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Walpurgisnacht in BerlinMacker vermöbeln, Hexhex!

Tausende Flinta* gehen am Mittwochabend gegen das Patriarchat und den globalen anifeministischen Backlash auf die Straße. Die Demo bleibt friedlich.

Antifaschistische Hexen erobern in der Walpurgisnacht die Straßen der Stadt Foto: Sebastian Gollnow/dpa

BERLIN taz | Die Hexen sind wieder da – diesmal nicht auf Besen, sondern in „Macker vermöbeln“ Shirts. Mehr als 3.000 Flinta* – Frauen, Lesben, intergeschlechtliche, nichtbinäre, transgeschlechtliche und agender Personen – nahmen laut Polizei am Mittwochabend an der queerfeministischen „Take back the night“-Demo teil.

Rund um den Mariannenplatz in Kreuzberg sitzen Flinta* in kleinen Gruppen auf dem Pflaster und lauschen Redebeiträgen, während sich die Sonne über dem Platz senkt. „Ihr dachtet ihr hätte uns verbrannt, aber jetzt stehen wir hier mit einer Fackel in der Hand!“, ruft eine Rednerin.

Bei der Flinta*-only Demo nehmen sich Flinta* am Abend vom 30. April traditionell die Walpurgisnacht zurück. Auch in Hamburg brachten Tausende ihre Wut auf die Straße, einige hundert auch in Dresden. Es ist die Nacht, in der Hexen aus dem Schatten treten, sich verbünden und feiern. Was Hexen und Queer­fe­mi­nis­t*in­nen eint? Der Kampf gegen patriarchale Unterdrückung.

Und die ist bittere Realität: Red­ne­r*in­nen kritisieren in ihren Beiträgen unbezahlte Care-Arbeit, sexualisierte und häusliche Gewalt, fehlende Frauenhausplätze und die mangelnde Umsetzung der Istanbul-Konvention, die Frauen vor Gewalt schützen soll. Allein im vergangenen Monat gab es in Berlin 4 Femizide. Doch patriarchale Gewalt ist kein deutsches Phänomen, und erst recht kein „importiertes“, wie rechte Narrative behaupten. Das wird in den Redebeiträgen deutlich, die den weltweiten antifeministischen Backlash thematisieren – von den USA über Ungarn bis in den Iran. Sie fordern: „We want to walk by night!“.

Und das tun die Hexen in der Walpurgisnacht: Gegen 21:30 Uhr setzt sich der Demozug unter Feuerwerk und „Whose streets? Our streets!“-Rufen schnellen Schrittes in Bewegung. Vorneweg zieht der rund 100-köpfige Schwarze Block die Audre-Lorde-Straße entlang, umhüllt von pinkem Rauch, Pyro und Nebelkerzen. Die Strecke führt zunächst zurück zum Rio-Reiser-Platz, begleitet von „Ni una menos“- und „Jin, Jiyan, Azadî“-Rufen aus der argentinischen und iranischen feministischen Bewegung.

Solidarität mit unterdrückten Kämpfen weltweit

Die traditionell eher weiße Veranstaltung, tritt in diesem Jahr internationaler und intersektionaler auf – zumindest im Aufruf. Im Zentrum des Aufrufs unter dem Motto „In Solidarity we fight“ steht die weltweite Solidarität mit unterdrückten Kämpfen. Auf dem Demo-Plakat ist die kurdische Flagge zu sehen, der Slogan „Jin, Jiyan, Azadî“, Forderungen nach Freiheit für Kongo und Sudan sowie die halbierte Wassermelone, Symbol der Palästina-Solidarität.

Der Krieg in Gaza spaltet die feministische Bewegung und führte auch bei der „Take Back the Night“-Demo in der Vergangenheit zu Konflikten. Anders als in früheren Jahren wurde die Demo in diesem Jahr von Ak­ti­vis­t*in­nen aus dem pro-palästinensischen Spektrum mitorganisiert. Antideutsche Positionen werden daher nicht toleriert, so die Ansage. Im Aufruf wurden deutsche Waffenlieferungen kritisiert sowie der repressive Umgang mit pro-palästinensischen Demonstrant*innen. Auf der pro-palästinensischen Demo am feministischen Kampftag war es zu massiver Polizeigewalt gekommen.

Viele tragen Kufiyas, immer wieder hallen „Free, free Palestine“-Rufe durch die Straßen, einmal muss der Demozug anhalten, weil die in Berlin verbotenen Parole „From the River to the Sea“ gerufen wird. Der Konflikt dominiert jedoch, entgegen der Ankündigung, eindeutig nicht die Veranstaltung. Ansonsten ziehen die wütenden Flinta* zügig die über fünf Kilometer lange Strecke vom Lausitzer Platz über die Oberbaumbrücke in Richtung Friedrichshain, begleitet von Pyrotechnik und lauten, empowernden Gesängen.

Auseinandersetzungen mit der Polizei bleiben, wie bereits im Vorjahr, weitgehend aus. Die Polizei setzt auf Deeskalation und verzichtet zunächst auf ein Spalier. Nur einzelne Be­am­t*in­nen laufen dem Zug voraus. Auf vereinzelte Plastikflaschen und Steine, die aus dem Aufzug geworfen werden, reagieren die Einsatzkräfte ruhig, ziehen ihre Helme auf und bilden ein Spalier, das den Schwarzen Block näher begleitet.

Cis-Männer wollen Flinta* die Straße nicht überlassen

Zu einer Festnahme kommt es laut Polizei, jedoch nicht bei einer der Demo-Teilnehmerinnen, sondern bei einem der vielen cis-Streamer, die die Demo penetrant begleiten. Die Streamer filmen nach eigenen Angaben für die pro-palästinensische Bewegung. Einer von ihnen hätte auf eine Demo-Teilnehmerin eingetreten, nachdem sie ihm im Vorbeigehen das Handy aus der Hand geschlagen hatte.

Immer wieder schließen sich cis-Männer ungefragt der Demo an und beanspruchen selbstverständlich ihren Platz. Aussagen, wie „Ich bin genauso Bürger wie du!“, werden von wütenden Flinta*-Pulks mit „Macker verpisst euch, keiner vermisst euch!“-Rufen zurückgewiesen. Aufforderungen die Demo zu verlassen, werden wiederholt ignoriert und mit „Kauft euch doch eine Insel, wenn ihr uns Männer nicht haben wollt“, beantwortet.

Explizit ausgeladen sind neben cis-Männern auch TERFS (Trans Exclusionary Radical Feminist) und SWERFs (Sex Worker Exclusionary Radical Feminists), die in Teilen der feministischen Bewegung immer noch vertreten sind. Thematisiert wird an diesem Abend auch die für ihre trans*­feind­lich­keit bekannte Harry Potter-Autorin J.K.Rowling, die kürzlich mehrere zehntausend Pfund an eine Kampagnengruppe gespendet hatte, die sich gegen die Anerkennung transgeschlechtlicher Identitäten einsetzt.

Gegen 23 Uhr biegt der Demozug in die Grünberger Straße ein und zieht in Richtung Boxhagener Platz. Hier wird die Demo kurz darauf von den Ver­an­stal­te­r*in­nen vorzeitig aufgelöst. Schnell entschwinden die Hexen des Schwarzen Blocks in die dunkle Nacht.

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