Wandteppich im Braunschweiger Rathaus: Neuer Anlauf zur Entnazifizierung
Ein Wandteppich des Nazi-Künstlers Karl Wollermann hängt immer noch im Braunschweiger Rathaus. Nun hat ein Künstlerkollektiv ein Ultimatum gestellt.
![Ein Raum mit steinernen Wänden, Kronleuchtern und dem Wandteppich von Karl Wollermann Ein Raum mit steinernen Wänden, Kronleuchtern und dem Wandteppich von Karl Wollermann](https://taz.de/picture/7208486/14/Braunschweig-Altstadtrathaus-Dorne-Wandteppich-2014-Brunswyk--1.jpeg)
Jenseits von Braunschweig ist der Multikünstler Karl Wollermann heute kein Begriff. Zwei Ausstellungen hatte ihm zu Lebzeiten das Städtische Museum gewidmet, die erste, ein Rundumschlag, 1959. Die zweite, elf Jahre später, feierte seine Textilarbeiten, obwohl doch in der Zwischenzeit mit großem Knall Wollermanns Tätigkeiten als hochrangiger NS-Kulturfunktionär in Nürnberg und in Franken aufgeflogen waren. In der Folge hatte er 1967 die Frühpensionierung antreten müssen. Die Ausstellung von 1970 zeigt: Manche hielten auch danach noch zu ihm.
Bei seiner Berufung nach Braunschweig 1951 hatten es alte NS-Seilschaften offenbar verstanden, kritische Fragen zu Wollermanns Vorleben zu unterdrücken. Weshalb hatte die US-Militärregierung ihn 1946 aus der Nürnberger Kunstakademie entlassen? Warum musste er nach einem ersten Entnazifizierungsverfahren sogar in Haft, Vermögen abtreten? Niemand schien interessiert. Er wurde Leiter der Werkkunstschule. Als die 1963 zur Hochschule aufgewertet wurde bekam Wollermann den Rektorenposten. Aber er überstand nicht nur gut 15 Jahre Lehrtätigkeit in Braunschweig unbehelligt. Er wurde auch mit Aufträgen für Bildteppiche versorgt.
Der erste war 1956 ein an Geschmacklosigkeit kaum zu übertreffender 250 mal 400 Zentimeter großer Wandbehang des Ratssitzungssaals. Er zeigt einen Phönix aus der Asche, entstiegen den lodernden Feuern aus Braunschweigs Kirchtürmen nach alliierten Bombardements.
„Auf diese Weise wird in künstlerisch bedeutsamer Form der ungebeugte Lebenswille unserer Stadt bekundet“, hieß es zur metaphorischen Idee. Dieses Stück, gefertigt durch eine während NS-Zeiten mit Staatsaufträgen „gearteter Innenausstattung“ bedachten Nürnberger Manufaktur, wurde dann offenbar nicht so recht geschätzt. Es gilt schon lange als verschollen.
Öffentlich präsent geblieben ist die zweite, wesentlich größere Auftragsarbeit, der 40-Quadratmeter-Bildteppich „Braunschweig“ von 1960. Er kombiniert in neusachlichem Formen-Repertoire wichtige Architekturen und das Wappen der Stadt zu einer gefälligen Collage.
Optisch tut er niemandem weh. Und das wiederauferstandene Mittelalter seines Aufhängungsortes, der besagten Dornse im Altstadtrathaus, irritiert auch ohne ihn. Aber wie konnte sich, nachdem Wollermanns Vergangenheit bekannt wurde, diese NS-Nachfolge-Kunst im kommunalen Repräsentationsraum halten?
Dazu schwieg das öffentliche Bewusstsein lange. Erst in diesem Mai warf endlich ein Symposium im Städtischen Museum, das Wollermann einst so kritiklos huldigte, die Frage nach dem kulturellen Erbe der NS-Diktatur und dessen oft unreflektierter Rezeption nach dem Krieg auf. Was tun? Reicht die häufig praktizierte „Kontextualisierung“ durch einen Kommentar am Objekt?
„Nein“ meint die Bezugsgruppe Rainer Rauch. Ihre Mitglieder, drei HfBK-Absolventen, wollen Braunschweig aber helfen. Wenn Donnerstag der Teppich nicht abgehängt sein sollte, überreichen sie der Stadt ein Geschenk: ein Banner zum Verhüllen, groß wie der Teppich, „mit einer zeitgemäßen ansprechenden Motivik, die sich auf Braunschweig und seine Geschichte bezieht – und auf die Zukunft.“
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