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Wahlkampf im FernsehenMalochende Wähler vor die Kamera

Keine Lust auf Sommerinterviews und immer gleiche Polittalks? Im Wahlkampf zeigen die Sender teils ungewöhnliche Formate.

„Wie geht’s, Deutschland?“ mit Marietta Slomka. Bild: zdf

Klar, alle versuchen irgendwas mit Internet: Stimmung fühlen, Politiker konfrontieren, möglichst lässig sein. „Überzeugt uns!“, fordert das Erste am Montagabend (22.30 Uhr) und lädt zum „Politiker-Check für junge Leute“. Ob Umweltminister Peter Altmaier oder Grünen-Chefin Claudia Roth – insgesamt sechs Spitzenpolitiker müssen durchs Speed-Dating und werden mit Fragen bombardiert, aus dem Studio und vor allem aus dem Netz.

Es kuratieren: „Tagesthemen“-Moderator Ingo Zamperoni, Digitalunterhalterin Katrin Bauerfeind und Richard Gutjahr, die selbst erklärte „Twittertussi“ der ARD. Sechs Protagonisten plus drei Moderatoren plus Netzöffentlichkeit – ob das gut gehen kann?!

Im Netz – etwa in der ARD-Mediathek unter „Was wählst du eigentlich?“ – findet sich wiederum, was die ARD bereits im Juli auf EinsPlus versteckt hat. Das zweiteilige Wahl-Spezial von „Klub Konkret“. Eva Schulz und Daniel Bröckerhoff – sie jung (23), er wär’s gern noch (34) – haben eine Woche die Republik bereist und sich die Zeit mit denen vertrieben, die erstmals ihr Kreuzchen machen dürfen: mit jungen Müllmännern, einer jungen Netzaktivistin, jungen Soldaten, einem jungen Finanzamtsmitarbeiter und mit ein paar Langweilern der Landjugend. Das Erstaunliche ist, dass in den zweimal 30 Minuten endlich mal Reporter jungen Erwachsenen auf Augenhöhe begegnen. Mehr davon bitte!

Gleicher Ansatz, älteres Milieu: „Wie geht’s, Deutschland?“ mit Marietta Slomka am 3. September im ZDF. Die „heute-journal“-Moderatorin probiert sich darin, die Mitte der Gesellschaft zu erkunden, um die alle Parteien so sehr werben – oder, wie sie selbst sagt, Menschen, die „im Maschinenraum der Gesellschaft“ stehen.

Vier flotte Minuten

Das Publikum lernt eine 70-Jährige kennen, die trotz Rente weiter malochen muss, und eine Familie, die sich mit Jobs in einer Fastfood-Klitsche durchschlägt: Musterfamilien für den politischen Diskurs. Einen Talk, in dem die Protagonisten des Films auf Spitzenpolitiker stoßen, gibt’s im Anschluss an diesen Reisebericht noch oben drauf. Diese Kombination lässt ein wenig hoffen.

Phoenix wärmt unterdessen auf, was 2009 noch unter der Flagge der „Tagesschau“ die Runde machte: das „Netzrauschen“, zu sehen ab heute Abend bei Youtube und sonst als Teil der Politik-Hardcore-Reihe „Der Tag“ kurz vor Mitternacht. Moderator Jan Hendrik „Wer zum Teufel ist das?!“ Becker schaut sich zusammen mit je einem Politiker oder Wahlkämpfer an, wie gruselig mitunter der Onlinewahlkampf der Parteien sein kann.

Vier flotte Minuten dauert das jeweils, und fehl am Platz ist bloß der Kameramann, der unentwegt die Dielen der Wohnküche zum Knarzen bringt, die als Kulisse dient. Die ohnehin aufgemotzte Webcam hatte für das Kurzformat natürlich völlig gereicht.

„Jung & Naiv – Politik für Desinteressierte“

Wahlen – was hat das mit mir zu tun?! Genau diesen Ansatz fahren RTL und ProSieben. Beide Privatsender versuchen, Politiker und Wähler zusammenzubringen. RTL hat bereits mit seinem „Wählerrat“ vorgelegt: ein Mix aus Mitarbeitern und Publikum – vom Restaurantcoach Christian Rach bis zur Grundschuldirektorin aus Dingenshausen. Sie alle plauderten zusammen mit Anchorman Peter Klöppel mit der Kanzlerin und ihrem Herausforderer. Das gibt’s im Netz auf Abruf. Die ProSieben-Reihe „Task Force Berlin“, die C-Promis auf Politiker loslässt, startet dagegen am Montagabend (23.05 Uhr).

Und wem das nicht reicht: Ab heute Abend setzt das ZDF in „Illner Intensiv“ die ganze Woche über seine Polittalkerin auf die Themen dieses Wahlkampfs an, Satireeinlagen der Hausmarken Gernot Hassknecht und Erwin Pelzig inklusive.

Inzwischen auch einen Tipp wert ist Tilo Jung mit seiner Reihe „Jung & Naiv – Politik für Desinteressierte“. Er kommt Politikern bewusst dumm – zu sehen im eigenen Youtube-Kanal. Beim Treffen mit SPD-Kandidat Peer Steinbrück machten zuletzt gar beide eine erstaunlich gute Figur.

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1 Kommentar

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  • "Der Wähler an sich" ist meistens noch ein bisschen blöder als "die Politiker". Normale Leute bekommen doch leider keinen graden Satz heraus, wenn sie zum ersten Mal vor der Kamera stehen. Und inhaltliche Ahnungen haben sie auch nicht, woher auch? Im besten Fall haben sie noch irgendeine Meinung. Etwas Gutes haben solche Formate: wenn man so etwas mal gesehen hat, ist man "den Politikern" plötzlich wieder viel wohlgesonnener.