Wang Bing gewinnt in Locarno: Eine Spur muss bleiben
Der Regisseur Wang Bing macht unprätentiöse, geduldige Filme über einfache Leute. Nun hat er den Hauptpreis des Locarno-Festivals gewonnen.
1999 machte sich der chinesische Filmemacher Wang Bing, ausgestattet mit kaum mehr als einer billigen, niedrig auflösenden Digitalkamera, auf nach Tiexi, einem Industriegebiet in der nordchinesischen Metropole Shenyang. Drei Jahre lang filmte er dort in halbverfallenen Stahlwerken und verlassenen Arbeitervierteln.
Das Ergebnis war der 2003 veröffentlichte West of the Tracks, ein dreiteiliges, insgesamt fast zehnstündiges Dokumentarfilmepos über die für gewöhnlich unsichtbare Kehrseite der mit atemberaubender Geschwindigkeit voranschreitenden chinesischen Modernisierung. “Ein Endspiel der Arbeit, ohne utopischen Horizont“ (Simon Rothöhler).
Es folgten weitere eindrückliche Arbeiten, fast stets geht es um verdrängte Randbereiche der chinesischen Gesellschaft: In Three Sisters (2012) porträtiert den Alltag dreier Kinder, die auf dem Land in bitterer Armut aufwachsen, Til Madness Do Us Part (2013) entstand in einer psychiatrischen Klinik, in Ta’ang (2016) folgt die Kamera Flüchtlingen aus Myanmar auf ihrer Odyssee durch unwirtliches Grenzgebiet.
Wang Bings Filme sind gleichzeitig nüchtern und empathisch, vor allem aber sind sie geduldig. Jede Handlung, die sie beobachten, jede Erzählung, der sie zuhören, darf sich gemäß ihrer eigenen, inneren Logik entfalten.
Sieger in Locarno
Längst gehört der 1967 in Xi'an geborene Wang Bing zu den angesehensten Dokumentaristen der Gegenwart. Im Alter von 14 Jahren verlor er seinen Vater und übernahm Verantwortung für die Familie. Von 1992 bis 1995 studierte er Fotografie in Shenyang und an der Filmhochschule in Peking.
Auch die Kunstszene umschwärmt ihn: Sein aktueller Film Mrs. Fang, der gemeinsam mit Angehörigen am Sterbebett einer alten Frau ausharrt und der am Samstag den Hauptpreis des Locarno Festivals gewonnen hat, ist gleichzeitig auf der documenta zu sehen.
Aber der Regisseur ist nicht nur seinen Themen und seiner minimalistischen Methode treu geblieben, sondern auch seinem unprätentiösen Auftreten: “Ich bin nur ein einfacher Mensch, der filmt, was er zu filmen liebt“, sagt er in einem Interview.
Wenn man sich seine Filme anschaut, merkt man sofort, dass das keine Koketterie ist. Wang Bings Kino ist im besten Sinne bescheiden. Weil es sich ganz auf eine zentrale Grundfunktion des Dokumentarischen konzentriert: Es geht darum, Orte und Menschen im Bild festzuhalten, damit von ihnen eine Spur bleibt, wenn sie nicht mehr sind.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!