piwik no script img

Wahlen in Weißrussland100 Prozent für das Regime

Bei den weißrussischen Parlamentswahlen hat das Regierungslager voraussichtlich alle Mandate gewonnen. Die Opposition spricht von Manipulation, Präsident Lukaschenko nennt sie „feige“.

Eine Wahlhelferin zeigt die richtige Reaktion auf diese Wahl (zweite von links). Bild: dapd

MINSK dpa/afp | Überschattet von Fälschungsvorwürfen und einem Boykottaufruf der Opposition ist von rund sieben Millionen Weißrussen ein neues Parlament gewählt worden – das in der autoritär regierten Ex-Sowjetrepublik aber kaum ein Mitspracherecht hat. Der von Kritikern des Regimes von Staatschef Alexander Lukaschenko und unabhängigen Experten als undemokratisch bezeichnete Urnengang am Sonntag verlief ruhig. Das amtliche Endergebnis soll am Montag verkündet werden.

Lukaschenko, der das Land seit 18 Jahren mit harter Hand regiert und von seinen Gegnern als „Europas letzter Diktator“ bezeichnet wird, zeigte sich siegessicher. Alle 110 Mandate würden in Regierungshand bleiben, da die „feige Opposition nichts anzubieten“ habe. Die Meinung des Westens über die Abstimmung nannte er uninteressant: „Dies sind Wahlen für das weißrussische Volk, nicht für den Westen.“

Die Opposition in Weißrussland hat die Parlamentswahl scharf kritisiert und der Führung von Präsident Alexander Lukaschenko Manipulation vorgeworfen. Die Wahlkommission lüge „schamlos“, ihre Angaben zur Beteiligung unterschieden sich „radikal“ von denen der Wahlbeobachter, sagte Christdemokrat Vitali Rimaschewski der Nachrichtenagentur afp am Sonntag.

Zuvor hatte sich die Leiterin der Wahlkommission, Lidja Jermoschina, zufrieden über den Urnengang geäußert. Mit 74,3 Prozent liege die Beteiligung höher als „wir gehofft hatten“. Von den 110 zu vergebenden Mandaten stünden inzwischen 109 namentlich fest, sagte sie weiter. Dabei sei es „wenig wahrscheinlich“, dass unter den Gewählten ein Angehöriger der Opposition sei.

Von den neuen Abgeordneten wurden nur die Nachnamen, aber nicht die politische Zugehörigkeit angegeben. Unter dem seit 18 Jahren regierenden Lukaschenko gibt es keine offizielle Regierungspartei. Experten gingen aber davon aus, dass das neue Parlament vollständig von Lukaschenko treu ergebenen Anhängern beherrscht sein wird.

Opposition spricht von 38 Prozent Wahlbeteiligung

Rimaschewski verwies auf Schätzungen seine Partei, wonach lediglich etwa 38 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben hätten. In fast allen großen Städten habe es einen Boykott gegeben. Die beiden größten Oppositionsparteien, die Vereinigte Bürgerpartei und die Weißrussische Volksfront, sowie weitere Gruppierungen hatten die Wahl boykottiert. Sie beklagen, dass die Abstimmung bereits im Voraus zu Gunsten von Lukaschenko manipuliert worden sei. AFP-Korrespondenten berichteten von fast leeren Wahllokalen in der Hauptstadt Minsk.

Staatsbeamte und Soldaten seien massenweise zur Abstimmung gezwungen worden, zudem sei die Opposition nicht zur Auszählung zugelassen, betonten wichtige Oppositionskräfte weiter. Solange die Führung in Minsk als einzige Regierung in Europa noch die Todesstrafe vollstrecke und politische Häftlinge gefangen halte, habe sie keine Legitimierung, unterstrichen sie. Zwei große Oppositionsparteien hatten zum Boykott der Wahl aufgerufen. Allerdings gelten die Lukaschenko-Gegner als zerstritten.

Unabhängige Wahlbeobachter haben seit 1994 keine Wahl in Belarus mehr als frei und fair eingestuft. Zuletzt wurde mehreren deutschen Journalisten die Einreise nach Minsk verweigert. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE), die etwa 300 Beobachter nach Weißrussland entsandt hat, will ihr Urteil an diesem Montag vorlegen.

Vor der Wahl des „Marionettenparlaments“ habe es Todesdrohungen gegen die Opposition gegeben, kritisierte die Bundestagsabgeordnete Marieluise Beck (Grüne), der ebenfalls ein Visum verweigert worden war. Die EU müsse die Zivilgesellschaft in Minsk weiter unterstützen, appellierte die Osteuropaexpertin in Berlin.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

14 Kommentare

 / 
  • H
    Hendrix

    Benz, Ihre Frage selbst ist ein Ausweichen vom Thema. Es ging um Ihre rhetorische Frage, warum Weißrussland eine Diktatur ist. Die Antwort gab bereits die Wahl: Es gibt keine Opposition im weißrussischen Parlament - in den USA sehr wohl.

  • B
    Benz

    @Hendrix

    Sie weichen der Frage aus. Auch wer ein System überwacht, kann regimetreu sein. Oder wollen Sie behaupten, seit die Republikaner nicht mehr den Präsidenten stellen, seien sie nicht mehr systemtreu?

    Ich warte immer noch auf den Namen des US-Parlamentariers, der nicht regimetreu ist.

  • H
    Hendrix

    @Benz

    Es geht nicht darum das System zu stürzen, sondern die Regierung zu überwachen und herauszufordern. Das ist das Herzstück des Parlamentarismus. Das dürfte in Lukaschenkos Reich nach diesen "Wahlen" nicht eben einfach sein...

  • B
    Benz

    @Hendrix

    Ich habe nicht nach Parteizugehörigkeit der US-Parlamentarier gefragt. Sondern nach Regimetreue. Wollen Sie etwas behaupten, die US-Republikaner seien nicht regimetreu? Wollten gar das System stürzen??

     

    Also, können Sie mir einen US-Parlamentarier nennen, der nicht regimetreu ist? Der aktiv den Sturz des Systems betreibt?

  • H
    Hendrix

    @Benz

    Mir ist nicht bekannt, dass die Demokraten 100% der Stimmen erhalten hätten. Mehr noch: Niemand kann sagen, ob Barack Obama die Präsidentenwahl gewinnen wird oder nicht.

     

    Anders stellt sich die Situation in den Regimen des postsowjetischen Raums dar: Da ist der Ausgang der "Wahlen" schon klar, bevor sich auch nur ein Wähler seiner Wahlurne genähert hat. Den Vogel hat aber wiedermal Lukaschenko abgeschossen: Hier wird nichtmal mehr versucht, den Schein von Demokratie zu wahren. Außer, natürlich, von seinem treuen Diener Benz.

  • B
    Benz

    @Hendrix

    Wie gesagt, auch in DE, USA, FR usw. sind alle Abgeordnenten regimetreu. Oder können Sie mir einen US-Parlamentarier nennen, der aktiv auf den Sturz des US-Systems hin arbeitet?

  • H
    Hendrix

    Die Antwort, Benz, gibt Ihnen bereits der Titel des Artikels. It is so easy!

  • B
    Benz

    @Lieber schwul usw.

    Ja, hier im goldenen Westen ist alles besser: Bei uns darf man ohne weiteres Lukaschenko in der Oeffentlichkeit als feige bezeichnen, ohne die geringsten Konsequenzen zu befürchten. Da muss ich Ihnen rechtgeben.

     

    Ich halte die Todesstrafe auch für fragwürdig, in den USA wie in Weissrussland. Auch bin ich gegen Familiendynastien.

    Aber ich frage mich eben, warum ein Land mit Todesstrafe und realen Familiendynastien (die USA) als ''Führungsmacht der freien Welt'' gelobt wird, während ein anderes Land mit Todesstrafe (Weissrussland) als ''Diktatur'' bezeichnet wird.

  • LS
    Lieber schwul als Lukaschenko

    Der ausgestreckte Finger auf den Gegner relativiert nicht die eigenen Verfehlungen. Es bedeutet, dass man die Verbrechen an sich gutheißt, wenn man die gegnerische Seite zur Rechtfertigung heranzieht.

    Ich für meinen Teil halte die Todesstrafe sowohl in den USA als auch in Belarus oder sonstwo auf dieser Welt für verbrecherisch.

    In Belarus ist der z. B. Prozess, der der Todestrafe für die beiden Burschen vorausging, hinsichtlich seiner juristischen Objektivität und Legitimität mehr als fragwürdig.

    Und ob man in Belarus den Präsidenten ohne Weiteres in der Öffentlichkeit als feige bezeichnen darf, bezweifle ich auch.

    Dafür darf man hier in der "Westlichen Demokratie" durchaus sein Gift gegen dieselbige verspritzen, und zwar ohne Konsequenzen fürchten zu müssen. Und das ist auch gut so.

    Kurzum, ich freue mich schon auf die nächsten Kommentare der Genossen Benz&Co., da gibt es immer was zu schmunzeln...

  • S
    Suri2

    Mir scheint die TAZ kann immer noch nicht verkraften, daß die Mehrheit des Volkes hinter Lukaschenko steht, weil er sie vor einem Chaos wie in der russischen Jelzin-Ära bewahrt hat. Autokrat hin, Autokrat her.

  • B
    Benz

    @Jupp

    Danke für den Hinweis zu den mit EU-Geldern gebauten Mauern.

     

    @Hendrix

    Was sagen Sie dazu? Die EU gibt Weissrussland (und anderen Nachbarländern der EU wie Russland, Ukraine, nordafrikanische Länder) Geld, damit diese an ihren Grenzen Mauern bauen.

    Nicht in den von ihnen als ''Sowjetregimes'' verfemten Ländern sitzen die Mauerbauer, sondern in der Zentrale der EU.

  • J
    jupp

    @Hendrix:

    Mauerbau auf ausdrücklichen Wunsch der EU zum Schutz vor unerwünscher Zuwanderung und ganz ohne Rücksichtnahme auf die Menschen (Familien!) im polnisch-weißrussschen Grenzgebiet!

    Und weil die belarussische Industrie Schlagstöcke selbst produzieren kann,hat die Bndesregierung auch keine geliefert, dafür aber Hochtechnologie vom Allerfeinsten und ein bisschen personelle Schulung für die Polizei des "letzten Diktators" Europas.

    Und was Söhnchen Kolja angeht: der Mann plant eben langfristig, so wie unsere EU-Strategen auch!

  • B
    Benz

    Weiss jemand, wie die weissruss. Parteienlandschaft aussieht, wie Regierungs- und Oppositionsparteien heissen? Dazu stand im Artikel leider nichts.

     

    Ich gratuliere den weissruss. Wählern zur rationalen Entscheidung, das Regierungslager zu wählen. Lukaschenko hat einige Erfolge (gut funktionierende öffentliche Institutionen, stabile Wirtschaftsentwicklung, qualitativ gute Ausbildung, niedrige Kriminalität, geringe Staatsverschuldung) vorzuweisen. Die Opposition hingegen ist unbekannt, zerstritten, hat nur Parolen zu bieten. Und bestätigt notabene mit ihrer chronischen Zerstrittenheit den Vorwurf, nichts als einen Gruppe von Chaoten zu sein.

     

    @Hendrix

    Auch in den USA wird noch die Todesstrafe vollstreckt. Und mit dem Uebergang von Vater Bush zu Sohn Bush gab es auch ganz konkret eine Herrscherdynastie.

  • H
    Hendrix

    Wahlergebnisse wie zu besten Sowjetzeiten. Jetzt muss Genosse Lukaschenko nur noch die Mauer wiedererrichten und alles ist wie früher...sogar noch besser: Mit Söhnchen Kolja steht schon der Nachfolger bereit. So wird das Sowjetsystem sogar noch mit der Monarchie gekreuzt. Mittelalter im Herzen Europas!