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Wahlkampf in den USAEin Sozialist im Höhenflug

„Willkommen bei der Revolution!“, ruft Bernie Sanders seinen Anhängern zu. Lange galt er als linker Träumer. Jetzt liegt er bei den Demokraten vorn.

Auf den ersten Blick gar nicht so revolutionär – Präsidentschaftkandidat Bernie Sanders in der New Yorker „Town Hall“. Foto: ap

New York taz | „Lasst uns eine politische Revolution machen.“ So steht es auf der Eintrittskarte. Als Gegenleistung haben die Gäste in den roten Plüschsesseln des Theaters für die Kampagne des Mannes gespendet, der am Rednerpult steht. Die meisten haben 50 Dollar gezahlt. Der Mann trägt einen mittelmäßig sitzenden dunkelgrauen Anzug und eine überdimensionierte Brille.

Sein Haar ist schlohweiß. Er spricht das Brooklyner Englisch seiner Kindheit. Kaum hat er seine Frau Jane und zwei seiner sieben Enkelkinder vorgestellt, geht er zu den Ungerechtigkeiten über, die „Arbeiter in Amerika“ täglich erleiden, während ihre Bosse riesige Vergütungen kassieren. „Zusammen werden wir das ändern“, ruft er. Dabei läuft sein Gesicht rot an.

„Wir lieben dich, Bernie!“, ruft jemand aus dem Plüsch im „Town Hall“ im New Yorker Theaterdistrikt. „Ich euch auch“, ruft der zurück und ein Lächeln huscht über sein Gesicht. Aber schon nach wenigen Sekunden ist er wieder bei Mindestlöhnen, die radikal erhöht gehören, bei Universitäten, die gebührenfrei werden müssen, bei den 11 Millionen Einwanderern, die Papiere brauchen, und bei der täglich reicher werdenden „Milliardärsklasse“.

Andere Kandidaten lassen sich von Stylisten, Meinungsforschern und Fokus-Gruppen briefen, passen ihr Outfit, ihre Themen und ihre Meinungen an. Doch Bernie Sanders´Wahlkampf ist keine Unterhaltung. Er will das Land verändern. Das Ziel verfolgt er seit 40 Jahren. Erst als Bürgermeister von Burlington in dem kleinen Neuenglandstaat Vermont. Dann als Abgeordneter des Repräsentantenhauses. Seit 2007 als Senator. Und jetzt als Präsidentschaftskandidat. „Denkt groß“, ruft er, „wir sind das wohlhabendste Land der Erde. Wir können es uns leisten, ein bisschen wie Deutschland und Skandinavien zu werden.“

Jahrzehntelang ist Bernie Sanders in Washington für solche Sätze belächelt worden. Er war der einsame demokratische Sozialist im Herzen des Imperiums. Andere Abgeordnete und Journalisten behandelten ihn wie einen älteren Verwandten, der aus der Zeit gefallen und dabei skurril und irgendwie peinlich geworden ist. Bis zum Frühjahr 2015. Dann begann der Präsidentschaftsvorwahlkampf, in dem alles anders läuft, als von den Strategen geplant. Bei den Republikanern redet der Milliardär Donald Trump alle an die Wand. Bei den Demokraten, die erwarteten, dass Hillary Clinton die Wähler im Sturm erobern würde, erlebt Bernie Sanders einen kometenhaften Aufstieg.

Bernie Sanders füllt Stadien

Die 1.500 Gäste in dem New Yorker Theater sind für Bernie Sanders ein kleines Publikum. Der 74-Jährige spricht jetzt in Stadien mit 20.000 und mehr Menschen. Er hat – gerade bei jungen Leuten – den demokratischen Wahlkampf belebt. In Iowa und New Hampshire, den beiden Bundesstaaten, wo im Februar die ersten Vorwahlen stattfinden, liegt Hillary Clinton weit hinter ihm.

Als Bernie Sanders´Karriere begann, war Jerome Thompson noch gar nicht geboren. Der Techniker hat den Politiker erstmals in diesem Frühsommer in einem Basketballstadion in Houston in Texas erlebt. Was Jerome Thompson da von Bernie Sanders über die hohe Arbeitslosigkeit von Afroamerikanern, über Rassismus am Arbeitsplatz, über Polizeigewalt gegen Schwarze hörte, gefiel ihm.

Denkt groß. Wir sind das wohlhabendste Land der Erde

Bernie Sanders

Wenig später steht der 44-Jährige als Vorredner für Bernie Sanders in dem Theater in New York. Er heizt ein mit der Erfahrung an seinem ehemaligen Arbeitsplatz, bei dem Unternehmen „Cablevision“ in New York, wo er gefeuert wurde, als er eine Gewerkschaft aufbauen wollte. Er spricht von seinen 40.000 Dollar Jahreslohn, der ihn zu einem zweiten Job zwang. Und von der Sozialarbeiterin, die im Auto schläft, weil sie nicht genug für eine Wohnung verdient. „Dies ist das beste Land der Welt?“, fragt Thompson.

„Cool, relaxt, sympathisch und leidenschaftlich“

Jerome Thompson hat eine neue Stelle bei der Gewerkschaft „Communications Workers of America“ gefunden. Und er wird weiter für Sanders werben. In seinem Büro im 37. Stock des Finanzdistrikts von New York beschreibt er den Kandidaten als „cool, relaxt, sympathisch und leidenschaftlich“. Längst nicht alle Afroamerikaner sehen Sanders so positiv. Bei einem Wahlkampfauftritt in Seattle haben Aktivistinnen der Gruppe „Black Lives Matter“ von ihm verlangt, dass er sich klar gegen Polizeigewalt ausspricht. Sanders verließ daraufhin die Bühne. Inzwischen hat er seinen Kurs korrigiert und mehr afroamerikanische und Latino-Aktivisten und Frauen engagiert. Er spricht jetzt auch öfter vom „institutionellen Rassismus“.

Gegenüber fast allen anderen Präsidentschaftskandidaten hat Sanders ein Handicap, das er zugleich als Argument einsetzt: Geld. Er kritisiert die Macht von „Spezialinteressen und Milliardären“. Und er will selbst nur direkte Spenden von Anhängern nehmen. „Political Action Committees“ (Super-PAC), die Dutzende und Hunderte Millionen in den Wahlkampf investieren, lehnt er ab. „Ich will ihr Geld nicht“, sagt er in der „Town Hall“. Sein Publikum springt hoch, klatscht, ruft „Bernie“.

In diesem Sommer haben Unterstützer 26 Millionen Dollar gespendet. Viel. Aber nicht annähernd genug für Fernsehwerbung, wie sie die Super-PACs finanzieren. Charles Lenchner kann abhelfen. Der 46-jährige Experte für elektronisches Marketing hat am 30. April, als Sanders seine Kandidatur öffentlich machte, mehrere Hashtags und Facebook-Seiten gestartet, die sich wie ein Lauffeuer verbreitet haben. Aus dem ursprünglichen #FeelTheBern und #PeopleForBernie sind längst Dutzende neue entstanden. Ihre Reichweite übertrifft die Internetpräsenz aller anderen Kandidaten. Und sie ist größer als die der offiziellen Seiten der Bernie-Kampagne.

Wie stark sind die Linken?

In der Wohnung von Charles Lechner im New Yorker Stadtteil Williamsburg piepst es unablässig aus Computern. Er verdient seinen Lebensunterhalt als Berater. Aber zurzeit verbringt er täglich bis zu vier Stunden in Sachen Bernie Sanders. Inklusive Telefonseminare, in denen er sein Wissen an Internetaktivisten weitergibt. Offiziell gehören Charles Lechner und seine Freunde nicht zur Kampagne. Lechner ist ein Veteran der Occupy-Wall-Street-Bewegung. Er hält es für „unwahrscheinlich“, dass Sanders es schafft, die offizielle Nominierung der Demokratischen Partei zu bekommen. Aber ihm ist der Wahlkampf wichtig, um die „politische Landkarte der Zukunft zu zeichnen“. Um zu sehen, wie stark die linken Kräfte sind.

Ellen David Friedman kennt Sanders seit Teenager-Tagen, als beide gegen den Vietnamkrieg aktiv waren. In den siebziger Jahren zogen sie unabhängig voneinander nach Vermont. Während andere Linke ihrer Generation im Zweiparteiensystem aufgingen, blieben beide ihren radikalen Anfängen treu. „Vielleicht, weil wir beide aus osteuropäischen jüdischen Familien in New York stammen“, vermutet sie, „mit starken Ideen von sozialer Gerechtigkeit.“

Als Bernie Sanders 1986 versuchte, Gouverneur in Vermont zu werden, war Ellen David Friedman Chefin seiner Kampagne. Punktuell hat sie Differenzen mit ihm. So würde sie die militärische Zusammenarbeit mit Israel beenden. Dennoch kommen beiden immer wieder zusammen. Erst vor Kurzem hat sie ein Treffen zwischen ihm und Lehrergewerkschaftern in Boston organisiert. Die Gewerkschaftsspitze hat sich auf die Seite von Hillary Clinton geschlagen, aber an der Basis sympathisieren viele mit Sanders.

Hillary Clinton lenkt ein

In den vergangenen Monaten hat sich Sanders bei den demokratischen Wählern weit vorgearbeitet, von 5 Prozent im April ist er jetzt bei 25 Prozent angelangt. Und er hat Themen gesetzt. Nach langem Zögern ist Hillary Clinton nun gegen die Pipeline Keystone XL, die Öl von Kanada durch die USA nach Süden leiten soll. Und zuletzt hat sie sich auch gegen das Freihandelsabkommen TPP für den Asien-Pazifik-Raum gewandt, das sie selber mit verhandelt hat.

Vor der TV-Debatte der Demokraten am Dienstag in Las Vegas „üben“ die anderen Kandidaten. Bernie Sanders hingegen glaubt, dass er das nicht nötig hat. Er ist neben Lincoln Chafee der einzige Präsidentschaftskandidat für 2016, der gegen den Irakkrieg gestimmt hat, und der Einzige, der sich mit einem politischen Etikett schmückt, das in seinem Land ein Schimpfwort war – Sozialist. Während anderen ein Abstieg droht, erlebt er, wie seine Landsleute sich seinen Ideen annähern.

Aber ihm reicht das nicht. „Allein geht es nicht. Ich werde euch brauchen“, sagt er seinen Anhängern: „Willkommen bei der Revolution.“

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5 Kommentare

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  • @Marcus Müller,

    das dachte ich einst auch bei Obama. Machen wir uns nichts vor, ohne die vielen Spenden von den Superreichen, hätte schon längst ein Umdenken in den USA statt gefunden. Wenn aber nur noch das Kapital entscheidet, wofür wird dann überhaupt noch gewählt? Wie sagte schon jemand vor etwa einem halben Jahrhundert: "Würden Wahlen etwas verändern, hätte man sie schon längst abgeschafft."

  • Ich glaube persönlich auch nicht, daß der Rufer aus der Wüste des reinen Kapitalismus, des Militarismus, des Nationalismus und Imperialismus sowie des christlichen Fundamentalismus entscheidenes Gehör findet.

     

    In einem reichen Land, in dem jedoch ein Großteil der Bevölkerung wie in einem Dritte-Welt-Staat vegetiert, sollte doch das gesunde Bürgerinteresse Oberhand gewinnen. Aber dort, wo der Nationalismus selbst den Geist der Armen vergiftet hat, da stehen die Aussichten auf eine Umorientierung schlecht.

  • Hoffentlich haben die Wege der Vernunft noch Chancen und nicht Trump, der Mob.

  • Interessanter Mann - aber wer will eine Revolution, wenn dann Köpfe rollen müssen und wer will schon eine Revolution, wo am Ende wieder keine Köpfe rollen werden? Hillary Clinton bleibt einfach reichlich blaß und ich hab auch so meine Zweifel, ob man von ihr überhaupt etwas anderes als republikanische Stillstandspolitik erwarten darf.

  • Eher wird er das Schicksal Kennedys teilen,als in den USA Präsident zu werden.