Wahlen in Berlin: „Wir sind ein wichtiges Korrektiv“
Taser und Videoüberwachung wären in Berlin ohne die Linke schnell auf der Tagesordnung, sagt deren innenpolitischer Sprecher Niklas Schrader.
taz: Herr Schrader, Sie sind seit sechs Jahren Abgeordneter und sehen Ihrem Wiedereinzug ins Berliner Parlament entgegen, oder haben Sie da Zweifel?
Niklas Schrader: Das hängt vom Wahlergebnis ab. Ich bin auf Listenplatz 17 …
… ziemlich weit hinten.
Ich gehe aber davon aus, dass es klappt.
Der Untersuchungsausschuss „Neukölln“ tagt am Montag zum letzten Mal vor den Wahlen. Die Mitglieder und Stellvertreter des Neukölln-Ausschusses müssen danach vom Plenum neu gewählt werden. Veränderte Stärkeverhältniss könnten die Besetzung des Untersuchungsausschusses beeinflussen: Die Zahl der zu entsendenden Mitglieder richtet sich nach dem Wahlergebnis, der Vorsitz hängt von der Gesamtkonstellation der Ausschussvorsitze ab. Bislang hatte die SPD den Vorsitz im Neukölln-Ausschuss. (plu)
Die Linke lädt am 22. Februar um 19 Uhr zu einer Diskussionsveranstaltung: „Sicherheit ohne Polizei - aber wie?“ Mit dabei: der Innenpolitiker Niklas Schrader, die Polizeiwissenschaftlerin Daniela Hunold und der Kriminalwissenschaftler Benjamin Derin. Ort: Linx 44, Schierker Straße 26 in Neukölln
Die CDU führt in den Umfragen. Halten Sie eine sogenannte Deutschland-Koalition aus CDU SPD und FDP für denkbar?
Es erfüllt mich mit einem gewissen Unbehagen, dass die SPD-Spitzenkandidatin gerade in diese Richtung blinkt. Wir Linken wollen uns natürlich weiter in einer Regierung einbringen. Gerade auch in der Innenpolitik sind wir unverzichtbar.
Welche innenpolitischen Errungenschaften rechnen Sie sich nach sechs Jahren Regierungsbeteiligung zu?
Wir sind ein wichtiges Korrektiv, das aufpasst, dass nicht auf alle problematischen Fragen polizeiliche und repressive Antworten gefunden werden. Wir haben beispielsweise auch an der Weiterentwicklung des Polizeirechts mitgewirkt.
Das Berliner Polizeirecht ist im Bundesvergleich fortschrittlicher als andere.
In anderen Bundesländern gibt es viele Verschärfungen und mehr Eingriffsrechte, hier nicht. Ganz aktuell sieht man es wieder bei dieser Debatte um die sogenannten Klimakleber. Da hat ja auch die Berliner SPD sehr schnell eine Verschärfung der Präventivhaft gefordert.
In Berlin können Menschen maximal zwei Tage in sogenannten Unterbindungsgewahrsam genommen werden. Die SPD würde das gern wieder auf vier Tage oder mehr verlängern. In Bayern sind bis zu zwei Monate möglich.
Verlängerung des Unterbindungsgewahrsams, flächendeckende Einführung von Tasern, Bodycams, Videoüberwachung, das alles wäre in Berlin ganz schnell auf der Tagesordnung, wenn die Linken nicht mitregieren.
Aber immer im Schulterschluss mit den Grünen, oder sehen Sie da innenpolitisch einen Unterschied?
In der Frage des Unterbindungsgewahrsams waren wir uns mit den Grünen einig. Auch die Einführung des unabhängigen Polizeibeauftragten haben wir zusammen erkämpft. Bei der Veränderung des Polizeigesetzes würde ich aber sagen, dass wir diejenigen waren, die konsequenter Grundrechte verteidigt und Fortschritte durchgesetzt haben.
Am 15. Februar wird die neue Polizeiwache am Kottbusser Tor eröffnet. Innensenatorin Iris Spranger (SPD) hat das mehr oder weniger im Alleingang durchgesetzt, zumindest war die Kotti-Wache nicht Bestandteil der rot-grün-roten Koalitionsvereinbarung, oder?
In der Koalitionsvereinbarung wurde offen gelassen, ob und wo solche Wachen entstehen können. Dass das ohne eine ernsthafte Beteiligung der Akteure vor Ort gelaufen ist, ist absolut inakzeptabel. Frau Spranger steckt dreieinhalb Millionen Euro in die Wache, aber es ist immer noch kein Geld da, um für die sozialen Probleme am Kotti soziale Lösungen zu finden. Das werden wir weiter einfordern.
Was konkret?
Der Drogenkonsumraum von Fixpunkt am Kotti sollte deutlich länger als jetzt geöffnet sein. Möglichkeiten für eine Notübernachtung für konsumierende Obdachlose müssen geschaffen werden. In die bauliche Beschaffenheit muss investiert werden, es braucht mehr Freizeitmöglichkeiten für die Kinder und Jugendlichen. Daran mangelt es immer noch, obwohl seit Jahren bekannt. Man muss das anders angehen als früher.
Wie stellen Sie sich das vor?
Ich finde es richtig, dass der Senat beabsichtigt, alles in einem Gesamtkonzept zusammenzuführen. Allerdings ist das bis jetzt noch nicht passiert. Der Bezirk muss sich natürlich beteiligen. Aber man muss ihm auch die nötigen Mittel geben.
Wo sehen Sie in Ihrem Ressort noch Schwerpunkte für die kommende Legislaturperiode?
Wir wollen auf jeden Fall noch einmal kritisch über die sogenannten kriminalitätsbelasteten Orte und anlasslosen Kontrollen diskutieren. Wir wollen, dass nach einer Polizeikontrolle eine Kontrollquittung ausgestellt wird. Das ist uns wichtig, weil es ein Beitrag sein kann, um Racial Profiling zu verringern.
Das war schon Bestandteil des alten Koalitionsvertrags.
Ist aber noch nicht umgesetzt. Und noch etwas ist uns zentral wichtig: Wir wollen modellhaft ein Kriseninterventionsteam einrichten, das bei bestimmten Gefahrensituationen zum Einsatz kommt.
Das interessiert uns genauer.
Es gibt große Diskussionen über den Umgang der Polizei mit psychisch kranken Personen. In der Vergangenheit kam es dabei des Öfteren zu Verletzten durch Gewaltanwendung oder auch zu Todesfällen durch Schusswaffengebrauch.
Gerade erst im vergangenen Herbst wieder: Ein psychisch kranker Schwarzer lag nach einem Polizeieinsatz drei Wochen im Koma, dann starb er. Wie konkret sind die Pläne?
Zusammen mit den Grünen haben wir der Koalition einen Vorschlag für einen Parlamentsantrag unterbreitet: Ein Modellprojekt für Menschen in psychischen Ausnahmesituationen. Uns schwebt ein speziell ausgebildetes Team vor, das nach einem Notruf vor oder zeitgleich mit der Polizei vor Ort eintrifft. Aufgabe des Teams wäre es, professionell zu deeskalieren. Die Polizei ist dazu nicht in der Lage, weil sie nicht entsprechend ausgebildet ist und es auch nicht unbedingt ihre Hauptaufgabe ist.
Wie steht die SPD dazu?
Sie hat auf den Vorstoß noch nicht reagiert. Dabei steht auch das im Koalitionsvertrag.
Sie sitzen auch im Untersuchungsausschuss, der ein mögliches Behördenversagen im Zusammenhang mit der rechtsextremistischen Anschlagsserie in Neukölln aufklären soll. Was ist der Stand?
Wir haben die Betroffenen und Initiativen alle gehört. Das war ein wichtiger Auftakt. Jetzt geht es langsam in Richtung Zeugen der Behörden.
Warten Sie immer noch auf Unterlagen von Polizei, Staatsanwaltschaft und Verfassungsschutz?
Ja, aber wir können weiterarbeiten. In einigen Themenbereichen sind die Unterlagen noch ein bisschen dünn, aber manches ist jetzt eingetroffen.
Kann der Untersuchungsausschuss nach den Wahlen nahtlos fortgesetzt werden?
Die rechtliche Bewertung durch das Abgeordnetenhaus und den Wissenschaftlichen Dienst ist im Moment so, dass der Untersuchungsausschuss noch einmal neu eingesetzt werden muss. Das heißt, die Ausschussmitglieder müssen auch noch einmal neu gewählt werden. Aber wir gehen davon aus, dass der neue Ausschuss inhaltlich an die Arbeit des alten anknüpfen kann. Die Zeichen stehen also auf Fortsetzung.
In dem Gerichtsprozess um die Brandanschläge auf die Autos des Linken-Politikers Ferat Kocak und des Buchhändlers Heinz Ostermann hat es bereits einen Freispruch gegeben. Generalstaatsanwältin Margarete Koppers hat dem Gericht mangelnden Tiefgang vorgeworfen. Wie sehen Sie das?
Aus Sicht der Betroffenen ist es extrem wichtig, dass nicht nur die einzelnen Tatverdächtigen betrachtet werden. Das sehen wir als Aufgabe des Untersuchungsausschusses. Wir gucken uns Netzwerk- und Unterstützungsstrukturen an und natürlich auch intensiver das Behördenhandeln. Das sind ja Dinge, die das Gericht nur bedingt beleuchtet. Wenn es erste Urteile gibt, ist das für den Ausschuss günstig. Dann rückt ein Ende des Prozesses näher und wir werden schneller entsprechende Unterlagen bekommen.
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