Wahlkampf 2021: War das jetzt wirklich so schlimm?
Es gab Fake News in diesem Wahlkampf. Doch wer sich informieren wollte, konnte das besser als früher. Drei Ansichten zum medialen Geschehen.
AfD-Wahlkampf kein Gedicht
Die größte Aufmerksamkeit erzielte die AfD in diesem Wahlkampf in dem Moment, als ihr Spitzenkandidat Tino Chrupalla sich im Interview mit einem ZDF-Kinderreporter blamierte. Chrupalla forderte, mehr deutsche Gedichte in den Schulen zu behandeln – und wurde umgehend vom 13-jährigen Nachwuchsreporter Alexander ausgekontert: „Welches ist denn ihr Lieblingsgedicht, Herr Chrupalla?“ Ihm fiel nicht ein einziges ein. Der gelernte Malermeister Chrupalla, parteiinterner Spitzname „Pinsel“ (durchaus auch böswillig konnotiert als „Einfaltspinsel“), machte seinem Namen alle Ehre.
Die Szene ist ein Sinnbild des AfD-Wahlkampfs: Abgesehen von den üblichen rassistischen Ressentiments und verschwörungsideologischen Geraune auf den eigenen sozialen Kanälen war für die AfD bisher nichts zu holen. In Umfragen stagniert die Partei. Das liegt auch daran, dass der Medien- ebenso wie der Politikbetrieb dazugelernt haben und nicht jedes Mal Grundsatzdebatten über die Grenzen der Sagbarkeit anstoßen, wenn AfDler*innen mit Ungeheuerlichkeiten versuchen, den Diskurs nach rechts zu erweitern.
Stattdessen begleiten die AfD in diesem Wahlkampf zuverlässig Skandale. Medien haben in allen Feinheiten herausgearbeitet, dass die Wunschkandidat*innen des extrem rechten Parteiflügels, Alice Weidel und Chrupalla, kein Problem damit haben, im kommenden Bundestag in einer Fraktion mit dem NRW-Kandidaten Matthias Helferich zu sitzen. Sie stimmten gegen dessen Parteiausschluss, obwohl er in Chats ein Foto von sich selbst mit „das freundliche Gesicht des NS“ bezeichnet und den berüchtigten NS-Richter Roland Freisler als Vorbild genannt hatte.
Dazu sorgte eine mehrjährige Recherche zu einem Netzwerk um den dubiosen Politikberater Tom Rohrböck auch intern für Schockwellen, ein weiterer Spendenskandal wurde noch in dieser Woche aufgedeckt, während ein Verfahren gegen die andere Spitzenkandidatin Alice Weidel in Konstanz immer noch anhängig ist. Medien haben neben den obligatorischen internen Grabenkämpfen herausgeschält, dass die AfD in ihrem Handeln exakt die Vorurteile bestätigt, mit denen sie den demokratischen Parteien begegnet.
Zu Beginn des Wahlkampfs hatte die AfD einen Knigge für Auftritte festgelegt. Man solle von Schlagwörtern wie Lügenpresse absehen, nüchtern sein und sich halbwegs körperlich pflegen, um den Wirkungsraum der AfD zu erweitern. Gut produzierte Hochglanz-Werbespots können nicht darüber hinwegtäuschen, dass Letzteres der AfD nicht gelungen ist. Nicht einmal, als sie kurz hoffte, Migration könne als politisches Thema im Zuge der Afghanistankrise wieder eine Rolle spielen. Der Skandal ist für die Mehrheit der Bevölkerung, dass zu wenig Menschen gerettet wurden, für die AfD waren es noch zu viele.
Zumal die meisten Menschen erkannt haben dürften, dass man schlecht gegen Physik und Naturgesetze argumentieren kann. Wenn die AfD mal Sendezeit bekam in Sommerinterviews oder Fernsehduellen hatte sie zu den Auswirkungen der Klimakatastrophe oder der Bekämpfung der Coronapandemie nichts Gehaltvolles beizutragen. Gleichzeitig bleibt es natürlich erschreckend, dass eine Kernwählerschaft gerade wegen dieses neoliberal-rassistischen Markenkerns der Partei treu bleibt. Gareth Joswig
An der Glotze gescheitert
Zum auslaufenden Wahlkampf und seiner medialen Begleitung kann man sinnvollerweise nur zwei Thesen vertreten: Nämlich erstens, dass es, was die Kenntlichmachung der Kanzlerkandidatinnen angeht, ein überaus erhellender Wahlkampf war – und möglicherweise ja auch noch ist; und dass zweitens Zeit-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo absolut recht hatte, als er im Gespräch mit Markus Lanz und Jan Böhmermann, das, was wir gerade erleben, so charakterisierte: „Ich empfinde diesen Wahlkampf als den friedlichsten, an den ich mich erinnern kann.“
Der im Angesicht von Tod und Verwüstung fröhlich-feixende Kandidat Armin Laschet, der sich dann nach überstandenem ersten Triell „wie ein Kind beim Vater“ (Der Spiegel) dem CDU-Granden und hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier an die Brust wirft – das sind ikonische Bilder uninszenierter Menschlichkeit, die einen in Deutschland für das wichtigste Staatsamt ebenso unmöglich machen wie die Unfähigkeit der Kandidatin Annalena Baerbock, „ihr einziges Kleinod“, das sie in diesem Wettkampf hatte, zu schützen – „nämlich die eigene Glaubwürdigkeit“ (Bettina Gaus).
Unter dem tatsächlich fast unmenschlichen Stress der Dauerpräsenz und Beobachtung, in die neben den etablierten Medien diesmal auch die privaten TV-Sender groß einstiegen, erwies sich das zu Beginn der Kampagne als Selbstläufer eingeschätzte schwarz-grüne Regierungsprojekt („Wir gewinnen sowieso“, Wolfgang Schäuble laut WamS im Frühjahr) als Bündnis von verwöhnten Epigonen, die einfach nicht damit rechneten, dass ihnen jemand ihr Erbe wegnehmen könnte – sei es bei Laschet das der Merkel-Nachfolge, sei es bei Baerbock jenes des unzweifelhaften Pfunds der Grünen, als erste etablierte politische Kraft in Deutschland die Klimakatastrophe thematisiert zu haben.
Die aus dieser an Arroganz grenzenden Selbstsicherheit erwachsene Fehlentscheidung, zu glauben, es sich leisten zu können, bei der Kandidatenkür nur die jeweils zweitbeste Wahl zu treffen, hätten die Bilder der Flutkatastrophe in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz noch korrigieren können: Doch Laschet hatte sich nicht im Griff, und die Grünen mussten feststellen, dass die Menschen sogar und vielleicht sogar gerade in der Apokalypse eben nicht einfach bereit sind, sondern geduldig, glaubwürdig und sozial gerecht auf die fundamentalen Änderungen vorbereitet werden müssen, die ihnen in den nächsten Jahren bevorstehen.
Die stärksten Bilder dieses Wahlkampfs lieferte also die Realität, lieferte die Glotze – und da haben wir von Kabul noch gar nicht gesprochen –, und vor dieser versagte das grün-schwarze Projekt. Analysen und Befürchtungen, ein im stetigen Abschwung befindliches Imperium von Bild und BamS könne durch Schmutzkampagnen wesentlich Einfluss nehmen, haben sich bisher nicht bewahrheitet; und ein in den Wahlkampf geworfenes Bild-TV konnte mit seiner Produktionsästhetik eines 80er-Jahre-Provinzpuffs schon allein quotenmäßig nichts reißen.
Die Zukunft ist aber schon da. Wer sich das zweite Triell im kommentierenden, interaktiven Stream von CDU-Zerstörer Rezo ansah, versteht, was Böhmermann im oben erwähnten Zeit-Gespräch meinte, wenn er von der Notwendigkeit „größerer Erzählungen“ sprach. Die Jüngeren fordern diese ein, sie sind auf den sozialen Medien dabei gleichzeitig Besteller und Macher, Sender und Empfänger. Noch sind sie schlicht zu wenige, aber kommende Wahlkämpfe könnten ganz andere, inhaltliche Höhepunkte bieten als nur umgefallene Stühle in rumpeligen TV-Studios. In einen solchen analytischen Wahlkampf käme dann vielleicht auch ein Olaf-Hartz-IV-Brechmittel-G20-CumEx-Wirecard-FIU-Scholz nicht ganz so glatt ins Ziel. Ambros Waibel
In Teilen immer noch Neuland
Nein, Annalena Baerbock will kein Verbot von Haustieren zugunsten des Klimas einführen. Und Spendenskandale hin oder her, die Spenden für Flutopfer gingen nicht in Armin Laschets Wahlkampftopf. Solche oder ähnliche Falschmeldungen kursieren im Wahlkampf zur Genüge im Netz. Gleichzeitig informieren sich immer mehr Wähler:innen dort: Parteiprogramme vergleichen, (Live)-Debatten verfolgen oder sich die Wahlentscheidung über den Wahl-O-Mat abnehmen lassen – all das passiert im Internet.
Das Phänomen von Social Bots und Falschmeldungen speziell in den sozialen Netzwerken ist kein neues. Spätestens seit dem US-Wahlkampf 2016 sind sich Politiker:innen und Expert:innen des Problems bewusst. Und doch ist es auch in diesem Jahr nicht unter Kontrolle zu bringen. Das Problem von Falschmeldungen ist dabei eindeutig, bei Social-Bots ist das nicht der Fall. Denn es muss zwischen Bots, die für Serviceaufgaben eingesetzt werden sowie solchen, die Propaganda verbreiten oder politische Stimmungen verstärken sollen, unterschieden werden.
„Bot“ steht als Kurzform des englischen Begriffs „Robot“. Grundsätzlich handelt es sich also um Computerprogramme, die automatisiert bestimmte Aufgaben erfüllen. Ein Service-Bot wäre Siri im iPhone. Gefährlich wird es, wenn Meinungs-Bots in sozialen Netzwerken eingesetzt werden. Diese können auch menschliche Identitäten in Fake-Accounts vortäuschen und in Kommentarspalten falsche Behauptungen verbreiten. Die beiden Topthemen in Sachen Falschmeldungen in diesem Jahr: Corona sowie die Legitimität der Briefwahl und damit einhergehende Betrugsvorwürfe.
Im Vergleich zur Bundestagswahl 2017 sind laut Experten dieses Jahr besonders viele Fake News im Umlauf. Auch Verfassungsschutz und Bundeswahlleiter haben bereits vor Desinformation zur Wahl gewarnt. Lange hieß es, Angriffe von auswärtigen Geheimdiensten auf die Bundestagswahl hielten sich noch in Grenzen – was auch immer das genau bedeuten mag.
Nun aber wurde bekannt, dass bislang Unbekannte erfolgreich Server des Bundeswahlleiters angegriffen haben. Der ist verantwortlich für die Organisation und Überwachung von Wahlen auf Bundesebene. Bei dem Angriff Ende August wurde die Webseite bundeswahlleiter.de mit extrem vielen Anfragen aus dem Internet bombardiert. Unter der Datenlast brachen die Server zusammen, die Website war zwischenzeitlich nicht erreichbar.
So kommt die Frage auf, ob es dieses Jahr schlicht so schlecht läuft wie immer. Fairerweise muss man sagen, es gibt sie, die kleinen Schritte zum Thema Cybersicherheit. Ein paar Social-Media-Plattformen wie Facebook beispielsweise arbeiten bereits eng mit den deutschen Sicherheitsbehörden zusammen, um mögliche Einflussnahmen und Fake-News-Kampagnen früh zu erkennen und abzustellen. Nach viel Kritik ist Facebook Kooperationen eingegangen, zum Beispiel mit der Bundeszentrale für politische Bildung. In einem neuen Webangebot erfahren Menschen eine Menge über die Wahlen und Demokratie an sich – und das in mehreren Sprachen. Und das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik schult mittlerweile Bundestagskandidat:innen in Sachen Cybersicherheit. Schon 2016 erklärten die Parteien, im Wahlkampf auf Social-Bots zu verzichten.
Müssen wir uns also jetzt einfach mit all dem abfinden und hoffen, dass unsere nächste Bundesregierung das mit diesem Internet endlich mal ernst nimmt? Schließlich möchte ja niemand mehr auf die digitalen Angebote und Möglichkeiten verzichten. Die Antwort lautet vermutlich: ja – warten und hoffen: Auch darauf, dass Datenschützer:innen weiterhin penetrant auf Probleme hinweisen; und darauf, dass einem Großteil der Bevölkerung bewusst ist, dass nicht alles, was in diesem Internet steht, wahr ist. Malaika Rivuzumwami
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