Wagenplätze in Leipzig: Einheizen für die Unabhängigkeit
Im Winter bestimmt der Ofen den Rhythmus in der Wagenburg. Sehnsucht nach einer Wohnung kommt dennoch nicht auf. Ein Besuch.
Um welchen der knapp 20 Wagenplätze in Leipzig es sich handelt, soll nicht genannt werden. „Das müsste erst im Plenum besprochen werden“, sagt ein Bewohner. Private Geschichten seien aber okay. Siegrun und Samdi gewähren gerne Eintritt in ihr kompaktes Reich, das sich durch Treppe, Wand und Vorhang in Küche, Wohnstube und Schlafzimmer gliedert.
An diesem kalten Februartag liegt Siegrun, 41 Jahre alt, krank im Hochbett, trinkt Ingwertee mit Zitrone und Honig und beobachtet durch das aus Fenstern bestehende Dach wie Birkenzweige im Wind schwingen. Es ist ihr erster Winter ohne feste Wohnung. Vor einem Dreivierteljahr ist sie zu Samdi auf den Wagenplatz gezogen, der seit neun Jahren dort lebt und neun Jahre älter ist als sie. Ihre Kinder, zehn und zwölf Jahre alt, wohnen eine Woche bei ihr, eine Woche beim Vater.
Zuvor hatte Siegrun mit dem Gedanken gespielt aufs Land zu ziehen, um näher an der Natur zu sein. Aber dann hätte ihr die Stadt gefehlt, mit allem, was sie zu bieten hat. „Hier habe ich beides und das zu einem Bruchteil meiner früheren Miete“, sagt sie. Nach der Trennung vom Vater ihrer Kinder hat Siegrun in einer Zweizimmerwohnung gelebt, Sohn und Tochter haben sich ein Zimmer geteilt. „Eine größere Wohnung hätte ich mir nicht leisten können.“
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Eine Kindheit auf dem Wagenplatz
Siegrun ist selbstständig und unterstützt psychisch kranke Menschen im Alltag, allerdings nicht in Vollzeit. „Lebensqualität hat nix mit Geld zu tun“, sagt sie. Zeit haben ist ihr viel wichtiger – Zeit für ihre Kinder, Zeit für ihren Freund, Zeit, um Geige zu üben.
Auf dem Wagenplatz hat jedes Kind nun einen eigenen Wagen. Das war Siegruns Bedingung und die Kinder finden das toll. Und dass sie jederzeit auf dem Platz herumstromern können, Hütten bauen, mit den Hunden spielen. Eine Kindheit wie in den Achtzigern. Schade nur, finden sie, dass es kaum Kinder im selben Alter gibt – die einen sind viel jünger, die anderen viel älter. Also bringen sie ihre Klassenkameraden mit, die sich auch eher für kleine Abenteuer als für Computerspiele interessieren.
Wagenplatzbewohnerin Siegrun
Auf den Wagenplatz zu ziehen sei eine gute Entscheidung gewesen, sagt Siegrun. „Seit ich hier wohne, ist eine Sehnsucht in mir still geworden.“ Hier sei man unmittelbar an den Dingen dran: Man muss etwas dafür tun, damit es warm wird oder dass es Wasser gibt.
Das meiste Holz für diesen Winter haben sie von einem Handwerker geliefert bekommen, den Siegrun auf einer Baustelle angesprochen hat. „Der hätte sonst 40 Euro pro Container für die Entsorgung zahlen müssen.“ So hatten beide etwas davon. Damit der Ofen nachts nicht ausgeht, muss alle paar Stunden Holz nachgelegt werden. „Man muss öfter mal raus, weil man nicht alles im Wagen lagern kann, das ist im Winter wie eine kalte Dusche, aber da helfen Poncho und Croqs“.
Gemeinschaftstrockenklo für die Unkompliziertheit
Das Wasser müssen Siegrun und Samdi kanisterweise holen, und wer das muss, reduziert sich automatisch. Das Geschirr spült Siegrun einmal in der Woche, gebadet wird einmal in der Woche in einem Gemeinschaftshaus mit Wanne und Badeofen, für Katzenwäsche steht im Wagen eine Emailleschüssel bereit.
In eine ordinäre Wohnung mit Wasserspülung statt Gemeinschaftstrockenklo wünscht Siegrun sich nicht zurück. „Vieles funktioniert hier unheimlich gut“, sagt sie. Sie genießt die Unkompliziertheit, den spontanen Austausch bei Kaffee, Mittagessen oder Bier, die vielen kleinen Begegnungen auf dem Platz. „Das Einzige, was ich schade finde, ist, dass ich mein Klavier nicht mitnehmen konnte. Das hätte sich wegen der starken Temperaturunterschiede schnell verstimmt.“
Wenn es wärmer wird, möchte Siegrun sich einen eigenen Wagen ausbauen. Auf Dauer ist es zu zweit in einem Wagen schon sehr eng. „Bei Konflikten kann man sich kaum aus dem Weg gehen.“ Im Winter noch weniger als im Sommer.
Fünf Jahre Wagen statt Wohnung
Ein paar Wagenplatzwinter mehr in den Knochen hat der 28 Jahre alte Nele. Er ist vor fünf Jahren hergezogen, um seine Wohnung gegen einen Wagen einzutauschen. Seit drei Jahren arbeitet er freiberuflich als Zirkuspädagoge. Am Leben auf dem Wagenplatz reizt ihn die Unabhängigkeit. „Dass ich einen eigenen Raum habe, den ich selbstbestimmt gestalten kann, aber auch die Gemeinschaft habe.“ Vor einiger Zeit ist auch seine Freundin auf den Platz gezogen. „Wie doll man sich einbringt, liegt an jedem selbst.“ Man könne auch viel Zeit alleine verbringen, wenn man das will.
Der erste Schritt in diese Unabhängigkeit war ein Praktikum bei jemandem, der Wagen ausbaut. Den Wagen, in dem Nele lebt, hat er sich bis auf das Fahrgestell selbst gezimmert. Reine Arbeitszeit: etwa vier Monate.
Was die Aufteilung angeht, könnten sich Mikroapartment-Ausstatter etwas abschauen. Ohne dass es vollgestellt wirkt, finden im rechten Teil eine Schrankwand, Bett, Computertisch und ein Hängesessel Platz, im linken Teil Esstisch, Ofen und die Küchenzeile mit Herd, Kühlschrank und fließendem Wasser, das man per Pedal aus einem Kanister in die Spüle pumpt. Zwei 25-Liter-Kanister reichen Nele etwa anderthalb Wochen.
Den Ofen befeuert er seit etwa zwei Monaten durchgängig. Gegen 23 Uhr legt er das letzte Mal Holz oder Holzbriketts nach. Nach etwa vier Stunden geht der Ofen dann aus. „Morgens habe ich noch zehn Grad im Wagen.“ Mit Kohlebriketts würde der Ofen die Nacht über durchhalten. „Aber im Plenum haben wir beschlossen: Keine Kohle wegen der Luft.“ Das tägliche Anheizen mache ihm nichts aus. „Nur wenn man krank ist, ist es etwas hart.“ Das Einzige, was Nele manchmal abgeht, ist ein größerer Raum zum Jonglieren. „Ansonsten vermisse ich nichts.“
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