Wandel beim IWF: Frau ist Geld
Unter der Politik des IWF hatten besonders Frauen zu leiden. Mit Christine Lagarde begann sich das zu ändern. Jetzt wird sie Chefin der EZB.
Christine Lagarde, die bald mächtigste Frau Europas, kann nicht nur hart sein. Ab November ist sie Chefin der Europäischen Zentralbank, jener Institution, die als Hüterin des Euro versuchen muss, eine taumelnde Gemeinschaft ökonomisch zusammenzuhalten.
Christine Lagarde kann auch sehr witzig sein. Vielleicht ist das eine einfache Übung, wenn man bei Trevor Noah in der „Daily Show“ sitzt, einer bitter-satirischen Politiksendung im US-Fernsehen. Im Juni, als sie noch Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF) war, erzählte sie dort etwas, das viel darüber verrät, wie sie arbeitet.
Noah fragt Lagarde, warum es so wichtig sei, dass Staaten in Frauen investieren, jenseits der „Nettigkeit“ des Themas. Lagarde antwortet: „Ich habe es aufgegeben, moralisch zu argumentieren. Das scheint niemanden zu beeindrucken.“ Wenn sie die Mächtigen der Welt trifft, frage sie stattdessen: „Wollen Sie eine florierende Wirtschaft? Höhere Einkommen für alle und profitablere Unternehmen? Ich habe noch nie einen Staatenlenker getroffen, der sagt: ‚Nee, mehr Wachstum brauch ich nicht.‘ “
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Lagarde bei Noah
Das ist die Formel, auf die Lagarde setzt: Frau ist Geld. Staaten, in denen Frauen mehr Jobs und mehr Macht haben, haben ein höheres Wirtschaftswachstum. Unternehmen, in denen mehr Frauen Führungspositionen innehaben, sind nachweislich profitabler. Der IWF hat auf seiner Website umfangreiche Forschung dazu gesammelt.
Gralshüter der Globalisierung
Weder der IWF noch Lagarde hat diese Erkenntnisse exklusiv. Die Studien gehen bis auf die 90er Jahre zurück. Vor oder parallel mit dem IWF sind auch Weltbank, Weltwirtschaftsforum und Welthandelsorganisation, all die Gralshüter der Globalisierung, auf die naheliegende Idee gekommen: Es ist wenig sinnvoll, die Hälfte der Menschheit (Frauen) in der Ökonomie zu ignorieren.
Lagarde hat geholfen, die dahinterstehende Empirie in die Sprache derer zu übersetzen, die Genderfragen für Gedöns halten: Der 1944 gegründete IWF ist gemeinsam mit der Weltbank das Herz der Globalisierung. Hier wird die Ideologie des ökonomischen Neoliberalismus in die Praxis übersetzt, nach der Konkurrenzkampf durch freie Märkte über allem steht.
Der Fonds überzeugt Zweifler mit einem harten Argument: Er kann im Notfall bis zu einer Billion Dollar mobilisieren, um zu verhindern, dass von der Pleite bedrohte Staaten die Weltwirtschaft gefährden. Dafür gibt er eine eigene Weltersatzwährung heraus, die alle IWF-Staaten als Zahlungsmittel akzeptieren. Meist bekommen sie Entwicklungsländer, übrigens zinslos.
Verbunden ist damit der Zwang zu einer politischen Agenda mit enormen sozialen Härten. „Der Westen hat sichergestellt, dass er die Früchte der Globalisierung einsammelt, auf Kosten der Entwicklungsländer“, schrieb Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz über die Politik von IWF und Weltbank.
Steuern gegen Frauen
Pakistan etwa hat 23 solcher Programme hinter sich, sagt die Sozialökonomin Bilquis Tahira, die sich seit Jahrzehnten für Menschen- und Frauenrechte in ihrem Land einsetzt. Die Situation in Pakistan ist komplex, die Auflagen des Fonds für neue Kredite sind nur ein Teil der Probleme. Aber ihre Richtung sei stets die gleiche: Kürzung von Sozialprogrammen und Löhnen, Privatisierungen, die zu höheren Benzin- und Strompreisen führten.
Wenn Steuern erhöht werden, dann nicht für Reiche, sondern die Mehrwertsteuer, die arme Haushalte besonders trifft. „Für die Frauen ist das eine doppelte Belastung. Frauen kümmern sich ums Familienbudget. Die Verschlechterung der medizinischen Versorgung trifft besonders Schwangere. Das Erste, an dem Familien sparen, ist der Schulunterricht für Mädchen“, sagt sie.
Frauen, nicht Männer pflegen die Alten, wenn staatliche Programme ausfallen, sie kümmern sich um die Kinder, wenn die Kindergärten schließen. In Pakistan arbeiten laut IWF Frauen zehnmal so lange unbezahlt im Haushalt wie Männer – weltweit sind es im Schnitt 2,7 Stunden mehr pro Tag, inklusive der Wochenenden.
In den meisten Entwicklungsländern finden laut der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) Frauen am ehesten Jobs als Lehrerinnen, Krankenschwestern oder in anderen sozialen Bereichen. Das allein ist schon diskriminierend und führt zusätzlich dazu, dass Frauen überproportional viele Jobs verlieren, wenn im öffentlichen Sektor gespart wird.
Für die Makroökonomen beim IWF war das jahrzehntelang kein Thema. Sie interessierten sich für Wachstum, Kreditwürdigkeit und stabile Wechselkurse, mehr nicht, sagt Emma Burgisser, die bei der NGO Bretton Woods Project den IWF und die Weltbank kritisch beobachtet.
2013 kam die Wende
Dann kam der September 2013, der IWF veröffentlichte ein Arbeitspapier mit dem Titel „Frauen, Arbeit und die Wirtschaft“. Grundthese war, dass es Wachstum und Stabilität kostet, wenn Frauen vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen sind. Lagarde war seit knapp über zwei Jahren Chefin des Währungsfonds, und sie wollte genau dieses Papier. So beschreibt es Monique Newiak, eine der Autor*innen.
Die deutsche Wirtschaftswissenschaftlerin berät gerade im Auftrag des IWF die Regierung von Sierra Leone. „Wir mussten uns als Institution zunächst rechtfertigen, warum wir uns überhaupt Genderfragen annehmen; und warum wir das Thema weltweit an Zentralbanken und Finanzministerien herantragen, die traditionell wenig darüber arbeiten“, sagt sie.
Dabei sind die Zusammenhänge eigentlich recht simpel: „Wir haben in den Daten gesehen, dass es vielfältigere Produkte gibt, wenn mehr gebildete Frauen im Arbeitsmarkt sind, besonders in Entwicklungsländern“, sagt sie. Das heißt, Länder exportieren diversere Produkte, sind weniger abhängig von einzelnen Industrien und damit auch weniger anfällig für Preisschocks in einzelnen Branchen.
„Wir haben das Bruttoinlandsprodukt, Wachstum und Einkommensungleichheit in Zusammenhang mit Genderfragen gebracht“, sagt Newiak. Gleiches galt für die Finanzwelt: Banken, die mehr Frauen in ihrer Führungsetage haben, sind stabiler. Lehman Brothers, die Zockerbude, deren Zusammenbruch 2008 die Finanzkrise ausgelöst hat, wäre als Lehman Brothers & Sisters besser dran gewesen. Der Spruch stammt von Lagarde.
Zahlen als Argumente
Anfangs habe es durchaus auch Gegenwind gegeben, sagt Newiak, Kollegen hätten sich gewundert: Genderfragen beim IWF, im Ernst? „Aber bei uns sitzen eben Leute, die vertrauen Zahlen. Die haben wir dann geliefert“, sagt sie am Telefon. Emma Burgisser sagt, Lagarde habe das Thema Gender strategisch aufgebaut: Erst leise, um den Widerstand klein zu halten, bis sie die Zahlen zum Argumentieren hatte.
Aber was bringt das alles, wenn der IWF nicht versteht, dass „es die Aufgabe der Wirtschaft ist, der Gesellschaft zu dienen, statt andersherum“, wie es die britische Ökonomin Diane Perrons ausdrückt? „Akzeptiert beim IWF irgendjemand, dass wir ein anderes Wirtschaftsmodell brauchen? Dass der Neoliberalismus besonders Frauen, aber auch armen Männern nichts gebracht hat?“, fragt sich Bilquis Tahira.
Es gibt Anzeichen dafür. Im Jahr 2018 veröffentlichte der IWF für seine Mitarbeiter*innen eine Anleitung, in der steht: Man solle Gegenmaßnahmen ergreifen, wenn Maßnahmen, die zu Wachstum und Stabilität führen sollen, negative Auswirkungen auf Frauen haben.
Institut Karl Marx statt US-Elite-Uni
Jedes vierte Beraterteam beachte mittlerweile Genderfragen, sagt IWF-Frau Newiak: Ägypten beispielsweise muss nach einem neuen IWF-Programm zwar sparen, aber gleichzeitig mehr Geld für den Nahverkehr und für Kitas ausgeben. Ein Novum. Burgisser kritisiert, dass der neue Ansatz rein freiwillig sei, dass die meisten IWF-Programme immer noch durchgezogen werden, ohne die Auswirkungen auf Frauen und Arme zu berücksichtigen.
Kristalina Georgiewa, Direktorin des IWF
Die neue Frau an der Spitze des Fonds, Kristalina Georgiewa, könnte die Politik des IWF weiter ändern. Die Bulgarin war schon Präsidentin der Weltbank, Vizechefin der Europäischen Kommission und hat als EU-Kommissarin für humanitäre Hilfe das Elend von Flüchtlingen gesehen. Sie hat nicht an einer amerikanischen Eliteuniversität, sondern am Institut Karl Marx in Sofia studiert.
Auf der Herbsttagung des IWF sagte sie in einer ihrer ersten Auftritte in ihrer neuen Rolle: „Meine Geschichte ist typisch für Frauen meiner Generation: Ich musste doppelt so hart arbeiten wie jeder Mann, nur um gleich zu sein.“ Bilquis Tahira saß im Publikum und stellte Georgiewa die Frage, ob der Fonds nicht sein grundsätzliches Wachstumsmodell infrage stellen müsse. „Wir müssen unseren Horizont erweitern, wenn wir die richtige Politik machen wollen“, erwiderte Georgieva.
Später sagt Tahira am Telefon zur taz dann nachdenklich, sie gebe die Hoffnung nicht auf: „Ich glaube, eines Tages können wir sie von einem neuen Wirtschaftsmodell überzeugen.“
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