italien war weit.“

Weniger weit war der Weg für Hans Freese. Der in Oldenburg geborene Architekt hatte das Lager am Britzer Weg/Ecke Köllnische Straße Anfang 1943 bauen lassen. In den 13 Baracken sollten 2.160 Zwangsarbeiter untergebracht werden, um in den nahe gelegenen Fabriken an der Spree in der Rüstungsproduktion zu arbeiten. Auftraggeber war der Generalbauinspektor (GBI) für die Reichshauptstadt Berlin, die Behörde von Albert Speer.

Statt die „Große Halle“ zu bauen, den größten Kuppelbau der Welt für 180.000 Hitlergrüße, hatte der Architekt des „Führers“ vier Jahre nach Kriegsbeginn ein Zwangsarbeiterlager in Auftrag gegeben. Es war nicht das erste. Im „Konzentrationslager der Reichshauptstadt“ wurde in Sachsenhausen bei Oranienburg schon 1939 eine Großziegelei eröffnet.

Doch der Zweck der Lager hatte sich geändert. In Schöneweide mussten die Zwangsarbeiter wegen der Lage an der Front die Rüstungsproduktion hochfahren. Im „Klinkerwerk Oranienburg“ sollten sie das erforderliche Baumaterial für die Umgestaltung Berlins bereitstellen.

Denn Speer hatte vor dem Krieg keinen geringeren Auftrag als den, in Berlin das alte Rom und Babylon zu übertrumpfen – als „Reichshauptstadt Germania“. „Die Vollendung“, hatte Adolf Hitler nach dem Sieg über Frankreich 1940 in einem Führerbefehl verkündet, „erwarte ich bis zum Jahre 1950.“

Wer diese Geschichte des Größenwahns vom Ende her denkt, von der Befreiung der Zwangsarbeiter in Schöneweide und der deutschen Kapitulation am 8. Mai 1945, atmet womöglich tief durch und spürt Erleichterung. Berlin wurde im Krieg zwar in weiten Teilen zerstört, doch „Germania“ war ihm erspart geblieben.

Der Zeithorizont von Hitler und Speer aber war ein anderer. Ihr Ende ging über den Krieg hinaus. Zwar wurden die Planungen für die Umgestaltung Berlins nach der Niederlage der Wehrmacht in Stalingrad gestoppt. Doch Speers Behörde war 1943 nicht aufgelöst worden. Sie gaben nun Bunker und Zwangsarbeiterlager in Auftrag. Darüber hinaus wurde 1944 beim Generalbauinspektor der „Arbeitsstab für den Wiederaufbau bombenzerstörter Städte“ eingerichtet.

Auch Hans Freese, der Architekt des Lagers 75/76 in Schöneweide, gehörte diesem Arbeitsstab an. Wie 50 andere Architekten des GBI hatte Albert Speer Freese auf die „Gottbegnadeten“-Liste gesetzt und somit dem Zugriff der Wehrmacht entzogen.

„Germania“ war trotz des Krieges nicht aufgehoben, sondern nur aufgeschoben. Für die Zeit nach dem Endsieg.

Planungen für die Reichshauptstadt

Vielleicht sollte man diese Geschichte mit einer Adresse beginnen. Pariser Platz 4 lautet sie, heute befindet sich dort der Neubau der Akademie der Künste. Das 1857 von Eduard Knoblauch erbaute „Palais Arnim“ war im Krieg zerbombt worden.

1937 hatte der Pariser Platz 4 einen neuen Mieter bekommen. Mit seinen Planern zog Albert Speer, als Generalbauinspektor Person und Behörde in einem, ins klassizistische Palais und machte sich an die Arbeit. Der Berliner Oberbürgermeister war bald schon von seinen Zuständigkeiten entbunden worden. Albert Speer hatte freie Hand.

Der in Mannheim geborene Speer war damals erst 31 Jahre alt. Nach dem Tod des bisherigen NS-Chefarchitekten Paul Ludwig Troost im Januar 1934 war Hitler auf ihn aufmerksam geworden. Im selben Jahr bekam Speer den Auftrag für den Bau der Neuen Reichskanzlei. Seinen Durchbruch feierte er dann mit den monumentalen Bauten, die er 1934/35 für die Reichsparteitage der NSDAP in Nürnberg errichtet hatte. Die Belohnung: Am 30. Januar 1937, vier Jahre nach der Machtübernahme, ernannte Hitler seinen Lieblingsarchitekten zum Generalbauinspektor, fortan nur dem „Führer“ unterstellt.

Um zu verstehen, was Speers Aufgabe war, besucht die Seminargruppe der Berliner Unterwelten die Ausstellung Mythos Germania, die sich hinter einer Stahltür in einem Zwischengeschoss des U-Bahnhofs Gesundbrunnen befindet. Im Zentrum der Ausstellung steht ein Modell der Nord-Süd-Achse, das für Oliver Hirschbiegels Film „Der Untergang“ 2004 gebaut wurde. Erweitert wurde es dann für Heinrich Breloers Dokudrama „Speer und ER“ aus dem Jahr 2005. „Inzwischen gehört das Modell den Unterwelten“, sagt der Architekt Michael Richter, der das Seminar mit dem Titel „Reichshauptstadt Germania. Der geplante Umbau Berlins im Nationalsozialismus“ leitet.

Richter geht um das Modell herum und zeigt auf die markanten Bauten, die Speer für den sieben Kilometer langen Hauptteil der Nord-Süd-Achse geplant hatte: Den 400 Meter breiten Südbahnhof als größten Bahnhof der Welt. Den 117 Meter hohen Triumphbogen, viermal so groß wie sein Vorbild, der Arc de Triomphe in Paris. Den Führerpalast mit einem Empfangssaal, der achtmal so groß wie der im Weißen Haus gewesen wäre. Und natürlich die Große Halle mit einer Höhe von über 300 Metern, in die der Petersdom in Rom 17-mal hineingepasst hätte.

„Nach dem Krieg wurde lange darüber diskutiert, ob die Große Halle in diesen Dimensionen überhaupt hätte gebaut werden können“, sagt Michael Richter. „Das war so eine Scheindiskussion, die von der Ungeheuerlichkeit der Planung wegführte. Im Sinne von: Wäre schon alles nicht so gekommen.“

Doch Speer war es ernst. Die technischen Planungen hatte ein Konsortium übernommen, in dem sich das Who’s who der Bauindustrie ein Stelldichein gab. Weite Teile des Alsenviertels, Berlins nobles Botschafterviertel im Spreebogen, wurden für den Bau der Halle abgerissen, zeitgleich wurde damit begonnen, die Spree umzuleiten. Noch in tausend Jahren, prophezeite Hitler, werde die Große Halle stehen.

Stattdessen steht dort heute das Bundeskanzleramt. Es ist der Versuch, die Lücke, die mit dem Abbruch des Alsenviertels für die Welthauptstadt Germania gerissen wurde, mit einem demokratischen „Band des Bundes“ neu zu besetzen. Manche haben dem Architekten Axel Schultes deshalb vorgeworfen, in die Fußstapfen Speers zu treten. Michael Richter hält das für Unsinn.

Wie viele der nicht gebauten Entwürfe ist die Große Halle ein Bauwerk, das auch ohne Realisierung fortlebt als Bild einer Diktatur, die selbst vor der Zerstörung der eigenen Hauptstadt nicht zurückschreckt. Wie die Halle wurden auch der Triumphbogen, der Führerpalast und der Südbahnhof nicht realisiert. So wie auch ein Verwaltungsgebäude, das Hans Freese, der Architekt des Schöneweider Zwangsarbeiterlagers, für die Nord-Süd-Achse entworfen hat. Der Entwurf liegt heute im Architekturmuseum der TU Berlin. Denn Freese, Mitglied im Stab für den Wiederaufbau der Städte, war nach dem Krieg erster Rektor der TU geworden.

Überhaupt gibt es nur wenige Zeugnisse von den Planungen des Generalbauinspektors für die Reichshauptstadt: Die Kandelaber an der Ost-West-Achse gehören dazu oder das heutige Ernst-Reuter-Haus. Andere Bauten wie der Rohbau des Hauses des Fremdenverkehrs am geplanten „Runden Platz“ wurden nach dem Krieg abgerissen. Heute steht dort die Staatsbibliothek. Das Berliner Olympiastadion von Werner March, der Flughafen Tempelhof und das Reichsluftfahrtministerium von Ernst Sagebiel, in dem heute das Finanzministerium untergebracht ist, wurden bereits vor den Planungen des Generalbauinspektors fertiggestellt.

Germania ist also gescheitert, bevor es gebaut wurde. Ist das eine gute Nachricht? Oder verbirgt sich hinter dem bis heute anhaltenden Aufatmen auch der Wunsch nach Entlastung von diesem so schweren Erbe?

Denn ganz so stimmt das natürlich nicht mit dem Nicht-gebaut-worden. Zwar blieb Germania tatsächlich ein ebenso erschreckendes wie beeindruckendes Bild. Das Fundament war aber vielerorts bereits gelegt. Und die Wunden, die damals geschlagen wurden, sind bis heute zu sehen. Nicht nur im ehemaligen Alsenviertel, sondern auch im großbürgerlichen Tiergartenviertel, das für die Planungen am „Runden Platz“ abgeräumt wurde.

Am besten erzählt man die Geschichte von Germania also am Beispiel der Zerstörungen und Leerstellen, die es – noch vor seiner Realisierung – hinterlassen hat. Als Suche nach den Spuren in einer Archäologie des Größenwahns.

„Die Spuren und Zeugnisse von Germania existieren weniger im Vorhandensein, als vielmehr in dem, was fehlt“, sagt dazu Architekt und Seminarleiter Michael Richter und nennt zerstörte Stadtviertel, aber auch die systematische Vertreibung und Deportation von Jüdinnen und Juden.

„Noch vor den Novemberpogromen“, sagt Susanne Willems, „verknüpft Albert Speer seine Neugestaltungspläne mit eigenen Maßnahmen gegen die Berliner Juden.“

Juden müssen Abriss­mietern Platz machen

Die Geschichte, die die Historikerin Willems im Seminarraum der Berliner Unterwelten nahe der einstigen Mauer in der Bernauer Straße erzählt, ist eine Parabel dafür, wie der Rassenwahn der Nazis Hand in Hand geht mit der bürokratisch-kriminellen Energie in den Schreibstuben der Täter am Pariser Platz 4. Albert Speer braucht nämlich Wohnraum – viel Wohnraum. Für die Bewohner der Abrisshäuser im Tiergartenviertel und im Alsenviertel. Und für all die anderen Betroffenen seiner Germania-Planung. Alleine 18.236 Wohnungen sollen für die sieben Kilometer lange Nord-Süd-Achse abgetragen werden, insgesamt sind es 53.624 Wohnungen.

Bis 1938 setzte Albert Speer auf Neubau – und auf Umsetzung der von Abriss betroffenen Mieter. Alleine in der sogenannten Südstadt südlich des geplanten Südbahnhofs sollte Wohnraum für 210.000 Menschen entstehen. In der Oststadt am östlichen Ende der Ost-West-Achse waren sogar Wohnungen für 445.000 Menschen geplant. Doch die Vorbereitungen auf den Krieg machten die Neubaupläne zunichte, da nutzte Speer auch das „Klinkerwerk Oranienburg“ nichts.

„Um den Einstieg in den Umbau zu erzwingen“, sagt Susanne Willems, „strebte Speer an, sich Ersatzwohnungen aus dem Bestand an bewohnten Wohnungen zu verschaffen.“ Gemeint ist, was in den Registern des Generalbauinspektors fortan unter „Judenwohnungen“ firmierte.

Der Plan: Jüdische Berliner sollen aus ihren „Großwohnungen“ ausziehen und in „Kleinwohnungen“ gepfercht werden. Doch der Plan läuft schleppend an und nimmt erst Fahrt auf, als in Folge des Novemberpogroms 1938 Tausende Juden aus Berlin fliehen. Doch Speer ist ungeduldig, macht Tempo. „Das Gesetz über Mietverhältnisse mit Juden von April 1939 gestattet es der Behörde Speers, in Berlin den gesamten von Juden gemieteten oder vermieteten Wohnraum zu erfassen“, berichtet Susanne Willems. Begehrte Wohnanlagen weist der GBI ab Mai 1939 als „judenreine Gebiete“ aus.

Dennoch leben bei Kriegsbeginn von den einst 160.000 Berliner Jüdinnen und Juden noch 74.000 in der Stadt. In ihrem Buch „Der entsiedelte Jude“ hat Susanne Willems nachgewiesen, wie Albert Speer und seine Behörde von nun an mit der Gestapo Hand in Hand arbeiteten – und damit die Deportation von 50.500 Juden ermöglichte, die ab Oktober 1941 zunächst in die osteuropäischen Ghettos und später dann in die Vernichtungslager ging. Denn Speer hat die Listen und stellt sie der Gestapo zur Verfügung. „Er profitiert vom Abtransport der jüdischen Berliner in Lager und Ghettos, da weiterer Wohnraum frei wird“, betont Willems.

Albert Speer hatte keinen geringeren Auftrag als den, in Berlin das alte Rom und Babylon zu übertrumpfen

Tote müssen der Welt­hauptstadt weichen

„Das Berlin, das sich bis in die frühen 30er Jahre entwickelt hat, sollte zerstört werden“, sagt der Historiker Wolfgang Schäche, der einer der ersten war, der zu Speers Germania geforscht hat und 1998 mit dem Landesarchiv Berlin die Ausstellung „Von Berlin nach Germania“ zusammengetragen hatte. „Das war das liberale Berlin, das war das demokratische Berlin, das war das jüdische Berlin. Auf den Trümmern dieses Berlins solle die Welthauptstadt Germania entstehen.“

Germania ist zwar nicht entstanden, aber die Trümmer waren da. Nur sind sie inzwischen nicht mehr so leicht zu sehen. Wie markiert man die erzwungene Umsiedlung von Juden in so­genannte Schachtelwohnungen, in denen sich mehrere Familien wie Schachteln nebeneinander stapeln? Wer denkt am Berliner Kurfürstendamm daran, dass hier ein „judenreines Gebiet“ entstehen sollte? Ist das Mahnmal Gleis 17, das am Bahnhof Grunewald an die Deportationen der Berliner Juden ab Oktober 1941 erinnert, auch ein Erinnerungsort für die von Speer „entsiedelten Juden“?

Einfacher ist die Spurensuche dort, wo die Leerstellen bis heute sichtbar sind. Zum Beispiel auf dem St.-Matthäus-Kirchof an der Schöneberger Großgörschenstraße.

Der Matthäus-Kirchhof ist heute eine ganz besondere Grabstätte, das sehen auch diejenigen im Seminar der Unterwelten sofort, die nicht aus Berlin kommen. Das Grab von Rio Reiser kann es als Kultstätte längst mit dem von Jim Morrison auf dem Pariser Père Lachaise aufnehmen. Gleich hinter dem Eingang hat ein Verein das erste Friedhofscafé in Deutschland eröffnet.

Was die meisten Besucher nicht wissen: 120 Erbgräber mussten 1938 und 1939 den Planungen für die Nord-Süd-Achse weichen, darunter das Mausoleum der Familie Langenscheidt. Dieses befand sich im nördlichen Drittel des Friedhofs, der vom GBI entwidmet wurde. „25. Räumungsbereich“ hieß das Areal im bürokratischen Sprech der Speer-Behörde. Er umfasste neben dem Friedhofareal auch Mietshäuser in der Großgörschenstraße, der Hochkirchstraße und der Katzlerstraße. Hier sollte das Reichsversicherungsamt gebaut werden.

Um die Gräber umbetten zu können, musste der Waldfriedhof in Stahnsdorf Platz zur Verfügung stellen. Zur Alten Potsdamer Landstraße hin entstand dort die sogenannte Alte Umbettung, zu der auch das Mausoleum der Langenscheidts gehörte, das auseinandergebaut, mit der Bahn abtransportiert und in Stahnsdorf wieder zusammengesetzt wurde. Zur „Neuen Umbettung“ auf dem Südteil des Stahnsdorfer Friedhofs gehörten die Wahlgrabstätten und Reihengräber. So hat Germania also Spuren auch in Brandenburg hinterlassen.

Nicht nur lebende Menschen mussten den Umbauplänen für die Reichshauptstadt also Platz machen, sondern auch Tote. Weil die sich nicht wehren konnten, kamen die Pläne zur Umbettung von Gräbern schneller voran als die Umsetzung von Mieterinnen und Mietern. Insgesamt wurden 18.000 Särge und Urnen umgebettet, berichtet der Historiker Dirk Reimann, der im Rahmen eines Forschungsprojektes der „Stiftung Historische Friedhöfe“ 2001 auch die Geschichte des Alten Matthäus Kirchhofs in Berlin-Schöneberg untersuchte.

Von Protesten gegen die Umbettungen ist nichts bekannt. Das hatte womöglich auch damit zu tun, dass die öffentliche Hand alle anfallenden Kosten übernommen hatte. Für Michael Richter war die Umbettung einerseits heikel, weil sich die Nazis scheuten, auf völligen Konfrontationskurs zur Kirche zu gehen. Darüber hinaus gehörte zur Ideologie des Nationalsozialismus auch ein ausgeprägter Totenkult.

Diesen symbolisierte in der Nord-Süd-Achse vor allem der monumentale Triumphbogen, den Speer nach einer Skizze von Hitler aus dem Jahre 1925 entwarf. Er sollte den deutschen Toten des Ersten Weltkriegs gewidmet werden und die Namen aller Gefallenen als Inschrift tragen. So wäre ein Bogen geschlagen worden, von der „Schande von Versailles“, die es ohne den „Dolchstoß der Vaterlandsverräter“ nicht gegeben hätte, bis zur Auferstehung Deutschlands als Tausendjährigen Reiches – in Gestalt seiner Welthauptstadt Germania.

Wer auf dem Aussichtsturm in der General-Pape-Straße steht, kann in seiner Fantasie den Verlauf der geplanten Nord-Süd-Achse mit dem heutigen Stadtbild abgleichen. Ganz einfach ist das nicht, denn der Südbahnhof sollte nicht unmittelbar dort entstehen, wo sich heute der Bahnhof Südkreuz befindet, sondern ein Stück weiter östlich.

Auch deshalb ist der Aussichtspunkt eine gute Orientierung im Raum. Denn unmittelbar daneben sollte nach dem „Endsieg“ der Triumphbogen stehen. Um zu untersuchen, ob der Baugrund der Last der vier Pfeiler standgehalten hätte, ließ der GBI ein Bauwerk errichten, das bis heute als einzige Hinterlassenschaft der Planungen für die Nord-Süd-Achse gilt.

Nach dem Krieg: Albert Speer bei Arbeiten im Garten des Kriegsverbrechergefängnisses in Berlin-Spandau (1945) Foto: Horst Sakowitz/ullstein bild

Schwerbelastungskörper“ hat Michael Richter den 14 Meter hohen und kreisrunden Baukörper aus Beton genannt, der mehr als 12.000 Tonnen wiegt. Mit dem Bezirk Tempelhof-Schöneberg haben ihn die Unterwelten zu einem Informationsort gemacht, der an authentischer Stelle daran erinnert, was die Nord-Süd-Achse für das Stadtbild Berlins bedeutet hätte.

Denn Speers Planung hätte die vorhandene Stadt nicht nur zerstört, wo sie ihr im Wege war. Sie hätte sich dort, wo sie bleiben durfte, auch über sie erhoben. An einem Modellfoto ist im Ausstellungsgelände des Schwerbelastungskörpers nämlich zu sehen, wie die Nord-Südachse nördlich des Südbahnhofs aus dem umliegenden Quartieren emporgewachsen ist. „Sie wäre so hoch gewesen wie der Schwerbelastungskörper“, sagt Richter den erstaunten Seminarteilnehmern. „Der Blick vom Ausgang aus dem Südbahnhof sollte durch den Triumphbogen die Große Halle zeigen, ohne dass diese durch den Bogen abgeschnitten worden wäre“, sagt Richter. „Dafür das Anheben des Bauplatzes um den Bogen.“

Der Schwerbelastungskörper hat den Krieg überstanden und auch die Nachkriegszeit, in der vieles, was an Hitlers und Speers Germania erinnert hätte, abgeräumt wurde. Geschliffen wurde nicht nur der Rohbau des Hauses des Fremdenverkehrs am Großen Platz, sondern auch die Neue Reichskanzlei, mit der Speers Karriere als Hitlers Architekt begonnen hatte.

War das was?

Der lange Weg zur Aufarbeitung

Germania war lange Zeit versunken wie ein Atlantis eines untergegangenen Epoche. Erst als im Landesarchiv Akten aus der Plankammer des Generalbauinspektors gefunden wurden, begann – mit der Ausstellung 1998 – die Aufarbeitung.

Albert Speer, in Nürnberg zu 20 Jahren Haft verurteilt, war da längst ein freier Mann, seine Memoiren waren Bestseller geworden. Wenn schon Speer nichts von Auschwitz gewusst haben will, wie er behauptete, durften es Millionen Deutsche dann nicht auch?

Und seine Architekten? Machten in der Bundesrepublik oder in der DDR Karriere. Hans Freese, der Architekt des Zwangsarbeiterlagers in Schöneweide, wurde nicht nur Rektor der TU Berlin. Er beteiligte sich auch an Wettbewerben für den Wiederaufbau von Städten wie Potsdam, Oranienburg, Cottbus und Eichwalde. 1955 gewann er den Wettbewerb für den Neubau des Auswärtigen Amtes in Bonn.

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