Wahl in Spanien: Empörte und Bürger
Zu viel gespart: Die Spanier sind unzufrieden mit den Volksparteien. Alternativen sind die rechten Ciudadanos und die linke Podemos.
Was nach dem Chef der neuen Antiausteritätspartei Podemos (etwa: Wir schaffen es), Pablo Iglesias, klingt, hat ein anderer Vorsitzender einer Protestpartei gesagt. Albert Rivera. Der 36-jährige Anwalt aus Barcelona ist Spitzenkandidat der Partei Ciudadanos (Bürger). Auch er streitet um die Stimmen derer, die von den etablierten Parteien enttäuscht sind, vom konservativen Partido Popular (PP) und dem Regierungschef Mariano Rajoy und der sozialistischen PSOE unter Pedro Sánchez. Rivera benutzt nicht nur die gleichen Parolen, er wettert wie Iglesias gegen Korruption, das verknöcherte politische System und fordert politische Reformen. Doch damit sind die vergleichbaren Elemente auch schon aufgezählt.
Anders als Podemos, die aus dem Umfeld der sogenannten „Empörten“ und den sozialen Protesten gegen die Sparpolitik entstand, ist die Partei Ciudadanos nicht neu. Sie wurde vor neun Jahren in Katalonien von einer Handvoll Intellektueller als Gegengewicht zu den Separatisten gegründet. Die Ciudadanos werben für ein zentralistisches Spanien. Der attraktive Rivera wurde zum Spitzenkandidaten. Er ließ sich nackt auf einem Plakat abbilden und zog auf Anhieb ins katalanische Autonomieparlament ein.
Nackt auf Stimmenfang
Ohne die Aufbruchstimmung, die Spanien vor eineinhalb Jahren nach dem überraschenden Einzug von Podemos ins Europaparlament erfasste, wären die Ciudadanos wohl eine regionale Partei geblieben. „Wir brauchen eine rechte Podemos“, warb ein Banker; die großen Medien des Landes griffen die Idee auf. Rivera redete vom „besonnenen Wandel“. Während sich Podemos mit Kleinstdarlehen und Spenden der Bürger finanziert, verfügen Ciudadanos über Millionenkredite. In Rekordzeit baute Rivera spanienweit Strukturen auf und profitierte dabei von Überläufern aus Reihen der großen Parteien.
Die Ciudadanos definieren sich als die neue politische Mitte und stoßen damit bei enttäuschten konservativen Wählern und am rechten Rand der Sozialisten auf Zuspruch. In Andalusien wurden sie vergangenen März zum Zünglein an der Waage und verhalfen den durch Korruption schwer angeschlagenen Sozialisten erneut an die Macht. Seit Mai stützen Ciudadanos die konservative PP in Madrid. Auch hier hatten die Wähler die Regierung für Korruption und Sparpolitik abgestraft.
Jetzt im Wahlkampf werden die Unterschiede zwischen Wandel und Wandel immer deutlicher. Rivera wirbt für mehr Eigenverantwortung und weitere Privatisierungen. Lehrer sollen künftig keine Beamten mehr sein. Er will die Arbeitslosigkeit mit einer weitgehenden Abschaffung des Kündigungsschutzes bekämpfen. Er verspricht Steuererleichterungen für Unternehmer und Besserverdienende sowie die Erhöhung der Mehrwertsteuer, während Podemos für mehr Sozialausgaben, Steuererhöhung für Großunternehmen und Großverdiener eintritt und steht für die Rücknahme von Sozialkürzungen und für eine langsamere Schuldenrückzahlung. Als einziger Kandidat unterstützt Rivera einen Kriegseinsatz in Syrien.
Ginge es nach Rivera, würde gar das Gesetz gegen häusliche Gewalt gegen Frauen abgeschafft, denn es sei egal, von wem die Gewalt ausgehe, ob von einem Mann gegen eine Frau oder umgekehrt. Der darauf folgende Aufschrei bis hinein ins konservative Lager war groß. Allein in diesem Jahr starben in Spanien 52 Frauen an den Folgen von häuslicher Gewalt. Sah es noch vor zwei Wochen so aus, als ob Rivera Ministerpräsident Rajoy gefährlich nahe kommen könnte, lassen solche Aussagen die Umfragewerte sinken.
Am Montag – dem letzten Tag, an dem Umfragen erlaubt waren – lag die PP mit knapp 25 Prozent an der Spitze. Die meisten Institute sehen dahinter ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen PSOE, Ciudadanos und Podemos um Platz 2. Während PSOE und Ciudadanos in der Wählergunst Punkte verlieren, legt Podemos seit Wochen langsam, aber sicher zu. Die Umfragen hatten die junge Partei Anfang des Jahres teilweise als stärkste Kraft gesehen. Doch als die Ciudadanos die politische Bühne betraten, orientierte sich ein Teil der Wähler bei ihrer Suche nach einer Möglichkeit um, die Altparteien abzustrafen. Podemos sank auf Platz 4.
„Aufholjagd“, rufen die Podemosanhänger denn auch auf den Wahlkampfveranstaltungen. Sie bekamen erneuten Rückenwind, nicht zuletzt wegen den beiden TV-Debatten, bei denen Podemos-Kandidat Pablo Iglesias am besten abschnitt. Seine sozialpolitischen Pläne sowie sein Versprechen, soziale Rechte, die Unabhängigkeit der Justiz und den Kampf gegen die Korruption in der Verfassung zu verankern, kommen an.
Erfolg kommt nicht an
Denn obwohl die Regierung makroökonomische Erfolge feiern kann, bei den Menschen kommt davon nur wenig an. Die Arbeitslosigkeit liegt mit offiziellen 22,5 Prozent kaum unter der Marke von vor vier Jahren. Und auch dies ist zu einem erheblichen Teil nur das Ergebnis des Rückgangs der aktiven Bevölkerung durch Abwanderung junger Spanier und Immigranten. Nur 5 Prozent der neuen Verträge sind unbefristete Vollzeitverträge. 27 Prozent der Spanier leben an oder unter der Armutsgrenze. 3,7 der 5,1 Millionen Arbeitslosen bekommen keine Stütze mehr.
Iglesias umgibt sich mit Unabhängigen, die seinem ansonsten jungen Team Gewicht verleihen sollen: Unter ihnen zahlreiche bekannten Aktivisten der Sozialproteste, eine Sprecherin des einflussreichen Demokratischen Richtervereins, ein Antikorruptionsrichter, ein ehemaliger Sprecher der Polizeigewerkschaft und selbst ein Exgeneralstabschef der spanischen Armee. „Die Besten aus der Gesellschaft“, bewirbt Iglesias seine Kandidaten.
Wenige Tage vor dem Urnengang steht nur eines fest. Spaniens Zweiparteiensystem ist Geschichte. Selbst wenn Rajoy die Wahlen gewinnt, wird seine PP rund ein Drittel der Stimmen und der Sitze im Parlament verlieren. Zum Regieren reicht es ohne Bündnis nicht. In einigen der letzten Umfragen kommen nicht mal PP und Ciudadanos zusammen auf eine Parlamentsmehrheit. Auf der anderen Seite kündigt Iglesias an, nur dann mit den Sozialisten zusammenzugehen, wenn Podemos vorn liegt. „Nur so ist ein Wandel möglich“, behauptet er.
Bleibt die Möglichkeit einer Koalition der beiden alten Parteien, PP und PSOE. Für sie werben der ehemalige sozialistische Regierungschef Felipe González und Vertreter aus der Wirtschaft, im Dienste der Stabilität und Fortführung der von Europa diktierten Sparpolitik. Denn die Krise ist längst nicht vorbei.
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