Wahlschlappe in Brandenburg: Dezent grün
Die Grünen tun sich immer schwerer damit, im Osten Fuß zu fassen – vor allem bei jungen Menschen. Warum? Besuch beim Straßenfest in Königs Wusterhausen.
K napp 30 Stunden, bevor das Wahldesaster der Grünen in Brandenburg feststeht, dröhnt aus einer großen Bluetooth-Box „So ein Wahnsinn“. Die Box steht zwischen Bierbänken auf einem Platz inmitten von Wohnblöcken der Wohnungsbaugesellschaft Königs Wusterhausen. Es riecht nach Rauch und Bratwurst. Zwei kleine Jungs üben sich mit einer großen Zange am Würstchenwenden, neben ihnen Curry-Ketchup, Senf und ein großer Karton mit Brötchen. Als Wolfgang Petrys Stimme zum zweiten Teil des Refrains seines populären Schlagers „Wahnsinn“ ansetzt – dem mit der Hölle – heben vier tanzende Rentnerinnen beide Hände in die Höhe und rufen laut im Takt „Hölle, Hölle, Hölle!“.
Zwischen den alten Damen tanzt eine junge Frau. Sie trägt ein Sommerkleid und ein besticktes Cap mit der Aufschrift „Antifa Lover“. Sie heißt Rosa Hurm und ist eine der zwei Sprecher*innen der Grünen Jugend Brandenburgs. Die veranstaltet an diesem Samstag vor der Landtagswahl in Brandenburg ein Straßenfest in Königs Wusterhausen, eine Stadt im Süden des Berliner Ballungsraums im Landkreis Dahme-Spreewald.
Als Parteijugend der Grünen sind sie jedoch kaum zu erkennen. Nirgendwo gelbe Sonnenblumen auf dunkelgrünem Untergrund. Dafür pinke Plakate mit schwarz-weißer Aufschrift und Slogans wie „Du willst Arbeitsplätze, die sicher sind. Organisiere dich!“
Auf einem Tisch sind Durstlöscher, Trinkpäckchen und Capri Sonnen aufgereiht. Sticker mit der Aufschrift „Krisenlöscher“ oder „Brandenburg – Gerecht geht anders“ kleben auf den Tetrapaks. „Grüne Jugend Brandenburg“ ist lediglich als kleiner dezenter Schriftzug in der Ecke vermerkt, leicht zu übersehen.
Rosa Hurm, Grüne Jugend
Wieso geben sich die jungen Grünen nur schwerlich zu erkennen? Es gehe darum, einen Raum zu öffnen und nicht darum, „den Leuten was auf die Nase zu binden oder zu verkaufen“, antwortet Jelle Siemer und schiebt seine Sonnenbrille zwischen die blonden Haare. Er ist ebenfalls Sprecher der Jugendorganisation. Außerdem sei ihre Kampagne „Brandenburg – Gerecht geht anders“ darauf ausgerichtet zu fragen, wie es jungen Leuten gerade eigentlich gehe und „nicht, sie von uns zu überzeugen, sondern wirklich hinzuhören“, ergänzt seine Kollegin Rosa Hurm. Daher das dezente Branding.
Gewissermaßen nimmt die Grüne Jugend damit an diesem Samstag vorweg, was nach der Wahl auch der Partei als Ganzes bevorsteht: aufzuarbeiten, woran es lag. Nur 4,1 Prozent der Stimmen erhalten die Grünen am Sonntag landesweit. Wie schon vor drei Wochen in Thüringen fliegen sie auch in Brandenburg aus dem Landtag. Eine Erkenntnis, die die Partei besonders alarmieren sollte: Bei den Jungen kommt sie nicht mehr an. Vor fünf Jahren erhielt sie bei den 16- bis 24-Jährigen noch 27 Prozent der Stimmen, jetzt sind es nur noch 6 Prozent.
Jetzt ist bei den Jungen die AfD die beliebteste Partei. Im Wahllokal Bürgertreff, direkt neben dem Fontaneplatz gelegen, erhalten die Grünen am Sonntag 12 Stimmen. Das entspricht 3,2 Prozent der Stimmen. Bei der Europawahl im Juni waren es noch 23. Auf Platz 1 liegen SPD und AfD mit je 125 Stimmen.
Dort scheint die GJ Brandenburg am Samstag vor allem die sehr jungen Leute zu erreichen. Bevor sich die Schlagerparty dazugesellt, liegt der Altersdurchschnitt auf dem Straßenfest am Fontaneplatz bei 5 bis 15 Jahren. Grundschulkinder eindeutig in der Mehrzahl. Kinder seien immer die Ersten, die solche Aktionen annehmen würden. Das zeigt laut Rosa Hurm, dass es mehr Orte für sie braucht. Die Kinder aus dem umliegenden Wohnviertel hätten direkt gefragt, ob sie helfen und mitmachen können, als sie gesehen haben, dass an diesem Samstag in ihrem Viertel etwas vor sich geht.
Inmitten der wuselnden Kinderschar sitzt Rosa Hurm auf einer der Biertischgarnituren. Sie fragt die Kinder, wie ihnen die Schule gefällt. Ihre Frage wird mit einem schüchternen „gut“ abgespeist. Die Kids sind darin vertieft, Stoffbeutel zu bemalen, Armbänder zu fädeln, Fußball zu spielen oder zu fragen, ob die Durstlöscher wirklich alle kostenlos sind.
Was andere Altersgruppen angeht, sei der Name der Partei „nicht gerade ein Türöffner“, sondern verschließt sie eher, sagt Sprecherin Hurm. Die Menschen würden sich leichter mit ihnen unterhalten, wenn sie nicht im Vorhinein ein Bild von der Partei im Kopf hätten. Das habe sich bei anderen Stopps ihrer Kampagne gezeigt.
Zudem würden sie als Grüne Jugend auch Verantwortung für ihre Mitglieder*innen tragen. So wie zuvor im Europawahlkampf sind auch vor der Landtagswahl Grünenwahlhelfer*innen in Brandenburg angegriffen worden. Die hohen Sicherheitsvorkehrungen, die es bräuchte, um ihre Leute zu schützen, könnten sie gar nicht leisten.
Die Anti-Grünen-Stimmung, die bei solchen Angriffen manifest wird und mittlerweile fester Bestandteil rechtspopulistischer Rhetorik ist, kommt beim Fest neben dem Fontanecenter kaum auf. Lediglich vom Tresen in der Kneipe gegenüber wird die Veranstaltung mit Argwohn betrachtet. Dort sitzt eine Schar mittelalter Männer und trinkt Bier. „Wer macht’n dit eigentlich? Die Grünen?“, fragt einer von ihnen skeptisch.
In den Plattenbauten rund um den Fontaneplatz, viele von ihnen um die 80er Jahre errichtet, lebt nicht das klassische bürgerliche Grünenwähler-Klientel. So auch im Kiez am Schlaatz in Potsdam, wo die Grüne Jugend Brandenburg bereits im August ein Straßenfest feierte. Es sind Gegenden, auf die sich die Grünen in Wahlkämpfen eigentlich nicht konzentrieren.
Auf der Wahlparty des Landesverbands am Sonntag werden Mitglieder aus einer weiteren mittelgroßen Stadt berichten: Sie waren zum Haustürwahlkampf nicht in den Plattenbauten, sondern vor allem in der Altstadt, wo die Grünen bei vergangenen Wahlen deutlich zweistellig abschnitten. Bei knappen Ressourcen müsse man sich auf die konzentrieren, bei denen etwas zu holen ist.
Das machen die jungen Grünen anders. Sie setzen in ihrer Kampagne auf Gespräche und 1:1-Formate und fischen dabei nicht in ihrem üblichen Wähler*innen-Klientel. Wenn sie auf Brandenburgs Straßen fremden Menschen Durstlöscher anbieten, sind die meistens eher verwundert.
„Wir wollen den Menschen auf Augenhöhe begegnen und ihnen natürlich nicht auflauern“, sagt Rosa Hurm und lacht, „sondern wir interessieren uns ehrlich dafür, was sie beschäftigt. Wir wollen wissen, ob ihnen etwas fehlt und was sie sich wünschen.“ Das sei dann meistens der Eisbrecher, wenn die Leute merken, dass man sich aufrichtig für ihre Meinung interessiere. So etwas sei in den vergangenen Jahren zu kurz gekommen und würde gleichzeitig gut aufgenommen.
Jelle Siemer, Grüne Jugend
Weiter am Bratwurststand: Dort legt ein kleiner Junge fünf Bratwurstbrötchen, die er vorher sorgfältig in Zewa verpackt hat, in den Rollator einer alten hageren Frau. Lächelnd schiebt sie die mit Grillwaren beladene Gehhilfe davon. Das Fest scheint ein Eigenleben anzunehmen. Die Kinder aus dem Viertel haben übernommen. Sie bedienen die Rentner auf den Bierbänken, streiten sich um die Grillzange und haben sogar einen Schichtplan für den Grill ausgehandelt. Jeder will mal.
Jelle Siemer und Rosa Hurm sitzen etwas abseits nebeneinander auf einer der Bierbänke. Ihre ernsten politischen Statements zu ihrer Rolle als Parteijugend der Grünen mischen sich mit humorvollen Bemerkungen zum Treiben auf dem Platz. In den vorigen Jahren hätten sie sich viel mit der Frage beschäftigt, wie sie als Grüne Jugend wirklich zu einer Veränderung beitragen können. Dabei hätten sie festgestellt, dass die Grünen eine „staatstragende Partei“ geworden sind.
Doch um ihrem politischen Anspruch gerecht zu werden, reiche es nicht, nur in Gremien zu sitzen. Jetzt verändere sich die Form ihrer politischen Arbeit und auch die Inhalte. „Wir lernen total viel. Zum Beispiel, so etwas wie das Fest hier auch als politische Arbeit zu begreifen“, sagt Jelle Siemer.
Im Wahlkampf den Kontakt zu Menschen zu suchen, vor allem an Orten, wo sie wenig Gehör finden, erinnert an die Strategie der KPÖ in Österreich. Die linke Partei gibt sich dort als Kümmererpartei und erzielt damit in Großstädten Wahlerfolge. Die Grüne Jugend, nicht nur in Brandenburg, schaut schon länger mit Interesse in den Süden – auch, weil sich vor einigen Jahren die Parteijugend der österreichischen Grünen mit ihrer Mutterpartei überwarf und sich zu großen Teilen den Kommunist*innen anschloss.
Georg Kurz, ehemaliger Bundessprecher der Grünen Jugend in Deutschland, arbeitete zuletzt sogar an den KPÖ-Wahlkämpfen mit. „Praktisch geht es in erster Linie darum, so viel wie nur irgendwie möglich in Kontakt mit den Menschen zu kommen, vor allem in den Stadtteilen, die vernachlässigt werden“, berichtete er Mitte September im taz-Interview. Nicht nur er, der sich mittlerweile von den Grünen abgewandt und der Linken angeschlossen hat, sieht das auch als Modell für Deutschland.
In Königs Wusterhausen sind sich die zwei Sprecher*innen der Grünen Jugend einig, dass es auch in Deutschland zukünftig eine breitere linke Organisierung braucht. „Uns ist klar, dass wir über die Parteiarbeit hinaus mit anderen Organisationen in Bündnissen zusammenarbeiten müssen, um gesellschaftlichen Druck auszuüben“, sagt Hurm abgeklärt.
Als Jugendorganisation hätten sie lange versucht, die Grünen von innen heraus zu verändern. Dann das „harte Erwachen.“ „Es bringt uns nur bedingt weiter, uns permanent an dieser Partei abzuarbeiten und immer wieder zu sagen, dass wir Kritik haben, um dann am Ende trotzdem unseren Kopf für diese Politik hinzuhalten“, so die 25-Jährige. Ihre Rolle würden sie mittlerweile anders verstehen: „Wir versuchen, eigene Schwerpunkte zu setzen und eigene Wege zu gehen.“
Für sie sei die Hauptaufgabe, ein politisches Zuhause für junge Menschen zu schaffen. Gerade jetzt. Eine ganze Generation sei so frustriert wie noch nie, weil jahrelang keine Politik für sie gemacht worden sei. „Alle Freundinnen ziehen weg, die Schulen werden kaputtgespart, es gibt kaum Freizeitangebote und der öffentliche Nahverkehr funktioniert auch nicht. Wir wollen diesem Frust Raum geben und in etwas Produktives umwandeln“, sagt Rosa Hurm, die diese Probleme aus ihrer eigenen Jugend im Brandenburger Hinterland kennt.
Sie selbst kommt aus ärmeren Verhältnissen. Ihre Politisierung habe ihr gezeigt, dass Armut, der Ausschluss vom gesellschaftlichen Leben und geringe staatliche Leistungen System haben. „Ich habe dann verstanden, dass die Scham, die ich lange gefühlt habe, politisch ist“, sagt sie. Für Hurm sei es an der Zeit, die soziale Frage endlich als entscheidende politische Frage unserer Zeit zu begreifen. Die GJ in Brandenburg ist zwar vom Klimaschutz aus gestartet, aber ohne eine „komplette Umverteilung“ funktioniere dieser nicht langfristig, so die Sprecherin.
Ihre Mutterpartei kritisieren die Landessprecher*innen nicht nur hinsichtlich fehlender sozialpolitischer Ambitionen, sondern auch für ihre Migrationspolitik. Die rechte Diskursverschiebung beim Thema Migration bereite ihnen Sorgen. „Es ist einfach krass, dass in einem Landeshaushalt mehrere Millionen zur Verfügung stehen, um Abschiebegefängnisse zu bauen, die keiner braucht, aber dann kein Geld da ist für das, was die Menschen tatsächlich brauchen“, sagt Rosa Hurm und schlägt vor, Kommunen besser finanziell zu unterstützen. „Egal was man fordert, hört man ja immer, das Geld ist nicht da und da ist es dann plötzlich da“, so ihr sichtlich resigniertes Fazit.
Für Rosa Hurm ist die Landtagswahl nicht der alles entscheidende Tag. „Langfristig muss es darum gehen, dass eine Partei einen Plan hat, wie man dem Rechtsruck wirklich was entgegensetzt.“ Es müsse gegen den Nährboden des Rechtsrucks vorgegangen werden. Der ist laut Hurm und Siemer soziale Ungleichheit und Ungerechtigkeit.
Ein Anruf am Abend danach, als im Fernsehen schon die ersten Prognosen laufen und sich die Niederlage der Grünen abzeichnet: Für Rosa Hurm ist klar, dass es auch in Brandenburg einen „sehr düsteren Landtag“ geben wird. Das unterstreiche ihre Forderung, dass es eine Politik brauche, die sich der Menschen annimmt und konkret ihren Alltag verbessert.
Laut dem 20-jährigen Jelle Siemer reicht es nicht aus, „einfach nur gegen rechts zu sein, wenn das einzige Angebot von demokratischen Parteien ist, den krisenhaften Status quo zu verwalten.“ Das sei „schlichtweg unattraktiv.“ Das Wahlergebnis, die Sperrminorität der AfD sowie das verfehlte Direktmandat der Grünen würden außerdem ihre Arbeit maßgeblich erschweren. Aktionen wie die in Königs Wusterhausen sind dadurch in Gefahr: wegen gekürzter Mittel und zunehmender Demobilisierung.
So kämpferisch Rosa Hurm und Jelle Siemer auch wirken, oft wird ihr Hadern mit ihrer Mutterpartei deutlich. Auf die meisten Fragen antworten sie schnell und wortgewandt, haben konkrete Vorstellungen. Fragt man sie jedoch, ob die Grünen eine Zukunft haben und ob sie überhaupt die linke Kraft sein können, die sie als Junge Grüne Brandenburg fordern, ist es still. „Nach diesen Landtagswahlen muss man in einen sehr ehrlichen Prozess gehen, was man sein will und was man nicht sein will. Davon hängt ab, ob diese Partei eine Zukunft hat und ob ich mit dieser Partei eine Zukunft habe“, sagt Jelle Siemer schließlich.
Rosa Hurm nickt. Laut ihr kommt es darauf an, ob die Partei „auf Biegen und Brechen“ eine staatstragende Rolle erfüllen möchte und dafür in Kauf nimmt, Entscheidungen mitzutragen, die die sozialen Ungleichheiten nicht an der Wurzel packen.
Auf dem Platz nähern sich neue Interessenten dem Bratwurststand. Zwei große Männer und ein Kind. Auf die Frage, was für eine Wurst sie haben wollen, sagt einer der Männer: „Alle wollen die Wurst mit Fleisch.“ Eins der Grüne-Jugend-Mitglieder ärgert sich ein wenig über die grundsätzliche Ablehnung der vegetarischen Alternative.
Der Mann, er hat den Schriftzug „La Familia“ über den Handrücken tätowiert, kommt wenig später zurück und möchte eines der vegetarischen Würstchen probieren. Er lobt sie regelrecht. Ist augenscheinlich überzeugt. Holt bald noch eine. Das erfreut nicht nur ihn, sondern auch das vorher noch etwas geknickte Junge-Grünen-Mitglied. Der einzige Moment auf dem Straßenfest in Königs Wusterhausen, in dem Klischee auf Klischee trifft.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Anbrechender Wahlkampf
Eine Extraportion demokratischer Optimismus, bitte!
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“