Wahlkampf der Kleinparteien: Bloß nicht unter die Räder kommen
Die vorgezogene Bundestagswahl stellt die Klein- und Kleinstparteien vor Probleme. Wie gehen sie damit um?
M ehr noch als für große ist die vorgezogene Bundestagswahl für kleine Parteien ein Kraftakt. Sie müssen nicht nur den Wahlkampf stemmen, sondern kämpfen auch mit formalen Hürden – und das nun auch noch gegen die Zeit. Doch wer sind diese Parteien eigentlich? Und wie wichtig sind sie für unsere Demokratie?
Rund jede:r Zwölfte wählte bei der letzten Bundestagswahl „Sonstige“. Das sind jene 43 Parteien, die weder die Fünf-Prozent-Hürde schafften, noch durch Direktmandate oder die Ausnahmeregelung für nationale Minderheitenparteien in den Bundestag eingezogen sind. Parteienforscher:innen unterscheiden zwischen Klein- und Kleinstparteien.
Als Kleinparteien bezeichnen sie jene, die über die regionale Ebene hinaus parlamentarisch vertreten sind – also zum Beispiel in Landesparlamenten sitzen. Dazu gehören etwa die Freien Wähler in Bayern und Rheinland-Pfalz, ebenso Die Partei, die Tierschutzpartei, die ÖDP oder Volt, die im Europaparlament sitzen. Kleinstparteien sind nicht parlamentarisch vertreten. Für sie ist der Stimmenanteil allerdings umso relevanter. Wenn sie 0,5 Prozent der Stimmen bei der Bundestagswahl oder ein Prozent bei Landtagswahlen erreichen, profitieren sie nämlich von der staatlichen Parteienfinanzierung.
Macht haben die Kleinsten im Parteiensystem keine oder nur sehr wenig. „Sie sind ein Auffangbecken“, sagt der Politikwissenschaftler Hendrik Träger, Parteienforscher an der Uni Leipzig. Ihre Rolle sei es, Wähler:innen aufzufangen, die sich bei anderen nicht ausreichend vertreten fühlten. Das würde wiederum etablierteren Parteien anzeigen, bei welchen Themen Versäumnisse oder Potenziale lägen.
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Verlängerte Unterschriftenfrist
Wenn sie nicht bereits mit mindestens fünf Abgeordneten im Bundestag oder in einem Landtag sitzen, brauchen kleine Parteien Unterschriften, um mit ihren Landeslisten zur Wahl zugelassen zu werden. Mindestens 0,1 Prozent der Wahlberechtigten eines Bundeslandes müssen unterschreiben. Das können bis zu 2.000 Unterschriften pro Land sein, rund 27.000 sind es bundesweit. Üblicherweise müssen diese bis 69 Tage vor der Wahl eingereicht werden. Bei einer Wahl am 23. Februar wäre das der 16. Dezember.
Doch Mitglieder versammeln, Listen aufstellen, Orte für Wahlparteitage anmieten und auch noch vor den Feiertagen Unterschriften sammeln? Für Ehrenamtliche, die mit wenig Geld und ohne institutionalisierte Parteistrukturen arbeiten, ist das kaum umsetzbar. Per Rechtsverordnung verkürzte Innenministerin Nancy Faeser deshalb die Unterschriftenfrist auf 34 Tage. Der neue Stichtag ist nun der 20. Januar.
Die Herausforderungen bleiben groß. „Viele mussten ihren Zeitplan erheblich anpassen“, so Politikwissenschaftler Träger. Auch die finanziellen Hürden seien immens: „Für eine kleine Partei kann es ein K.O.-Kriterium sein, wenn ein Veranstaltungsort in der Vorweihnachtszeit 12.000 statt 8.000 Euro kosten würde.“
Wie geht es nun weiter für die Kleinen? Die taz hat sie gefragt. Exemplarisch kommen fünf von ihnen mit ihren Problemen und Forderungen zu Wort: die sich progressiv verstehenden Parteien Volt und Piraten, die Tierschutzpartei, die ökologisch-konservative ÖDP und die Freien Wähler von Spitzenkandidat Hubert Aiwanger.
Die Piraten haben etwa 5.000 Mitglieder. Im Mai 2012 waren es noch knapp 35.000, damit waren die Piraten lange Zeit die größte nicht im Bundestag vertretene Partei. Weil sie heute auch in keinem Landesparlament mehr sitzen, sind sie auf Unterschriften angewiesen. Ihr Bundesvorsitzender Borys Sobieski sagt:
„Aktuell erfüllen wir die Voraussetzungen für die Kandidatur zur Bundestagswahl nicht. Die Piratenpartei muss insgesamt fast 27.000 Unterschriften sammeln. In einem offenen Brief fordern wir gemeinsam mit fünf anderen Kleinparteien wie den Humanisten dazu auf, die Quoten für Unterschriften zu senken und digitale Signaturen zu ermöglichen. Vor allem wollen wir der Bevölkerung damit klarmachen, dass wir sie brauchen. Als Kleinpartei mit hohen Hürden bei der Teilnahme fühlen wir uns ins Abseits gestellt.
Wir haben dieses Jahr schon bewiesen, dass wir den Rückhalt aus der Bevölkerung haben. Bereits für die Europawahl haben wir Unterschriften eingereicht. Das heißt, wir sammeln nun seit fast zwei Jahren Unterschriften. Wir müssen da jetzt durch.
Wir wollen mindestens wieder so viele Stimmen wie bei der letzten Bundestagswahl erreichen: 0,4 Prozent. Aber ab 0,5 Prozent gäbe es wieder Parteifinanzierung, die wir momentan nicht haben. Das Geld fehlt, etwa beim Plakatieren. Unser Wahlkampf, das sind dieses Mal die Unterschriften.“
Die 2018 gegründete paneuropäische Partei Volt erreichte bei der vergangenen Bundestagswahl 0,4 Prozent. Dank 2,6 Prozent Wähler:innenstimmen bei der diesjährigen EU-Wahl zog Volt mit drei Sitzen ins EU-Parlament ein. Maral Koohestanian, Parteimitglied aus Wiesbaden, sagt:
„Da Volt schnell viele Menschen mobilisieren kann, wird die Unterschriftenlogistik keine große Hürde darstellen. Das geht aber nicht allen Parteien so, viele werden daran scheitern. Genauso werden auch viele intendierte Stimmen an Kleinparteien verloren gehen, weil diese nicht antreten können. Gerade durch das Wahlergebnis bei der Europawahl, bei der Volt neun Prozent der jungen Wähler*innen unter 30 überzeugt hat, sehen wir eine große Verantwortung, auch bei der Bundestagswahl die Stimme der jungen Generation zu vertreten.“
Die ÖDP hat beim Bundesverfassungsgericht einen Eilantrag eingereicht, in dem sie eine Lockerung der Unterschriftenpflichten für Kleinparteien fordert. Das könnte die Chancen aller Kleinparteien für die vorgezogene Bundestagswahl verbessern. Björn Benken, Stellvertretender Landesvorsitzender der Berliner ÖDP, sagt:
„Im Mai 2023 wurde das Bundeswahlgesetz verabschiedet, um zum Beispiel Überhangmandate zu vermeiden. Unsere eingereichte Klage gegen die hohen Hürden für Kleinparteien ist die einzige von allen Klagen gegen das Bundeswahlgesetz, die bis heute noch nicht entschieden worden ist. Wir wollen, dass die Quoren für die Unterschriften abgesenkt werden. Sie müssen proportionaler sein: Zum Beispiel reichen bei der Europawahl 4.000 Unterschriften, um bundesweit anzutreten, aber für die Bundestagswahl braucht man in der Summe fast 27.000 Unterschriften.
Der Gesetzgeber muss das jetzt rechtfertigen. Das Bundesverfassungsgericht beabsichtigt, zeitnah eine Entscheidung zu treffen. Sie seien sich der Dringlichkeit des Verfahrens bewusst.
Wir hoffen, dass es in den nächsten ein bis zwei Wochen zu einem Urteil kommt und dass die Unterschriftenquoren dann vielleicht sogar auf ein Viertel der 27.000 reduziert werden. Es ist nicht davon auszugehen, dass die Klage vollständig abgewiesen wird. Dann hätte das Gericht bereits anders reagiert.“
Die Partei Mensch Umwelt Tierschutz hat nach eigenen Angaben bundesweit rund 2.400 Mitglieder. Bei der Bundestagswahl 2021 erreichte sie nach den Freien Wählern mit 1,5 Prozent die zweitmeisten Stimmen aller Kleinparteien, bei der EU-Wahl kam sie auf 1,4 Prozent und holte einen Parlamentssitz. Ihr Bundespressesprecher Marcel Krohn sagt:
„Der Wahlkampf wird dünn ausfallen. Es gibt viele Menschen aus der Tierrechtsszene, die uns wählen, aber nicht selbst kandidieren wollen. Viele von uns müssen sich nun von ihrem Job freinehmen, um Stimmen zu sammeln. Derzeit haben wir über fünfzig Prozent der benötigten Unterschriften beisammen.
Es gibt aber eine ganze Reihe von Landesverbänden, die auf der Kippe stehen. Da würde uns die Senkung der Unterschriftenzahl sehr helfen. Manche Kleinparteien engagieren professionelle Firmen für die Sammlung der Signaturen. Das ist bei uns leider nicht so. Wir sind eine ziemlich arme Partei.
Weil wir bei der letzten Bundestagswahl genug Stimmen bekommen haben, werden wir theoretisch staatlich gefördert. Aber wir können das Geld nicht voll ausschöpfen. Die Parteiförderung darf nicht höher sein als das, was die Parteien selbst einnehmen.“
Die Freien Wähler holten bei der Bundestagswahl 2021 mit 2,4 Prozent das stärkste Ergebnis aller Kleinparteien, bei der EU-Wahl waren es 2,7 Prozent. In Bayern stellen sie vier Minister:innen in der Landesregierung. Ihr Generalsekretär Gregor Voht sagt:
„Da wir in Bayern und Rheinland-Pfalz in Landesparlamenten vertreten sind, fällt das Unterschriftensammeln für uns weg. Wir können also direkt in den Bundestagswahlkampf starten.
Wir werden in allen 16 Bundesländern eine Landesliste aufstellen. Wir haben Kandidaten platziert, die das Zeug haben, die Direktmandate zu gewinnen, darunter etwa Hubert Aiwanger. Die Klage der ÖDP vor dem Bundesverfassungsgericht für die Herabsenkung der Unterschriftenzahlen wird durchgehen, denn sie ist berechtigt. Damit werden die Unterschriftenquoten für die Kleinparteien voraussichtlich abgesenkt. Das ist im Sinne der demokratischen Beteiligung.
Wir scheuen den Wettbewerb nicht. Man kann Friedrich Merz nicht alleinlassen. Wir wollen in Berlin Regierungsverantwortung übernehmen, so wie wir es in Bayern schon tun.“
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