Wahlen um den SPD-Parteivorstand: Robuste Machtpolitik
Die Jusos schicken Ralf Stegner in die Wüste. Und GenossInnen mit Migrationshintergrund haben es in der SPD noch immer schwer.
Der Parteitag wird unterbrochen. Die Landesverbände müssen erstmal checken, wie man den Schaden behebt. Parteichefin Saskia Esken bittet die Delegierten, beim zweiten Wahlgang Ost-Kandidaten wie Dulig zu wählen. Kein Wort zu Heiko Maas. Der Ablauf stockt. Die NRW-Fraktion braucht noch länger für Beratungen. Maas und Dulig werden dann im zweiten Anlauf doch gewählt.
Michael Müller gibt hingegen auf. Und an diesem Mittag endet auch Ralf Stegners Karriere in der Bundes-SPD. Er ist seit mehr als einem Jahrzehnt eine Stimme der SPD-Linken. Oder eben – er war es. Er bleibt zwar Fraktionschef im Kieler Landtag. Aber in der 34-köpfigen weiteren SPD-Führung in Berlin ist für Stegner, bisher Parteivize, kein Platz mehr.
Stegner hatte sich mit Jusochef Kevin Kühnert, dem neuen starken Mann der Parteilinken, überworfen. Der 60-Jährige habe eben den Absprung verpasst, so die kühle Ansage aus Jusokreisen. Man wolle einen Generationswechsel. Die Jusos haben viel Einfluss auf diesem Parteitag. Sie können Machtpolitik. Auch sehr robust.
Diversity buchstabiert man anders
Auch Aziz Bozkurt, Vorsitzender der AG Migration und Vielfalt, fällt bei der Wahl durch. Ebenso die linke Kreuzberger Bundestagsabgeordnete Cansel Kiziltepe. Die SPD hat sich eigentlich vorgenommen, eine 15-Prozent-Quote für GenossInnen mit Migrationshintergrund in den Bundesgremien einzuhalten. Doch wenn es bei Personalien kracht, gerät dieses Ziel als erstes in Vergessenheit. Serpil Midyatli, türkeistämmige Kielerin, ist zwar neue Parteivize – aber eben nur eine von zehn in der engeren Parteispitze.
Die Hamburgerin Aydan Özoğuz, früher Staatsministerin im Bundeskanzleramt, wird Beisitzerin – eine von 24. Das sind weniger als sechs Prozent. Diversity buchstabiert man anders. „Die SPD vergibt da eine Chance“, sagt Bozkurt der taz. Bei den mehr als 600 Delegierten ist der Anteil von GenossInnen mit Migrationshintergrund recht hoch. Doch der Weg nach oben, so Bozkurt, „wird oft von Platzhirschen versperrt“. Die SPD hat etwas Strukturkonservatives, Schwerfälliges.
Sanfter Ruck nach Links
Sozialpolitisch rückt die SPD indes nach links. Sanft, nicht mit einem Ruck. Es soll eine Kindergrundsicherung geben – damit Kinder nicht mehr im Hartz-System groß werden. Bei Hartz IV, das jetzt Bürgergeld heißen soll, ist zwar kein kompletter Verzicht auf Sanktionen anvisiert, aber auch bei Sanktionen müsse das „sozioökonomische und soziokulturelle Existenzminimum jederzeit gesichert sein“, so die Linie.
Vermögen und Wohnverhältnisse von Hartz-IV – oder eben Bürgergeld – Empfängern sollen erst nach zwei Jahren kontrolliert werden. Und Arbeitslose, die sich weiterbilden, sollen bis zu drei Jahren Arbeitslosengeld bekommen.
All das zusammen ist ein austarierter Kompromiss zwischen Hubertus Heil und der Parteilinken, die den Bruch gerne noch entschlossener gehabt hätte. Die GenossInnen stimmen ohne Gegenstimme für das Sozialstaatskonzept, das deutlich die Handschrift von Andrea Nahles trägt. Dann applaudieren sie lange für sich selbst. Es ist ein Augenblick der Harmonie. Und der Sehnsucht, dass die SPD die Agendapolitik, die ihr seit 15 Jahren folgt wie ein Schatten, jetzt endlich loswerden möge.
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