Wahlen in Georgien: KO-Sieg mit unfairen Mitteln
In Georgien hat die Regierungspartei Georgischer Traum nach offiziellen Ergebnissen klar die Parlamentswahl gewonnen. Die Opposition sieht Betrug.
Erstmals wurde bei dieser Wahl nach dem reinen Verhältniswahlrecht gewählt. Die Stimmen von rund 90 Prozent der Wähler*innen – ebenfalls eine Neuerung – wurden mit einem elektronischen Zählsystem erfasst. Die Wahlbeteiligung lag bei 59 Prozent – der höchste Wert seit 2012 (60,8 Prozent), als der KO erstmals stärkste Kraft geworden war und die Regierung gestellt hatte.
Erste Exit-Polls, die kurz nach 20 Uhr veröffentlicht worden waren, wichen erheblich voneinander ab. Während der regierungsnahe TV-Sender Imedi den KO bei 56 Prozent sah, vermeldeten die beiden oppositionellen Sender Mtavari Arkhi und Formula 42 Prozent.
Nach jetzigen Stand würde der KO 89 von 150 Sitzen im Parlament erhalten. Damit verfehlt die Partei deutlich eine verfassungsändernde Mehrheit, was ein erklärtes Wahlziel gewesen war. Mehrmals hatten KO-Vertreter*innen angekündigt, in diesem Fall die Opposition verbieten zu wollen – allen voran die Vereinte Nationale Bewegung (ENM) des früheren und derzeit in Georgien inhaftieren Präsidenten Micheil Saakaschwili.
Opposition will die Wahl nicht anerkennen
Der KO hatte die Abstimmung vom Samstag zu einer Wahl zwischen Krieg und Frieden stilisiert – verbunden mit dem Vorwurf, der Westen und die Opposition wollten die Südkaukasusrepublik in Russlands Krieg gegen die Ukraine hineinziehen. Der Gründer des KO, der milliardenschwere Oligarch Bidzina Iwanischwili, der in der Partei immer noch die Strippen zieht, hatte am Wahlabend das Ergebnis als seltenen Sieg in einer schwierigen Situation bezeichnet. „Ich versichere Ihnen, dass unser Land in den kommenden vier Jahren große Erfolge erzielen wird.“ Georgien werde zu einem der erfolgreichsten Länder weltweit werden, sagte Iwanischwili.
Der Bürgermeister der Hauptstadt Tbilisi, Khaka Kaladze, der ebenfalls dem KO angehört, warnte die Opposition vor „illegalen Aktionen“. Diese werde der Staat mit aller Härte beantworten.
Die Opposition hatte vor den Wahlen von einer fundamentalen Richtungsentscheidung zwischen einer europäischen Zukunft oder einer weiteren Hinwendung nach Russland gesprochen.
Die ENM kündigte am frühen Sonntagmorgen an, die Wahlergebnisse nicht anerkennen zu wollen. Die Vorsitzende, Tina Bokuchava, sagte, die Wahlen seien gestohlen worden. Sie rief die anderen Oppositionsbündnisse dazu auf, sich ihrem Statement anzuschließen. Größere Proteste vielleicht noch am Sonntag seien noch wahrscheinlich. Nika Gvaramia, unter Saakaschwili Justiz- und Bildungsminister und von der Koalition für Veränderungen, sprach von einem Staatsstreich. Seine Gruppierung werden den Wahlausgang ebenfalls nicht akzeptieren.
Mamuka Khazaradse vom Bündnis Starkes Georgien beschuldigte Iwanischwili in den sozialen Medien, bei den Wahlen eine Spezialoperation des KGB ausgeführt zu haben. Das Land werde auf Russland vorbereitet. „Ich kann und werde diesen Fälschungen nicht zustimmen. Niemals!“, schrieb er.
Zahlreiche Unregelmäßigkeiten in den Wahllokalen
Lokale und internationale Wahlbeobachter*innen hatten bereits am Sonntagabend von massiven Verstößen berichtet. So sei es in mehreren Wahllokalen zu Schlägereien gekommen. Tätliche Angriffe habe es vor allem auf Wahlbeobachter*innen sowie Medienvertreter*innen gegeben.
Auch auf Wähler*innen sei erheblicher Druck ausgeübt worden. Angaben der Organisation „My vote“ zufolge – ein Dachverband von dutzenden einheimischen Nichtregierungsorganisationen und am Wahltag mit rund 2.000 Beobachter*innen landesweit präsent – hätten Wähler*innen zwei Stimmzettel erhalten. Auf einigen sei der KO bereits markiert gewesen. Auf einem Video aus dem Wahlbezirk Marneuli im Süden Georgiens ist ein Mann zu sehen, der Stimmzettel gleich stapelweise in eine Urne stopft. In vielen Fällen, so My vote, sei es unmöglich gewesen, den Wahlprozess überhaupt zu beobachten.
Zu den ersten Gratulanten des KO gehörte übrigens Ungarns Regierungschef Viktor Orbán. „Herzlichen Glückwunsch an Premier Irakli Kobachidze und die Partei Georgischer Traum zu ihrem überwältigenden Sieg bei den Parlamentswahlen. Das georgische Volk weiß, was das Beste für sein Land ist und hat seiner Stimme heute Gehör verschafft“, schrieb Orbán.
Die Kreml-Propagandistin und Chefredakteurin des russischen Senders RT, Margarita Simonyan, quittierte das Ergebnis auf X mit „Gut gemacht!“ Auch der Vorsitzende des auswärtigen Ausschusses im estnischen Parlament, Marco Mikhelson, meldete sich zu Wort. „Georgiens offensichtliche Wahlfälschung macht es unmöglich, die Legitimität der Wahlen anzuerkennen. Wenn Wahlen gefälscht werden, kann man nicht der Europäischen Union beitreten, sondern landet in den Armen Russlands“, postete er am Samstagabend. Georgien hatte im vergangenen Dezember von der EU den Kandidatenstatus erhalten. Seit Juni dieses Jahres laufen Beitrittverhandlungen, die derzeit jedoch ausgesetzt sind.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja