Waffenruhe und Chemiewaffen in Syrien: Russland kündigt Feuerpause an
Trotz eines UN-Beschlusses tobt in Syrien die Gewalt weiter. Assad-Einheiten sollen wieder Chemiewaffen eingesetzt haben.
Damaskus/Moskau dpa/epd Russland hat tägliche Feuerpausen für die umkämpfte Rebellenenklave Ost-Ghuta in Syrien angekündigt, die von Dienstag an gelten sollen. Täglich von 9 bis 14 Uhr Ortszeit sollten in dem Vorort von Damaskus die Waffen schweigen, sagte Verteidigungsminister Sergej Schoigu am Montag in Moskau. Präsident Wladimir Putin habe seinem Militär diesen Auftrag erteilt. In der genannten Zeit solle ein Korridor geöffnet werden, damit eingeschlossenen Zivilisten die Stadt verlassen können.
Der UN-Sicherheitsrat hat für Ost-Ghuta eine Waffenruhe von 30 Tagen gefordert. Ähnliche humanitäre Feuerpausen hatte es 2016 auch in Aleppo gegeben, ohne dass sich letztlich an der Rückeroberung der Stadt durch syrische Regierungstruppen etwas änderte.
Doch trotz der Forderung des UN-Sicherheitsrates gehen die heftigen Angriffe auf das belagerte Rebellengebiet Ost-Ghuta weiter. Die lokale Gesundheitsbehörde und Aktivisten warfen den Truppen der Regierung sogar einen Angriff mit Giftgas vor, bei dem ein Kind ums Leben gekommen sei.
Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte meldete am Montag zehn Tote bei Bombardierungen aus der Luft und Artilleriebeschuss.
Russland hatte härtere Resolution verhindert
UN-Generalsekretär António Guterres und der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Said Raad al-Hussein, riefen die syrische Regierung in Genf auf, die Feuerpause umgehend umzusetzen. „Es ist höchste Zeit, die Hölle auf Erden dort zu beenden“, sagte Guterres. Konfliktparteien hätten grundsätzlich die Verpflichtung, die Menschenrechte der Zivilbevölkerung zu achten: „Auch der Kampf gegen den Terrorismus macht diese Verpflichtung nicht überflüssig.“
Al-Hussein kritisierte die Vetomächte im UN-Sicherheitsrat, die wichtige Resolutionen zum Schutz der Zivilbevölkerung verhindern. „Sie müssen sich letztlich vor den Opfern verantworten“, sagte er.
Syriens enger Verbündeter Russland hatte im Sicherheitsrat zuvor eine härtere Version der Resolution verhindert. Die UN-Resolution fordert eine 30-tägige Waffenruhe für ganz Syrien, nimmt aber die Bekämpfung von Terrorgruppen wie den syrischen Al-Kaida-Ableger aus. Dieser ist neben anderen Milizen in Ost-Ghuta aktiv.
Das Gebiet erlebt seit mehr als einer Woche eines der schlimmsten Angriffswellen seit Ausbruch des Bürgerkriegs vor fast sieben Jahren. Nach Angaben der Menschenrechtsbeobachter kamen in den vergangenen acht Tagen mehr als 500 Zivilisten ums Leben. Die Region nahe der Hauptstadt Damaskus ist eines der letzten Gebiete Syriens in Rebellenhand. Dominiert werden diese von islamistischen Gruppen.
„Elementarste Regeln der Menschlichkeit verletzt“
Das Gebiet wird seit 2013 von Regierungstruppen belagert. Rund 400 000 Menschen sind fast vollständig von der Außenwelt abgeschnitten. Die humanitäre Lage ist Helfern zufolge dramatisch.
Bei einem Angriff mit Chlorgas auf den Ort Al-Schafuniah seien am Sonntagabend auch 18 Menschen verletzt worden, meldete die lokale Gesundheitsbehörde in Ost-Ghuta. Sie hätten Symptome gehabt, die typisch für Chlorgas seien. Die Beobachtungsstelle für Menschenrechte meldete, ein Kind sei nach einem Angriff erstickt. 14 weitere Menschen litten demnach unter Atemproblemen. Eine Bombardierung mit Chlorgas bestätigte die Beobachtungsstelle zunächst nicht.
Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn zeigte sich entsetzt über Berichte über einen Chemiewaffeneinsatz in Ost-Ghuta. In der Region werde gegen die elementarsten Regeln der Menschlichkeit verstoßen, sagte er am Rande eines EU-Außenministertreffens in Brüssel. Es sei eine Schande, wie dort mit den Menschen umgegangen werde. „Wir sind wieder im Mittelalter, im tiefen Mittelalter“, sagte Asselborn. Es gebe „Gewalt, nur Gewalt“. Die EU-Außenminister berieten am Montag über die Lage in dem Bürgerkriegsland.
Aktivisten und Helfer in Rebellengebieten hatten den Regierungstruppen seit Anfang des Jahres mehrfach den Einsatz von Chlorgas in der Provinz Idlib und in Ost-Ghuta vorgeworfen. Auch die investigative Internetplattform Bellingcat kam zu dem Ergebnis, Ost-Ghuta sei mit Chlorgas angegriffen worden. Syriens Regierung wies die Vorwürfe zurück. Es gebe keine Beweise für die Behauptungen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste