piwik no script img

Wahlkampfabschluss in BrandenburgVolksnähe ohne Volk

Vizekanzler Olaf Scholz besucht im brandenburgischen Prenzlau die Veranstaltung zum Wahlkampfende der SPD. Es kommen nur eine Handvoll Leute.

SPD auf Tuchfühlung: Olaf Scholz mit Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke in Oranienburg Foto: dpa/Christoph Soeder

Prenzlau taz | Olaf Scholz kommt in Jeans. Leicht gebräunt, entspannt, weißes Hemd, er sieht jünger aus als 61. Die örtliche SPD-Landtagskandidatin vibriert vor Glück und Anstrengung und zeigt ein gefrorenes Lächeln. Der Vizekanzler und vielleicht nächste SPD-Chef kommt nach Prenzlau, in eine Plattenbausiedlung am Stadtrand, die eine AfD-Hochburg ist. In der Siedlung gibt es manchmal Prügeleien zwischen Migranten und Rechten, auch Waffen hat die Polizei schon beschlagnahmt.

Man mache dieses Kaffeetrinken mit dem Vizekanzler extra hier, um Volksnähe zu zeigen, so die SPD. Trotz AfD. Man hört gellende Trillerpfeifen, aber nein, das ist keine Störaktion der Rechtspopulisten, die SPD verschenkt neben Kugelschreibern auch Trillerpfeifen, mit denen die Kinder auf Spielplatz nebenan vergnügt Lärm machen.

Die Stimmung in der Brandenburger SPD ist besser geworden. Sie liegt in den aktuellen Umfragen vor der Wahl am Sonntag bei 22 Prozent und kann hoffen, mehr Stimmen als die AfD zu bekommen. Die führte einige Zeit, doch die allerletzte Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen sah die AfD bei 21 Prozent. Der Trend scheint sich gedreht zu haben, die SPD könnte in ihrem ostdeutschen Stammland wieder stärkste Partei werden und den Ministerpräsidenten stellen. So wie seit 30 Jahren. Manche hoffen, dass die Nachricht, dass der Brandenburger AfD-Chef und Spitzenkandidat Andreas Kalbitz 2007 mit Neonazis in Griechenland war, Schwankende zur Vernunft bringt.

Mit der Volksnähe ist es an diesem warmen Freitagnachmittag mangels Volk schwierig. Der örtliche SPD-Bundestagsabgeordnete ist da, auch die Volkverteter aus Landtag und Kreistagen sowie einige Stadträte sind gekommen. Und eine Handvoll Neugierige. Ein paar Plattenbaubewohner schauen von ihren Balkonen herab und verschwinden nach ein paar Minuten wieder.

Ein Mann für Lösungen

„Alle können auf mich zuströmen“, sagt Olaf Scholz. Und, dass viel gelungen sei in Brandenburg, aber man noch besser werden könne. Ein alter Mann tritt heran und führt Beschwerde. Er lebe in einem Dorf ohne Geschäft, zehn Kilometer von der nächsten Stadt entfernt, der Bus fahre selten. Warum? „Zu DDR-Zeiten war das besser“, sagt er.

taz ost

Sechs Wochen im Osten: Vor der Landtagswahl in Sachsen am 1. September 2019 war die taz in Dresden. Seit dem 22. Juli waren wir mit einer eigenen Redaktion vor Ort. Auch in Brandenburg und Thüringen sind bzw. waren wir vor den Landtagswahlen mit unserem #tazost-Schwerpunkt ganz nah dran – auf taz.de, bei Instagram, Facebook und Periscope. Über ihre neuesten Erlebnisse schreiben und sprechen unsere Journalist*innen im Ostblog und im Ostcast. Begleitend zur Berichterstattung gibt es taz Gespräche in Frankfurt (Oder), Dresden, Wurzen und Grimma. Alle Infos zur taz Ost finden Sie auf taz.de/ost.

Scholz hält das für eine gute Frage. Man müsse den öffentlichen Nahverkehr ausbauen, andererseits sei es so eine Sache mit den kleinen Geschäften. Die Leute machten ihre Großeinkäufe in den Malls und großen Supermärkten und ärgerten sich, wenn der Laden um die Ecke verschwinde. Deshalb, so Scholz, seien sie ja auch Schuld. Im Übrigen sei Technik die Lösung. Technik habe einen schlechten Ruf, zu Unrecht. Denn man könne mit digitaler Technik – „App nennt sich das“ – ein selbstfahrendes Auto bestellen, das einen in die nächste Stadt bringe. Leider gebe es bei selbstfahrenden Autos noch echte Probleme bei Kreisverkehren.

Irgendwie liegt hier ein Missverständnis vor. Der Mann, über 70, wird es wohl kaum erleben, dass selbstfahrende Autos ihn, mit oder ohne Kreisverkehr, nach Straßburg in der Norduckermark bringen. Vielleicht wollte er nur etwas Verständnis. Aber Scholz ist kein Mann für Verständnis, er ist ein Mann für Lösungen.

Eine alte Frau sagt: „Ich bin 1942 in Prenzlau geboren. Wir haben als Kinder den Schutt weggeräumt“. Die Prenzlauer seien fleißig. Sie sagt auch: „Zu DDR-Zeiten gab es noch Zusammenhalt, jetzt nicht mehr. Jetzt geht es bergab.“ Und keiner tue was dagegen. Scholz hat das Mikro in der Hand, und damit alle die Frage hören, wiederholt er sie: Die Frau lobe die Stadt als fleißig und wolle wissen, wie sich Prenzlau richtig entwickeln kann.

Das hat Olaf Scholz gehört. Er hört nichts von Sehnsucht nach Früher und DDR-Nostalgie, sondern wie man es anpackt, dass es bergauf geht. Lösungen müssen her. Brandenburg sei, was die Finanzstärke angeht, fast so weit wie westliche Bundesländer, sagt er später. Es ist wohl als Aufmunterung gemeint.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Ich kann es nicht mehr hören. In der DDR war... besser. Der Bus fuhr oft, dafür war der Staat bankrott. Die Jugend hielt zusammen in der FDJ, der Nachfolgeorganisation der HJ. Die Kitas waren besser - klar, da konnten die Kinder auf Staatslinie getrimmt werden von klein an, wäre bei manch einem gut man hätte dies nach der Wende weiter so gemacht.



    Ich komme aus den alten Bundesländern und finde, in der echten BRD war alles besser. Zumindest in der Erinnerung. Es gab Probleme, die ganz allmählich besser wurden. Dann Kohl mit der Wende, die auch die bundesdeutsche Politik aus den Angeln hob. Ein paar Millionen Menschen mit zT seltsamen Ansichten und Wünschen und Sehnsüchten, die nur wenig mit uns (meiner Generation) zu tun hatten. Es fragt niemand nach, wie ich mir Deutschland im Jahr 2019 vorgestellt hätte.



    Doch es kam wie es kam, und ich freue mich aber sehr über die ganzen Menschen mit ostdeutschen Wurzeln, ob sie nun im Westen oder Osten wohnen, die ich zu meinem Freundes- und Bekanntenkreis zählen darf. Die Welt ist eben nichtlinear!