Wahlslogans 2021: Juhu, wir dürfen wählen
Die AfD kann kein Deutsch. Die FDP liebt dudenrein die Freiheit. Die CDU will machen. Wahlplakate zwischen Karneval und konkreter Poesie.
I m späten Sommer auf dem Weg zu einem Literaturfest im Wiesbadener Burggarten, organisiert mit Enthusiasmus und ehrenamtlichem Engagement, fiel mein Blick auf ein Plakat: DER MENSCH MACHT’S. Der Satz ist so kryptisch, er hieß mich innehalten. Ansonsten stand nichts da, so, als wäre ein eleganter Auslassungsapostroph Aussage genug. Wie gewitzt, dachte ich, den Passanten wird Fantasie abverlangt.
Für Anhänger der repräsentativen Demokratie sind Bundestagswahlen der entscheidende Moment der Meinungsfindung. Volkes Stimme kommt zu Wort. Alle vier Jahre ein heiliger Augenblick der Teilhabe. Hitzige öffentliche Debatten gepaart mit feierlicher Stimmung, müsste mensch annehmen. Ein Ringen um Wege aus der Sackgasse, den unsere Zivilisation eingeschlagen hat, müsste mensch hoffen. Die Kulmination eines diskursiven Prozesses, ohne den die Idee unseres politischen Systems keinen Sinn ergibt.
Stattdessen ein wenig Boulevardtheater in den Medien und Plakate im öffentlichen Raum. Welches Verständnis von Politik kommt in den Appellen der Parteien an die Bürgerinnen zum Ausdruck? Welche wichtigen Botschaften erstrahlen zwischen Asphalt und Mastleuchte? Die Antwort: „Der Mensch macht’s“.
Sofort brachen Assoziationen über mich herein: „Milch macht müde Männer munter.“ Des Weiteren: „Wer macht hier, hat gemacht, was ist hier ausgemacht?“ Oder einfacher: „Was macht die Macht?“ Ein gelungenes Plakat, zu Karnevalszwecken oder als Anregung zur konkreten Poesie. Es handelte sich allerdings um Werbung für den Bundestagskandidaten der CDU, einen gewissen Ingmar Jung, vor vier Jahren erfolgreich unterwegs mit „Jung macht’s einfach“.
Nun sollte gerade die Christlich Demokratische Union wissen, dass der Mensch denkt und Gott lenkt. Oder in passender Variation: „Der Mensch macht, Gott lacht.“ Wie soll die Zuversicht von „Der Mensch macht’s“ wenige Wochen nach der Flutkatastrophe verstanden werden – als Hybris oder als Eingeständnis humanen Versagens?
Werbung und Politik sind seit Längerem schwer auseinanderzuhalten. Das ist keine neue Erkenntnis und trotzdem betrüblich. „Wir machen ehrliche Politik!“ prangt im Süden der Republik in Großbuchstaben und blauer Farbe auf einem Breitwandposter an einer Kurve der Bundesstraße 10. Noch so ein Wahlkampfspruch, könnte mensch meinen, doch handelt es sich um Werbung eines Mobilfunkanbieters. Da denkt das Volkshirn doch gleich an „das Blaue vom Himmel“.
Respektvoll wie Hartz IV
Unter diesem großspurigen Versprechen findet sich aber mehr konkrete Information als auf jedem Wahlkampfplakat, nämlich die Kosten für ein Monatsabo, bis auf den Cent genau beziffert. Das wirkt geradezu erfrischend konkret im Vergleich zu dem Plakat in der nächsten Kurve: „Respekt für dich“, gezeichnet Herr Scholz. So respektvoll wie „Hartz IV“ etwa?
Auf dem Land, etwa im schönen schwäbischen Örtchen Schlat, sind die Plakate noch bescheidener. Ein netter älterer Herr schaut einen unverbindlich freundlich an – Hermann Färber: „Ihre Stimme im Bundestag“. Womit nicht anderes benannt wird als das Prinzip der parlamentarischen Demokratie, so als müsste dieses einem unkundigen Volk erst noch verklickert werden.
Im Nachbardorf wird es endlich programmatisch. Eine junge Polizistin schaut streng, aber gerecht, den Autofahrerinnen und Fußgängerinnen ins Auge: „Mit Sicherheit. Deutschland gemeinsam machen“. Wir erkennen, bundesweit gilt: CDU = macht. Egal wie geschrieben.
Minimales von der FDP
Mit dem Thema Sicherheit ist bekanntlich leicht Heu machen, nicht nur in Tempo-30-Zonen. Am Ortsausgang hängt ein AfD-Plakat: „Security an den Grenzen statt im Supermarkt“. Da Birnen und Äpfel hierzulande seit den Germanen heimisch sind, müsste die AfD begreifen, dass sie sich nicht vergleichen lassen. Aber – sorry security – ein wenig enttäuschend ist es schon, dass just die AfD die deutsche Sprache verlernt hat.
Das Plakat von Herrn Lindner tönt hingegen dudenrein: „Aus Liebe zur Freiheit“. Unter der Lupe offenbart dieser Minimalsatz die zwei abgegriffensten Schlagworte der deutschen Sprache. Interessant sind ergo nur die Präpositionen. Einige Alternativen wären denkbar: „Durch Liebe mehr Freiheit“. Oder: „Zur Liebe, zur Freiheit“. Allesamt brauchbarer als die gewählte, denn es bleibt erschreckend unklar, was Herr Lindner aus Liebe zur Freiheit (wessen?) so alles zu tun bereit ist.
In Bayern hingegen prangt überall ein Söder, mit einem klaren Junktim: „Bayern stark machen. Damit Deutschland stabil bleibt“. Übersetzt: „Am bayerischen Besen soll Deutschland genesen.“ Nun, originell ist das nicht, wird diese Verbindung doch schon in der Hymne des Freistaats gepriesen: „Gott mit dir, du Land der Bayern / deutsche Erde, Vaterland!“ Und weitergesungen: „Er behüte deine Fluren!“
Im Herbst der Blindheit
Gottvertrauen als ökologisches Programm, das ist doch so viel inspirierender als die nüchterne Pragmatik des nächsten Plakats: „Wir haben kluge Ideen fürs Klima“. Schön für euch, sagt der Himmel, und schenkt den Grünen Farben, Weiß und Blau. Im späten Sommer zumindest, vor dem langen Herbst unserer Blindheit.
Nun mag die eine oder der andere einwenden, Plakate seien nicht das geeignete Medium für politische Entwürfe. Die Ausstellung „Das Plakat, 200 Jahre Kunst und Geschichte“ im MKG-Museum in Hamburg zeigte letztes Jahr, dass es möglich ist, politische Botschaften pointiert zu vermitteln, wie etwa durch Klaus Staeck: „Deutsche Arbeiter! Die SPD will euch eure Villen im Tessin wegnehmen.“ Neuerdings sogar „mit Respekt“.
Zum Schluss einige bescheidene Vorschläge für stimmige Slogans, damit der Wahlkampf an Biss gewinnt. CDU: „Wir lernen aus unseren vielen Fehlern.“ SPD: „Ein langer Weg von Das Kapital zum Kapital.“ Die Grünen: „Mit Spießertum die Welt retten.“ FDP: „Freiheit ist immer die Freiheit der Lobbyisten.“ Die Linke: „Putin, dein Freund und Helfer.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen