Wagner-Aufstand in Russland: Frankenstein und sein Monster
Prigoschins Ein-Tages-Aufstand demütigt Putin. Das Projekt, das der russische Präsident erst groß machte, entblößt die Ohnmacht dieses Präsidenten.

Z urück bleiben nur noch die Abdrücke der Militärfahrzeuge im Asphalt, die eilig wieder zugeschütteten Gräben auf den Wegen nach Moskau und das absurde Bild eines Panzers, der im Tor eines Zirkus feststeckt. So plötzlich, wie der Aufstand des bewaffneten und selbstständig gewordenen Feldherrn Jewgeni Prigoschin mit seiner Söldnertruppe Wagner in Russland angefangen hatte, so schnell ging die Meuterei 200 Kilometer vor Moskau auch zu Ende. Scheinbar. Denn das Monster, das der russische Präsident Wladimir Putin erschaffen hatte, hat sich gegen ihn gewendet – und den sich als mächtig Inszenierenden demaskiert. Ein Barbar entblößt ein barbarisches System.
Zu Ende ist mit dem Deal, den Prigoschin mit dem belarussischen Diktator Alexander Lukaschenko ausgehandelt hat, gar nichts. Es fängt erst an. Wenn auch mit allerlei ungeklärten Fragen: Warum Lukaschenko? Warum ein Deal, wenn Putin Prigoschin doch wenige Stunden zuvor als Verräter bezeichnet hatte und in seinen Augen „Verrat“ nur mit dem Tod zu bestrafen ist? Warum Straffreiheit für die Männer, die eine Schneise aus Tod und Verderben nach sich ziehen, während andere für hochgehaltene leere Zettel in die Strafkolonien kommen?
Wieso holt sich ein Staat, der sich seiner Unabhängigkeit und seiner Souveränität rühmt und mit solchen Schlagwörtern gar ein anderes Land überfällt, Hilfe bei einem ausländischen Staatschef, um eigentlich innerrussische Querelen, denen es monatelang ruhig zugeschaut hat, zu lösen? Und was ist aus Prigoschins Hauptforderung geworden, den Verteidigungsminister Sergei Schoigu von seinem Posten zu jagen?
Öffentliche Schmach für Putin
Putin hat – sichtbar für alle – seine Schwäche gezeigt. Sichtbar auch für seine Elite, die sich zunehmend fragen dürfte, wohin sie es mit dem Mann an der Spitze noch bringen werde. Es gibt viele in Russland, die den Krieg in der Ukraine an sich verabscheuen und seine Auswirkungen lieber nicht hätten. Doch sie machen mit, sie stützen die Führungsspitze, sie rechtfertigen – und sagen, dass ein Sieg her müsse, jetzt, wo sie nun in dem Schlamassel steckten.
Das Schlamassel aber wird nur noch größer. Die Angst vor dem Oberbefehlshaber könnte weichen, es könnten sich Gruppierungen formieren, die mehr Gewicht in der Gesellschaft haben, als es Prigoschin, trotz aller Sympathien für sein brutales Vorgehen, je hatte.
Die Gefahr für Putins System ist durch fragwürdige Abmachungen nicht gebannt. Zumal der russische Präsident Abmachungen mit „Verrätern“ für keine Abmachungen hält. Um seine Macht nach der öffentlichen Schmach zu halten, dürften die Repressionen – in der Gesellschaft, aber auch in der Elite – zunehmen. Das Monster scheint zwar verjagt, aber es hinterlässt seine monströsen Spuren.
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