Wahl zur Bundestagsvizepräsidentin: Dritter Anlauf für die AfD
Mariana Harder-Kühnel geht in den dritten Wahlgang zur Bundestagsvizepräsidentin. Der Umgang damit ist in den Parteien umstritten.
Denn nicht nur die Große Koalition, auch einzelne Fraktionen sind gespalten in der Frage, ob man die AfD-Abgeordnete wählen soll oder nicht. Kurz nach der Bundestagswahl war der damalige AfD-Kandidat Albrecht Glaser auch wegen seiner Äußerungen zur Religionsfreiheit für Muslime dreimal durchgefallen. Seitdem ist der Posten unbesetzt. Grundsätzlich steht jeder Fraktion ein Sitz im Präsidium zu.
Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus hat inzwischen angekündigt, für Harder-Kühnel stimmen zu wollen. Das gefällt der SPD gar nicht. Generalsekretär Lars Klingbeil nannte eine Unterstützung für die AfD-Kandidatin am Mittwoch ein „absolutes No-Go“ und einen „Schlag ins Gesicht für alle Demokraten, die im Plenum gegen Hass und Hetze der AfD kämpfen.“
Auch andere SPD-Abgeordnete kündigten auf Twitter an, Harder-Kühnel ihre Stimme zu verweigern. Johannes Kahrs fragte, ob die Union nichts aus den 20er und 30er Jahren gelernt habe. Ein Bündnis aus zwölf jüngeren SPD-Abgeordneten hatte bereits am Dienstag mitgeteilt, dass Harder-Kühnel nicht wählbar sei.
Die Skepsis ist groß
SPD-Fraktionsgeschäftsführer Carsten Schneider sagte, es gebe kein Fraktionsvotum zu der Abstimmung. Aber die Wortmeldungen in der Fraktion seien „überwiegend“ so gewesen, dass mit Nein gestimmt werde. Auch in der Union ist die Abstimmung freigegeben. Wie Brinkhaus hat auch FPD-Fraktionschef Christian Lindner angekündigt, die Kandidatin zu wählen.
Er wolle der AfD keine Gelegenheit bieten, sich selbst als Märtyrer zu stilisieren. „Das hält der Deutsche Bundestag aus“, sagte Lindner mit Blick auf eine mögliche AfD-Vizepräsidentin. Auch in der FDP ist die Abstimmung freigegeben, einige Abgeordnete kündigten bereits an, nicht für Harder-Kühnel stimmen zu wollen.
Bei den Grünen ist die Skepsis ebenfalls groß. Die AfD-Frau sei Mitglied einer Partei, „die den Nationalsozialismus und die Schoah für einen Vogelschiss hält“, so der Abgeordnete Sven-Christian Kindler. Er werde deshalb bei der Wahl für das Amt der Vizepräsidentin des Bundestages gegen sie stimmen.
Die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, Britta Haßelmann, sagte, es gebe keine Empfehlung zum Abstimmungsverhalten der Fraktion. „Jeder Abgeordnete entscheidet für sich in geheimer und freier Wahl.“
Sie gilt als moderat
Auch bei den Linken ist die Abstimmung freigegeben. „Angesichts der Entwicklung der AfD in den letzten Monaten glaube ich nicht, dass sie eine Stimme aus meiner Fraktion bekommt“, so Jan Korte, der Parlamentarische Geschäftsführer.
Wenn ein großer Teil der Kritiker*innen allerdings nicht mit Nein stimmt, sondern sich enthält, könnte Harder-Kühnel gewählt werden. Denn anders als in den beiden ersten Wahlgängen reicht im dritten die einfache Mehrheit – Enthaltungen zählen also nicht.
Harder-Kühnel hat unterdessen an die anderen Abgeordneten appelliert, diesen „Königsweg“ der Enthaltung zu gehen. Bernd Baumann, der Parlamentarische Geschäftsführer der AfD, äußerte sich „gebremst optimistisch“. Harder-Kühnel habe Gespräche mit Mitgliedern aller Fraktionen mit Ausnahme der Linken geführt, sagte Baumann. Vorbehalte gegen sie als Person seien nicht formuliert worden. Die anderen Fraktionen wollten sich dazu nicht äußern. Über die Gespräche sei Stillschweigen vereinbart worden.
Die Familienpolitikerin Harder-Kühnel gilt innerhalb der AfD-Fraktion als vergleichsweise moderat, allerdings ohne jemals in den Konflikt mit den Partei-Rechtsaußen gegangen zu sein. Baumann kündigte an, wenn Harder-Kühnel durchfalle, werde die AfD-Fraktion eine Klage prüfen – und künftig in jeder Sitzungswoche eine Wahl anberaumen, „mit unterschiedlichen Personen“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
Kanzlerkandidat-Debatte
In der SPD ist die Hölle los
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Abschluss G20-Gipfel in Brasilien
Der Westen hat nicht mehr so viel zu melden
Verfassungsklage von ARD und ZDF
Karlsruhe muss die unbeliebte Entscheidung treffen