Wahl in Niedersachsen: Ohne Lehrer keine Inklusion
In Niedersachsen wird am 15. Oktober ein neuer Landtag gewählt. In dieser Serie widmen wir uns landespolitischen Themen, die wir für wichtig halten.
„Die Kinder leiden“, sagt sie. „Sie merken, dass sie nicht können, was andere können.“ Dann säßen sie frustriert im Klassenraum, gingen im schlimmsten Fall gar nicht mehr in die Schule. Lehmann ist nicht vollkommen gegen die Inklusion, wenn denn deutlich mehr Sonderpädagogen an den Schulen arbeiten würden. Die 57-Jährige unterrichtet auch an Regelschulen, aber die Förderschüler fielen dort oft hinten runter, weil es nicht genug Unterstützung für sie gebe.
In Niedersachsen stehen Grundschulen wöchentlich zwei Förderschulstunden pro Klasse zu. In den weiterführenden Schulen sind es drei Stunden, allerdings pro Kind. „Die Lehrer bemühen sich, die Kinder einzubinden“, sagt Lehmann. Gerade in größeren Klassen sei das aber nicht immer möglich. Auf der Förderschule könnten sie hingegen in ihrem eigenen Tempo lernen. „Und ein Selbstwertgefühl aufbauen.“
Die Sonderpädagogin ist dafür, die Förderschulen zu erhalten. „Man muss von Kind zu Kind entscheiden“, sagt sie. Laut niedersächsischem Kultusministerium sollen außer der Förderschule mit dem Schwerpunkt Lernen alle Förderschulen bleiben. Dort werden allerdings immer weniger Schüler angemeldet. Im Schuljahr 2016 besuchten 61,4 Prozent der Kinder mit Förderbedarf eine allgemeine Schule. „Diese starke Anwahl zeigt, dass die inklusive Schule großen Zuspruch von den Eltern und Schülern erhält, sagte Kultusministerin Frauke Heiligenstadt (SPD).
Allein im laufenden Haushaltsjahr 2017 steckte das Land 330 Millionen Euro in die Inklusion. Gerade kündigte Heiligenstadt an, dass 650 pädagogische Fachkräfte eingestellt werden sollen, um die Inklusion an den Schulen zu unterstützen. Das können zum Beispiel Erzieher oder Logopäden sein. Die Ministerin setzt auf multiprofessionelle Teams, die die Kinder gemeinsam betreuen.
Die Lehrergewerkschaft GEW hält das für richtig. Die Inklusion sei in Niedersachsen trotz der bisher zu knappen Ressourcen auf einem guten Weg, sagt GEW-Mann Holger Westphal. Zwar gebe es bisher zu wenig Stunden mit Sonderpädagogen in den Klassen, doch „eine Atempause wäre die größte Bedrohung für die Inklusion“. Statt das gemeinsame Lernen zu stoppen, will die GEW auch die übrigen Förderschulen abschaffen. Dort seien die dringend benötigten Sonderpädagogen gebunden, sagt Westphal, der selbst Förderschullehrer ist.
Bemerkenswert sei, dass es trotz fehlender Stellen viele Beispiele für gelungene Inklusion gebe, sagt der Sonderpädagoge Martin Negel. Die Hauptschule in Wallenhorst sei so ein Beispiel. Vor fast zehn Jahren wurden hier auf Druck der Eltern die ersten Kinder inklusiv beschult. Heute haben von den 180 Schülern 38 einen Unterstützungsbedarf. Die Schule hat sich spezialisiert. „Wir werben gezielt um die Schüler“, sagt Negel.
Weil viele Schüler mit Handicap da sind, kann die Schule die Förderstunden bündeln. So sei der Unterricht in den Kernfächern mit zwei Lehrkräften besetzt. Nur in Fächern wie Kunst, Musik oder Religion unterrichtet ein Lehrer allein. Das Konzept sei erfolgreich. „Über 50 Prozent der Förderschüler machen einen Hauptschulabschluss“, sagt Negel.
Trotzdem sieht auch Negel das Problem mit den geringen Ressourcen. Ist in einer Klasse nur ein Schüler mit Lernbehinderung, kommt nur für drei Stunden in der Woche ein Sonderpädagoge, um dieses Kind zu fördern. „Mindestens sechs Stunden müssten es sein“, sagt der Lehrer. Es sei deshalb sinnvoll, mehrere Kinder mit Behinderung in einer Klasse zu unterrichten – oder gleich Schwerpunktschulen wie in Wallenhorst zu entwickeln.
*Name geändert
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