Wahlkampf in Hessen: Die doppelte Nancy
Nancy Faeser (SPD) ist auf Wahlkampftour und muss sich dabei zugleich als Bundesinnenministerin und potenzielle Ministerpräsidentin Hessens präsentieren.
Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) wäre jetzt sicher begeistert und würde zu einem kleinen Impulsvortrag ansetzen. Faeser aber nickt nur interessiert und brummt „okay“. Die Wärmepumpe steht für das, was die Berliner Ampelkoalition vor der Sommerpause an den Rand des Abgrunds gebracht hat. Der Streit über das im Grünen Wirtschaftsministerium erarbeitete Heizungsgesetz, dessen Herzstück ursprünglich die Wärmepumpe sein sollte, ist immer noch nicht ausgestanden. Zwar haben sich SPD, Grüne und FDP nun auf einen Gesetzentwurf geeinigt, doch der Bundestag wird ihn erst im Herbst verabschieden. Mitten im hessischen und bayerischen Wahlkampf.
In beiden Bundesländern wird am 8. Oktober gewählt. Faeser will in Hessen ein Vierteljahrhundert CDU-Regentschaft brechen und die Staatskanzlei für die SPD zurückholen. Es ist wohl die letzte Gelegenheit, die hessische SPD vor einem ähnlichen Schicksal zu bewahren, wie es die bayerische Landespartei fristet: auf ewig als Oppositionspartei aus der Staatskanzlei verbannt. Es ist eine Herkulesaufgabe, zumal für eine Spitzenkandidatin, die in persona die Berliner Regierung repräsentiert. Die Zustimmungswerte für die von der SPD angeführte Ampel sind schlecht. Die SPD liegt in Umfragen deutlich hinter der Union. Zur Freude der Genoss:innen immerhin deutlich vor den Grünen, die in einer tiefen Krise stecken. Derweil bricht die AfD neue Umfragerekorde.
In Hessen spiegelt sich der Bundestrend wieder – die CDU mit dem amtierenden Ministerpräsidenten Boris Rhein liegt in Umfragen klar vor der SPD, die Grünen auf Platz drei. Auch hier kann sich die AfD über zweistellige Umfragewerte freuen und das, obwohl sie sich im Landtag völlig zerlegt hat.
Eskens Wandel
Faeser ist am Montag und Dienstag unterwegs in Hessen, um das unmöglich Scheinende zu schaffen – den politischen Klimawandel. Unterstützung erhält Faeser von der SPD-Vorsitzenden Saskia Esken, die ihre Sommertour in den Dienst von Faesers Wahlkampf gestellt hat. Ausgerechnet von Esken, die sich in ihren dreieinhalb Jahren als Parteivorsitzende von der linken GroKo-Kritikerin zur superpragmatischen Ampelerklärerin entwickelt hat. Zu den Steuerentlastungsplänen der FDP für Unternehmen hört man von ihr kaum ein kritisches Wort, auch im Kampf für eine armutsfeste Kindergrundsicherung springt sie der grünen Familienministerin Lisa Paus nicht bei. Aber am Dienstagmorgen hat sie im Deutschlandfunk immerhin gefordert, dass der Bund die Kommunen bei der Integration von Geflüchteten weiterhin voll unterstützen müsse. Die Mittel kommen aus dem Etat von Paus, der soll um 218 Millionen Euro gekürzt werden. Die Haushaltsverhandlungen werden ruppig.
Esken, so munkelt man, habe Ambitionen, Faeser selbst als Innenministerin zu beerben. Spricht man sie darauf an, versichert sie jedoch, sie sei sehr, sehr gern SPD-Vorsitzende. Schließt aber auch nichts aus. Faeser und Esken wollen Zuversicht verbreiten und setzen auf Frauenpower. Passend dazu besuchen sie eine Reihe von Orten, die für die Energiewende stehen: einen Windpark mitten im Wald, in der Hand von Bürger:innen und Gemeinden.
Faeser sagt, dass Genossenschaften von Bürger:innen günstiger an Flächen für neue Windräder kommen sollen. „Für ’ne erhöhte Akzeptanz, sie haben ja selbst was davon, wenn sich das Windrad hier dreht.“ Oder die Solarfirma SMA, eines der weltweit führenden Unternehmen für Wechselrichter und Energiespeicher.
Faeser kommt direkt aus Berlin, vor neun Jahren war sie schon hier einmal zu Besuch. „Da war ich gerade schwanger, deshalb erinnere ich mich gut“, sagt sie fröhlich. Er erinnere sich auch gut, sagt der Geschäftsführer, einer ihrer Vorgänger sei damals auch zu Besuch gewesen. Im selben Jahr wie Faeser hatte der damalige SPD-Chef Sigmar Gabriel das Unternehmen besucht und erklärt, andere Länder hielten Deutschland wegen der Energiewende für bekloppt. Kurz darauf kürzte er als Wirtschaftsminister die Förderung der erneuerbaren Energien. Das Geschäft mit der Solarenergie brach ein, das Kasseler Unternehmen entließ die Hälfte der Beschäftigten. Heute wächst es wieder, die Konkurrenz aus China sei allerdings hart.
Erneuerbare Energien, Netzausbau und Speicherkapazitäten – für all das will heute auch die SPD gewählt werden. Urgrüne Themen, die Faeser als Innenministerin bisher kaum verkörpert. Aber Strategie der SPD ist es eben, die Grünen auf Abstand zu halten und der CDU so nahe zu kommen, dass eine Regierungsbildung gegen sie möglich und nicht unverfroren erscheinen würde. Und das hat ja schon mal fast geklappt. 2008 wäre Andrea Ypsilanti mit dem Thema erneuerbare Energien fast Ministerpräsidentin geworden. Drei ihrer eigenen Leute verhinderten das, näher ist die SPD der Macht seitdem nicht mehr gekommen. Auch diesmal ist es kein Spaziergang.
Der Rundgang durch das Fraunhofer-Institut gleicht einem erweiterten Physikleistungskurs. Begriffe wie Superkondensatoren zur Lebensdaueroptimierung von Batterie-Hybrid-Systemen oder kognitive Energiesysteme fliegen durch die Luft. Faeser wedelt sich mit einem Fächer ihrer Parteifreundin Esken mechanisch Luft zu und fragt vor allem aus Innenministerinnenperspektive nach: Was geschieht im Falle eines Cyberangriffs, wie schützt man die Infrastruktur? Es ist erkennbar nicht ihr Gebiet.
Noch sind Ferien in Hessen, so richtig los geht der Wahlkampf erst Anfang September, wenn die Hessen aus dem Urlaub zurück sind und merken, ach, schon wieder Landtagswahl. Faeser und ihre SPD hoffen auf eine Art Scholz-Schub wie 2021 im Bundestagswahlkampf oder eine Rehlinger-Rallye wie 2022 im Saarland – also einen Aufschwung wenige Wochen vor dem Urnengang wie ihn Olaf Scholz und Anke Rehlinger erlebten, getragen von einer Wechselstimmung und blassen Gegenkandidaten.
Faeser versucht den Hattrick – als Spitzenkandidatin tourt sie durch Hessen, als Innenministerin boxt sie in Berlin weiterhin Gesetze durch. Sie hat sich Disziplin verordnet, verzichtet in den Wochen vor der Wahl auf Alkohol und setzt auf die Geduld ihrer Familie, die sie nun nicht mal mehr am Wochenende sehe. Ganz schlecht stehen ihre Chancen trotz der verkorksten Situation in Berlin und des Streits in der Ampel nicht.
Die Doppelrolle als Innenministerin und Spitzenkandidatin bringt immerhin den Vorteil, dass man sie in Hessen kennt. Und anders als der glücklose Norbert Röttgen, der 2012 als Bundesumweltminister und Spitzenkandidat der CDU die Wahl in Nordrhein-Westfalen verlor und anschließend von Angela Merkel gefeuert wurde, war Faeser schon lange vor ihrer Ernennung zur Bundesinnenministerin in Hessen politisch aktiv. Seit 2003 gehörte sie dem hessischen Landtag an, war innenpolitische Sprecherin und Fraktionsvorsitzende.
SPD ist optimistisch
Ebenso lange kennt sie Boris Rhein von der CDU und Tarek Al-Wazir von den Grünen. Es ist ja immer von Vorteil, genau zu wissen, wie die Konkurrenz tickt, entsprechend optimistisch ist man in der SPD, die Grünen aus dem Bündnis mit den Schwarzen herauslösen oder mit der CDU sachliche Koalitionsverhandlungen führen zu können. Schmutzig könnte der Wahlkampf dennoch werden.
Am Mittwoch will Faeser, diesmal als Innenministern, in Berlin den Gesetzentwurf für ein neues Staatsbürgerschaftsrecht vorstellen. Demnach sollen Ausländer schon nach fünf Jahren einen deutschen Pass bekommen, bei besonderer Integrationsleistung sogar schon nach drei Jahren. Als Faeser ihre Pläne Ende letzten Jahres vorstellte, sprach die CSU davon, dass die deutsche Staatsbürgerschaft verramscht werde. Dass sie den Ton ausgerechnet im Wahlkampf mäßigt, ist nicht zu erwarten. In Hessen hat Roland Koch 1999 mit einer Kampagne gegen den Doppelpass die Wahl gewonnen.
Die Rahmenbedingungen haben sich zwar geändert. Mittlerweile dürfen auch Deutsche zwei Pässe haben und Faeser hat darauf geachtet, dass der Bundesrat ihrem Gesetz nicht zustimmen muss. Doch die alte Stahlhelmfraktion in der hessischen CDU ist noch da, wenn auch nicht mehr so mächtig. In Berlin setzt CDU-Chef Friedrich Merz nun ebenfalls auf einen harten Kurs in der Migration, die hessische CDU könnte aufspringen, falls die SPD ihr zu dicht auf die Pelle rückt.
Faeser versucht beides – auf europäischer Ebene hat sie eine Verschärfung der Asylpolitik verhandelt. Der Entwurf zum Gemeinsamen Europäischen Asylsystem sieht Schnellverfahren (GEAS) an den EU-Außengrenzen vor, vor allem für Menschen aus Staaten mit niedriger Schutzquote. In den gefängnisähnlichen Lagern, wo die Menschen bleiben müssen, sollen immerhin soziale Mindeststandards gelten. Wenn das GEAS in Kraft tritt, hätte ausgerechnet eine sozialdemokratische Innenministerin mehr für die Abschottung der EU bewirkt als ihre Unionsvorgänger Thomas de Maizière und Horst Seehofer
Gleichzeitig wirbt Faeser für einen Kurswechsel in der Einwanderung, der es Menschen aus den Nicht-EU-Ländern erlaubt, legal nach Deutschland zu kommen, wenn sie hier arbeiten und sesshaft werden wollen. Ihr Fachkräfteeinwanderungsgesetz hat der Bundestag vor der Sommerpause beschlossen, es soll ab November in Kraft treten. Dieser Kurs aus Zuckerbrot und Peitsche – Faeser spricht lieber von ordnen und steuern – kommt bei den Bürger:innen gut an. Sie erhalte viel Lob im Wahlkampf, berichtet die Ministerin. Auch Ralf Hilmes, Bürgermeister im hessischen Nentershausen, berichtet, dass die Menschen Sicherheit bei diesem Thema wollten, die derzeit in den Ballungszentren fehle. Gleichzeitig fehlten aber auch Fachkräfte, in der Pflege etwa oder in den Krankenhäusern.
Faeser hofft allerdings auch, dass die Wähler:innen sie, je näher die Wahl rückt, weniger auf innenpolitische Themen ansprechen, sondern auf die, die die hessische SPD gern in den Mittelpunkt rücken will: Gute Arbeit, gerechte Bildungschancen, bezahlbarer Wohnraum, eine bessere Gesundheitsversorgung. Im Fraunhofer-Institut würde man der Spitzenkandidatin gern noch das Labor für die Wärmeplanung zeigen. Aber das wird gerade noch gebaut, sie müsse im nächsten Jahr wiederkommen. „Wenn ich Ministerpräsidentin bin“, sagt Faeser und lacht fröhlich. Den Optimismus braucht sie.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag