Wahlkampf von Kamala Harris: Die Rolle der Running Mates

Vize- sollen das Profil der Prä­si­dent­schafts­kandidat*innen ergänzen. Im Amt selbst bleiben manche fast unsichtbar. Andere prägen die Weltpolitik.

Kamala Harris mit ihrem „Running Mate“ Tim Walz Foto: Matt Rourke/ap

BERLIN taz | US-amerikanische Vi­ze­prä­si­den­t*in­nen sind eine besondere politische Spezies. Ausgewählt werden sie, um etwa nach aufreibenden parteiinternen Vorwahlen die unterlegene Seite mit ins Boot zu holen. Oder es geht einfach darum, eine Eigenschaft mit auf dem Ticket zu haben, über die der oder die Kandidatin nicht verfügt.

Der alte Donald Trump aus New York holt den jungen J. D. Vance aus Ohio. Der alte weiße Joe Biden holte 2020 die deutlich jüngere und weibliche „African and-Asian- American“-Senatorin Kamala Harris, die ihn während der Vorwahlen scharf angegriffen hatte. Und jetzt holt eben jene Kamala Harris aus Kalifornien den weißen bodenständigen progressiven Macher Tim Walz aus Minnesota.

Dieses Spiel mit den Komplementärkräften zielt eigentlich nur auf den Wahlkampf ab. Dabei kann es für die Nummer zwei im Staate auch um deutlich mehr gehen: John F. Kennedys Vizepräsident Lyndon B. Johnson wurde nur wenige Stunden nachdem Kennedy am 22. November 1963 erschossen worden war, als neuer Präsident vereidigt.

Und wäre Joe Biden im Amt geblieben, wäre es wahrscheinlich gewesen, dass – ob seines Alters – Vizepräsidentin Kamala Harris eines Tages hätte spontan aufrücken müssen.

Die Verfassung sieht für Vi­ze­prä­si­den­t*in­nen genau zwei Funktionen vor: Sofort den Präsidenten zu ersetzen, wenn das notwendig wird – und als Chef des Senats bei einer 50:50-Situation mit ihrer Stimme den Ausschlag zu geben. Dennoch übernehmen manche viel mehr Aufgaben.

Joe Biden etwa kümmerte sich unter Obama um viel internationale Diplomatie, Dick Cheney war der eigentliche Architekt von George W. Bushs Kriegen, Bill Clintons Vizepräsident Al Gore musste nur mit First Lady Hillary Clinton um die Rolle des wichtigsten Präsidentenberaters konkurrieren. Ronald Reagans Vizepräsident George H. W. Bush führte in Reagans Auftrag ein paar Task Forces an, blieb aber ansonsten profillos gegen den charismatischen Reagan.

Tim Walz schadet kaum

Von Kamala Harris war in den vergangenen dreieinhalb Jahren herzlich wenig zu sehen und zu hören. Und welche Rolle Walz, sollte das Duo im November gewählt werden, in einer Harris-Administration ausfüllen soll, ist derzeit noch völlig offen.

Ein Vizepräsidentschaftskandidat gibt selten den Ausschlag für den Erfolg des Duos – ruft der oder die Running Mate aber zu viel Misstrauen hervor, kann das zur Niederlage beitragen. Als der moderate republikanische Kandidat John McCain etwa 2008 ausgerechnet die schrille Gouverneurin von Alaska, Sarah Palin, zu seiner Vizekandidatin erklärte, schadete ihm das nachhaltig – auch wenn er womöglich gegen den damals jungen, charismatischen Barack Obama ohnehin keine Chance gehabt hätte.

Tim Walz schadet kaum. Dass die Re­pu­bli­ka­ne­r*in­nen das Duo als „linksradikal“ charakterisieren, ist herzlich egal – das wäre mit Kamala Harris an der Spitze immer passiert, egal, wer ihr Vize wäre. Aber wer das glaubt, wählt ohnehin Trump, und wer das vorhatte, wird jetzt nicht umschwenken.

Die Wahl aber wird sich daran entscheiden, wer das eigene Wäh­ler*in­nen­potenzial, wie es 2020 in nie gekannten Rekordzahlen an die Urnen geströmt ist, am besten mobilisieren kann – und dabei kann Tim Walz helfen.

Es ist leicht, ihn zu mögen, die Aura des Football-Coaches schafft Vertrauen, und die Sprache der weißen Arbeiter*in­nen­schaft, die auch J. D. Vance zu sprechen vorgibt, spricht auch Walz – nur ohne Abschluss an einer Eliteuniversität und daher womöglich glaubwürdiger.

Die Punkte, für die er von der Gegenseite angegriffen wird, sind auch klar: Der als viel zu lax angesehene Umgang mit den zeitweise sehr gewalttätigen Protesten der Black-Lives-Matter-Bewegung in Minnesota nach dem Tod George Floyds 2020 und die Tatsache, dass in Minnesota auch papierlose Mi­gran­t*in­nen einen Führerschein bekommen können, womöglich auch sein Einsatz für die LGBTQ*-Rechte, das Abtreibungsrecht und für Waffenkontrollgesetze in Minnesota.

Das sind aber alles Punkte, die innerhalb der demokratischen Wäh­le­r*in­nen­schaft sehr konsensfähig sind oder sogar starkes Engagement auslösen. Wenn es um die Mobilisierung der eigenen Wähler*in­nen geht, könnte Walz also eine gute Wahl sein. Ob er auch ein guter Vizepräsident wäre, müsste sich erst noch zeigen.

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