Wahlwiederholung in Berlin: Bezirke sind wahlentscheidend
Die Bezirke haben wenig Zeit, um Wahllokale zu finden und HelferInnen für die Wiederholungswahl zu rekrutieren. Sie gehen damit sehr unterschiedlich um.
Die wichtigste Frage: Wer wird eigentlich gewählt? Das sind die Mitglieder des Abgeordnetenhauses und der zwölf Berliner Bezirksverordnetenversammlungen, kurz BVV. Kurios mag es klingen, dass die Mitglieder der Bezirksämter, also die BezirksbürgermeisterInnen und StadträtInnen, hingegen im Amt bleiben – und zwar auch dann, wenn sich durch die Wahlwiederholung die Mehrheitsverhältnisse im Bezirk verändern sollten.
„Sie sind für die Dauer der Legislaturperiode gewählt, die durch die Wahlwiederholung nicht beendet wird“, sagt Sabine Beikler, die Sprecherin der Innenverwaltung, der taz. Nur mit Zweidrittelmehrheit im Bezirksamt, so Beikler, könne ein für die Dauer der Legislaturperiode in den Beamtenstand berufener Stadtrat abberufen werden – sodass die Position danach neu besetzt werden kann. In diesem Fall, und auch wenn ein Stadtrat oder eine Stadträtin freiwillig zurücktritt oder verstirbt, gibt es ein Vorschlagsrecht für die Neunominierung eines Kandidaten.
Dieses Vorschlagsrecht ergibt sich aber aus den aktuellen Mehrheitsverhältnissen in der BVV. Es liegt also nicht unbedingt bei der Partei, die derjenige angehört, der aus dem Bezirksamt ausscheidet. Die Bezirke werden sich aber Abwahlen gut überlegen: Dann stünden nämlich hohe Versorgungsansprüche für die abgewählten Stadträtinnen und Stadträte bis zum Ende der Legislaturperiode an.
Die zwölf Berliner Bezirke haben sich in einer Videokonferenz einhellig dagegen ausgesprochen, den Volksentscheid zur Klimaneutralität auf den Wahltag am 12. Februar zu legen. Treptow-Köpenicks Bezirksbürgermeister Oliver Igel (SPD) empfiehlt der Volksinitiative Berlin 2030 klimaneutral, „den Volksentscheid mit der absehbar stattfindenden Wiederholung der Bundestagswahl zusammenzulegen“. Wann und in welchem Umfang diese wiederholt werden wird, ist allerdings noch unklar. Die Bundestagsfraktionen von CDU und AfD kündigten am Donnerstag eine gemeinsame Klage für eine komplette Wiederholung auch der Bundestagwahl vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe an.
Innensenatorin Iris Spranger (SPD) hatte am Dienstag im Senat erklärt, die bestehenden Verträge mit der Druckerei und Versandfristen für die Wahlunterlagen machten eine Zusammenlegung von Volksentscheid und Abgeordnetenhauswahl unmöglich. Laut Spranger könnten die Stimmzettel für den Volksentscheid erst Mitte Januar geliefert werden. Die Wahlunterlagen müssten aber bereits ab dem 2. Januar an die BürgerInnen versendet werden. (mai, afp)
Die Bezirke sind es auch, die für die Wahlwiederholung organisatorisch die meiste Arbeit stemmen müssen. Sie müssen Personal bereitstellen, Wahllokale unter Vertrag nehmen, WahlhelferInnen finden und die Wählerlisten vorbereiten. Lichtenberg, Charlottenburg-Wilmersdorf, Spandau, Reinickendorf und Marzahn-Hellersdorf haben Bürgerämter geschlossen, weil sie das Personal für die Wahlvorbereitung brauchen.
In Reinickendorf betrifft das beispielsweise das Bürgeramt Reinickendorf-Ost. 30 MitarbeiterInnen aus dem Bezirksamt, darunter die komplette Besatzung dieses Bürgeramtes, seien seit Anfang November in das Wahlamt abgeordnet und stünden damit für ihre eigentlichen Aufgaben nicht zur Verfügung, teilt das Bezirksamt mit. Demnächst will Reinickendorf darüber hinaus 40 externe Arbeitskräfte temporär einstellen.
Treptow-Köpenick schließt kein Bürgeramt
Treptow-Köpenick geht nach Aussagen von Bezirksbürgermeister Oliver Igel (SPD) einen anderen Weg: Der Bezirk stellt elf temporäre Dienstkräfte neu ein und beschäftigt zudem 38 Auszubildende bei der Wahlvorbereitung. Die Schließung eines Bürgeramtes werde dadurch nicht nötig, so Igel.
Wegen der langen Wartezeiten in den Wahllokalen 2021 hat das Landesverfassungsgericht den Bezirken auch nahegelegt, mehr Wahlkabinen bereitzustellen. „Die 2.256 Urnenwahllokale waren für durchschnittlich rund 1.085 Wahlberechtigte zuständig“, schreibt das Landesverfassungsgericht in seinem Urteil. Dabei gab es große bezirkliche Unterschiede. In Pankow gab es mit 1.312 Wahlberechtigten pro Wahllokal das schlechteste Verhältnis. Am günstigsten sah es in Treptow-Köpenick aus, wo durchschnittlich 880 Wahlberechtigte auf ein Wahllokal kamen.
Bezirksbürgermeister Igel sieht seinen Bezirk durch das Gerichtsurteil bestätigt und will bei der Zahl und Auswahl der Wahllokale keine Änderungen vornehmen. Ausnahmen gibt es: Die Briefwahl kann beispielsweise nicht wie sonst im Rathaus stattfinden, weil dort gerade saniert wird. Der Bezirk werde dafür externe Räume anmieten, sagt Igel.
Anders in Reinickendorf: Dort will der Bezirk nach Angaben des stellvertretenden Bezirkswahlleiters Hauke Haverkamp das Gerichtsurteil so umsetzen, dass in den Wahllokalen deutlich mehr Wahlkabinen aufgestellt werden. Das bedeute, so Haverkamp, „dass in manchen Stimmbezirken andere Wahllokale gesucht werden müssen“ die groß genug sind. Auch Pankow hat per Pressemitteilung angekündigt, größere Wahllokale anzumieten, um mehr Kabinen aufzustellen. Erst wenn alle Wahllokale feststehen, können die Bezirke überhaupt damit beginnen, die WählerInnen anzuschreiben. Denn in der Wahlbenachrichtigung muss stehen, wo man seine Stimme abgeben kann.
Suche nach WahlhelferInnen läuft
Entspannter scheint die Suche nach WahlhelferInnen zu laufen. Berlin braucht insgesamt 42.000 WahlhelferInnen, rund 8.000 mehr als 2021. Die können nicht allein aus dem öffentlichen Dienst kommen, und darum hat Berlin das steuerfreie „Erfrischungsgeld“ von 50 auf 240 Euro angehoben. Das führt bereits zu mehr BewerberInnen. In Reinickendorf haben sich beispielsweise schon 2.700 BürgerInnen beworben, 4.000 werden benötigt.
Was nicht nötig sein wird bei einer Wiederholungswahl: Die Parteien brauchen keine neuen KandidatInnen zu nominieren. Es kandidieren exakt die gleichen KandidatInnen wie am 26. September 2021. Allerdings gibt es Ausnahmen: KandidatInnen, die zwischenzeitig ihre „Wählbarkeit verloren haben“, wie es Axel Hunger, der Bezirkswahlleiter von Lichtenberg, formuliert, seien aus den Listen zu streichen. Das betrifft verstorbene KandidatInnen wie beispielsweise Marina Borkenhagen, die 2021 erfolgreich für die Linke in Treptow-Köpenick kandidierte, aber keine drei Monate später verstarb.
Gestrichen werden auch Personen, die gerichtlich verurteilt wurden und deshalb die Wählbarkeit verloren haben, oder die inzwischen nicht mehr in Berlin wohnen. Wer nur in einem anderen Bezirk gezogen ist, kann hingegen in seinem alten Bezirk auf der Liste bleiben, so Hunger. Wer aus seiner ursprünglichen Partei oder Fraktion ausgetreten ist, wird ebenfalls nicht von den Listen gestrichen.
Das betrifft in Lichtenberg beispielsweise je einen Kandidaten für die AfD und die Linke. Für solche Entscheidungen müssen die bezirklichen Wahlausschüsse Extrasitzungen einberufen und über jeden Einzelfall beraten. Erst danach können die Wahllisten überhaupt gedruckt werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin