Wahlen in Syrien: Krieg und Chaos im ganzen Land
Das Assad-Regime sieht sich auf dem Vormarsch. In vielen Landesteilen finden weiter Kämpfe statt. An Wahlen ist da nicht zu denken.
BERLIN taz | Kaum hatte der syrische Parlamentspräsident Mohammed al-Lahham den Termin für die Präsidentschaftswahlen bekannt gegeben, hagelte es auch schon Kritik. Vertreter der Opposition kündigten einen Boykott an und sprachen von einem Manöver der reinen Machtsicherung durch Präsident Baschar al-Assad. Bei den internationalen Reaktionen überwog das Argument, angesichts des anhaltenden bewaffneten Konflikts sei es nicht möglich, allgemeine Wahlen abzuhalten.
Jay Carney, Pressesprecher von US-Präsident Barack Obama, sprach von einer „Parodie der Demokratie“. Sogar Bouthaina Shabaan, Beraterin Assads, hatte während der Friedensgespräche in Genf zu Jahresbeginn angedeutet, in einer Situation des Bürgerkrieges sei es wohl nicht möglich, Wahlen zu organisieren.
Drei Jahre nach Beginn der zunächst friedlichen Proteste in Syrien hat das Regime die Kontrolle über Teile des Landes verloren. Angesichts der Kämpfe sind über sechs Millionen Menschen in Syrien selbst auf der Flucht; drei weitere Millionen haben sich in die Nachbarstaaten gerettet. Die Opposition im Exil ist von einer Kandidatur von vornherein ausgeschlossen, denn das neue Wahlgesetz sieht vor, dass Bewerber mehr als zehn Jahre in Syrien gelebt haben müssen und ausschließlich die syrische Staatsbürgerschaft besitzen dürfen. Unter solchen Rahmenbedingungen sind allgemeine, demokratische Wahlen in der Tat nicht möglich.
Die Bekanntgabe des Wahltermins, der 3. Juni, erfolgte eine Woche, nachdem Assad bei einem Auftritt an der Universität von Damaskus von einem militärischen „Wendepunkt“ zu seinen Gunsten gesprochen hatte. Laut BBC sagte Assad gegenüber einem Vertreter Russlands voraus, „die aktive Phase militärischer Aktion“ werde im Laufe des Jahres beendet werden.
Danach werde es darum gehen, „Terroristen und Selbstmordattentäter“ zu bekämpfen. Assads Verbündeter Hassan Nasrallah, Chef der libanesischen Hisbollah, prognostizierte in diesem Zusammenhang, es werde vermutlich zu einem langen Abnutzungskrieg kommen, falls die Rebellen nicht bereit seien, eine Übereinkunft mit der Regierung zu treffen. Mit einer solchen ist derzeit nicht zu rechnen.
Militärische Erfolge der Armee
In der Tat hat die syrische Armee zusammen mit der Miliz Nationale Verteidigungskräfte und der Hisbollah in den vergangenen Wochen militärische Erfolge erzielt. In den Kalamum-Bergen südlich von Kusair gelang es den Regimekräften, die bisher von Rebellen gehaltene Stadt Jabrud sowie umliegende Dörfer zu erobern. Damit wird die zentrale Nord-Süd-Verbindung abgesichert; zugleich wurden Rückzugs- und Versorgungsrouten der Rebellen in den Libanon unterbrochen. Auch in der Nähe von Damaskus konnten die Regimetruppen einige Vororte wieder unter ihre Kontrolle bringen, nachdem diese monatelang abgeriegelt und Bevölkerung und Kämpfer ausgehungert worden waren und Teilabkommen mit dem Regime schlossen.
Laut der Nachrichtenagentur AP gibt es solche Debatten auch in Homs. Hier haben Gruppen von Aufständischen am Wochenende mit einer Gegenoffensive begonnen, nachdem Regierungstruppen zum ersten Mal seit zwei Jahren versuchten, in die Stadtteile vorzurücken, die von Rebellen kontrolliert werden.
In Aleppo, im Norden des Landes, setzt die Luftwaffe ihre massiven Angriffe fort. Die Syrischen Observationsstelle für Menschrechte schätzt die Zahl der Opfer inzwischen auf etwa 1.000 pro Woche. Aus der ehemaligen Wirtschaftsmetropole werden auch Bodenkämpfe und Erfolge der Aufständischen gemeldet.
Keine Wahlen in Kampfgebieten
Auch der Süden des Landes wird zunehmend Ziel von Luftangriffen. Dies ist eine Reaktion auf eine Offensive eines Bündnisses von Rebellengruppen, die dort mehrere Dörfer erobert haben. Doch der wichtigste Vorstoß der Rebellen fand Ende März in der Provinz Latakia statt, einer Bastion des Regimes und der Alawiten, in der auch der Geburtsort von Assad liegt. In einem überraschenden Entlastungsangriff für Aleppo und Kalamum gelang es drei Gruppen von Aufständischen, den letzten vom Regime gehaltenen Grenzort zur Türkei, Kassab, sowie erstmals einen Zugang zur Mittelmeerküste zu erobern.
Für seine Gegenoffensive mussten die Regimekräfte Einheiten aus mehreren Städten, darunter auch Aleppo, abziehen. Interessant ist, dass die Rebellen bei dieser Offensive in einem Gebiet angegriffen haben, dass bisher fest in den Händen des Regimes war. Dies lässt darauf schließen, dass zumindest einige Gruppen von Aufständischen ihre Strategie geändert haben.
Insgesamt gesehen kann man vermutlich davon ausgehen, dass in den von Aufständischen gehaltenen Gebieten im Süden, Nordwesten und Norden des Landes, in umkämpften Orten sowie im Osten Syriens keine Wahlen stattfinden werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja