piwik no script img

Wahl der neuen Labour-ParteiführungDer Rebell wird zum Chef

Er startete als Außenseiter, jetzt steht er an der Spitze seiner Partei: Jeremy Corbyn konnte sich deutlich gegen die RivalInnen aus dem New-Labour-Lager durchsetzen.

Jeremy Corbyn, nachdem sein Sieg bei der Wahl der Parteispitze verkündet worden war. Foto: reuters

London/Berlin dpa/taz | | Der Labour-Abgeordnete Jeremy Corbyn ist neuer Vorsitzender der britischen Sozialdemokraten. Er erhielt bereits in der ersten Runde fast 60 Prozent der Stimmen, wie die Partei am Samstag in London mitteilte. Der 66-Jährige sitzt seit 1983 für den Londoner Wahlkreis Islington North im britischen Unterhaus.

Vier Kandidaten waren im Rennen um die Nachfolge von Ed Miliband, der nach der verlorenen Parlamentswahl im Mai zurückgetreten war. Rund 554.000 Labour- und Gewerkschaftsmitglieder sowie erstmals auch registrierte Unterstützer der Partei waren stimmberechtigt. Zum Vize-Parteichef wählten sie den Abgeordneten Tom Watson.

Der als linker Parteirebell bekannte Corbyn galt zunächst als chancenlos, überzeugte in der vergangenen Wochen aber vor allem junge Wähler von sich und avancierte zum Favoriten. Er fordert ein Ende des Sparkurses der Regierung, höhere Steuern für Reiche und die Abschaffung der britischen Atomwaffen.

In seiner ersten Rede nach Verkündung seines Wahlsiegs erklärte Corbyn, dass Großbritannien eine Wirtschaftspolitik brauche, die das groteske Maß an Ungleichheit innerhalb er britischen Gesellschaft beseitigen helfe. Direkt gegen die Abschottungspolitik der regierenden Konservativen gerichtet, mahnte er zu einem menschlicheren und verantwortungsvolleren Umgang mit den nach Europa kommenden Flüchtlingen. Die Labour-Partei selbst, so Corbyn, müsse inklusiver und demokratischer werden.

Corbyn hat viele Gegner in seiner Partei, die ihn für rückwärtsgewandt und ungeeignet als Premierminister halten. Diese sahen aber in den vergangenen Tagen zunehmend ihre Hoffnung schwinden, dass eine/r der drei anderen MitbewerberInnen um das höchste Parteiamt auf den letzten Metern doch noch an Corbyn vorbeiziehen würde. Tatsächlich landeten sie weit hinter ihm: Andy Burnham erreichte 19 Prozent, Yvette Cooper kam auf 17 und Liz Kendall erhielt gerade mal 4,5 Prozent der Stimmen.

Sturgeon hofft auf zweites Referendum

Die Frage ist, ob Corbyn es in den nächsten Monaten vermag, die Parlamentsfraktion der Labour-Party hinter sich zu bringen. Besonders hier ist die Ablehnung seiner Positionen groß. Es wird schwierig für ihn werden, auf Loyalität zu bestehen, da Corbyn in der Vergangenheit selbst wie kein zweiter Abgeordneter gegen die Mehrheit der Fraktion abgestimmt hatte.

Einen ersten offenen Dissidenten gibt es schon: Kurz nach der Wahl Corbyns zum Parteiführer trat der Labour-Parlamentarier Jamie Reed von seinem Posten als Gesundheitsminister des Schattenkabinetts zurück. Er begründete dies mit seiner Befürchtung, dass Labour unter Corbyn auf keinen Fall wieder an die Macht gelangen würde und mit der Haltung des neuen Chefs zur Atomenergie. Der Schritt ist rein symbolischer Natur, da das Schattenkabinett nach der Neuwahl der Parteispitze sowieso neu aufgestellt wird. Ob dies per Wahl erfolgt, wie aus den Reihen der Fraktion gefordert, oder per Ernennung durch den Parteichef, ist derzeit noch offen, trotz der Demokratisierungsbekundungen Corbyns.

Gratulation und die Zusage der Unterstützung bekam Corbyn dagegen von Exparteichef Ed Miliband, der aber keinen Platz im Schattenkabinett anstrebt. Sowohl die Grünen-Parteivorsitzende Natalie Bennett als auch Schottlands Regierungschefin, die SNP-Chefin Nicola Sturgeon boten Corbyn ihre Kooperation an. Letztere sprach sogar die Hoffnung aus, der neue Labour-Parteichef würde den Weg zu einem zweiten Unabhängigkeits-Referendum in Schottland ebnen helfen. Glückwünsche erhielt Corbyn auch vom Chef der spanischen Podemos-Partei Pablo Iglesias.

Schon am Freitag hatte die Labour-Party in London die Wahl ihres Kandidaten für das Bürgermeisteramt der britischen Hauptstadt verkündet. Hier machte der Londoner Unterhausabgeordnete Sadiq Khan das Rennen. Der Sohn eines aus Pakistan eingewanderten Busfahrers konnte sich gegenüber der als Favoritin gehandelten und weiter rechts stehenden Tessa Jowell durchsetzen, die Ministerin in den Regierungen von Tony Blair und Gordon Brown war.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

11 Kommentare

 / 
  • Mal keine Angst: Auch ein englischer Tsipras wird einknicken, wenn er plötzlich "dazugehört".

  • Grundsätzlich sollte getrennt werden zwischen der Haltung zu Russland und der Haltung zu Israel und den islamistischen Terrorgruppen à la Hamas. An dieser Frage bzw. Fehlhaltung scheitern ja leider auch die deutschen Linken, die reflexhaft Israel mit den USA zusammenfassen und deswegen entweder Israels Feinde lieben oder Israel und die USA blind vergöttern (Antideutsche).

     

    Zu Syrien hat Israel als direkter Nachbar und ggf. Kriegskonfliktbetroffener eine viel differenziertere Haltung als NATO/USA/EU, die sich auf die Beseitigung Assads um jeden Preis eingeschossen haben. Um das zu verstehen, müsste man sich mit dem weiten Spektrum israelischer Meinungen und Stimmen befassen und sich nicht auf die anekdotische Evidenz einiger Hardliner berufen.

    Auch in der neuerlichen Annäherung des Westens an den Iran sieht Israel Probleme, denn die Vernichtungsdrohungen des Iran gegen Israel sind mitnichten zurückgenommen worden und die Unterstützung der Hizbollah dauert weiter an. Hier sieht man, dass die globalen Interessen des Westens, nämlich mit dem Wiederauflebenlassen der Wirtschaftsbeziehungen zum Iran einerseits den Einfluss Russlands dort zurückzudrängen, anderseits westlichen Konzernen in diesem an sich reichen Land wieder Umsätze zu verschaffen, Erdöl zu sichern und längerfristig militärstrategische Positionen zu sichern.

     

    Was Russland angeht, so muss einmal mehr das völlige Versagen der klassischen Diplomatie beklagt werden, die selbst zu Zeiten des eisernen Vorhangs noch besser klappte als jetzt.

     

    Man muss wirklich kein Putin-Fan sein, aber das Land hat auch in der taz eine differenziertere Berichterstattung verdient, als wir sie derzeit überall lesen. Steht die Sonne wirklich schon so tief, dass der Schatten des Springer-Hochhauses bis in die taz-Redaktion und in die Köpfe der Leserschaft reicht?

  • Auf den erste Blick ist zu begrüßen, dass ein linker Labour vorstehen wird. Hier mal ein Blick auf die Schattenseite:

    - er äußert sich positiv zu Russia Today

    - er ruft zum Boykott Isreals auf

    - er dichtet der Hamas und der Hezbollah an es nur gut mit dem Palästienser_innen zu meinen

    - ...

    Er ist ein Antiimp alter Schule und ich befürchte die oben aufgeführten Punkte werden manche gar nicht als Argumente gegen ihn sehen.

    • @maxxx:

      Ist Antiimperialismus 2015 weniger richtig als 1968?

    • @maxxx:

      Es gab auch vor 1998, also dem neoliberalen Schwenk von rot-grün, Haltungen, welche die Welt durch eine offenere Brille und nicht durch Sehschlitze aus 17 Jahren Alternativlospropaganda betrachten.

      Hier gilt es anzusetzen und nicht das tote Pferd weiter zu reiten.

       

      Leider reitet Corbyn mit seinen Oldschool-Ansichten längerfristig auch nur ins politische Scheitern, dazu bräuchte es noch nicht einmal die derzeitige Medienhetze aus dem konservativ-neoliberalen Lager.

  • Corbyn läuft Gefahr, dass sich die britische Presse auf ihn einschießt, aber das könnte ihm wohl auch egal sein, schließlich macht er Punkte - so oder so. Cameron ist so ignorant und dem normalen britischem Volk so abgewandt, dass Corbyn schon bald im Zentrum stehen wird. Fragt sich nur, ob Labour damit auch in die Nähe der Macht kommt. Er könnte auch unfreiwillig die Angst vor einer durchgeknallten Labour-Linken hervorbringen - die loony Left. Tatsache ist aber, dass seine Analyse schwer zu widerlegen ist: Großbritannien ist ein tief gespaltenes, teilweise dramatisch verarmtes Land ohne Aussicht auf Ausgleich.

  • NA ENDLICH

    Es hat mich schon lange angekotzt, dass linke Parteien von rechtsliberalen Parteiführern dominiert werden. Endlich ein linker Parteichef in einer linken Partei. Links ist eben die einzige Alternative zu Rechts.

  • Die neoliberale Margaret Thatcher, der auch Tony Blair und Gerhard Schröder huldigten, erklärte inbrünstig: "There is no such thing as society !" (Es gibt keine Gesellschaft !) Freilich. Die Gesellschaft ist kein Lebewesen, läuft nirgends draußen herum. Lebewesen sind allesamt Individuen. Mit mehr oder weniger gesellschaftskonformen Partikularinteressen.

     

    Aber wir Menschen brauchen die Gesellschaft, sind nun mal Gesellschaftswesen. Würde stimmen, dass es keine Gesellschaft gibt, warum soll es dann einen Staat geben ? Oder einen Markt ? Oder eine Börse ? Das sind ALLES keine Lebewesen, genau wie die Gesellschaft, und laufen demzufolge nirgends draußen herum.

     

    Thatcher hat sich wohl auf Thomas Hobbes bezogen, der behauptete, es gebe NUR den Unterwerfungsvertrag unter einen "Leviathan"-Diktator-Staat (weil der Mensch dem Menschen ein Wolf sei, "homo homini lupus"), aber keinen Gesellschaftsvertrag. Der Genfer Jean-Jacques Rousseau widersprach Hobbes, erklärte, es gebe NUR den Gesellschaftsvertrag ("contrat social"), da sich niemand unterwerfen wolle, erst recht nicht einem Diktator (einem Ober-Wolf, etwa namens Adolf Hitler oder Stalin oder Thatcher).

     

    Jeremy Corbyn mahnt völlig zurecht mehr Gesellschaft statt Individualismus an. Meinen Glückwunsch.

  • Corbyn. Finde ich gut.

  • 1G
    10236 (Profil gelöscht)

    Thumbs up!

     

    Jetzt fangen die auf neoliberal getrimmten Medien den Jeremy Corby zu allem zu stilisieren was Ihnen gerade passt: Wirtschaftsignorant, Antisemit, Terroristenfreund, halbseniler Leninimitator etc. Die Verunglimpfung als Argument - das haben wir schon bei Varoufakis erlebt.

  • 6G
    64938 (Profil gelöscht)

    Egal ob Corbyn nun der nächste PM wird oder nicht - die Labour Mitglieder haben gezeigt, das sie aus der Katastrophe der vergangenen Jahre etwas gelernt haben. Und sie zeigen Mut zur Veränderung. Immerhin haben Sie mit Corbyn ja nicht gerade ein politisches Weichei gewählt.

    Das macht Mut. Daran sollten sich auch die verbleibenden Linken in der SPD ein Vorbild nehmen.

    Ja, man kann mit den neoliberalen Parteichefs brechen, man kann ihre Entscheidungen kritisieren und ggfls auch wieder rückgängig machen.

    Go, Labour, go!