Wadephul in kritischer Mission: Von wegen „aus einem Guss“
Die europäischen Nato-Staaten versuchen sich in Solidarität mit der Ukraine und als Sparrings-Partner gegen Trump. Mittendrin: Außenminister Wadephul.

Möglicherweise soll dieser später aus dem noblen Badeort Belek an der türkischen Riviera weiter nach Istanbul reisen. Es ist vieles im Fluss rund um das informelle Treffen der Nato-Außenminister*innen in der Türkei. Auch das Quint-Format wurde erst spät auf die Tagesordnung gesetzt. Der Bedarf, sich auszutauschen, ist groß.
Tagelang sah es so aus, als könne es zeitgleich, nur 700 Kilometer entfernt, in Istanbul, zu einem vielleicht historischen Treffen kommen. Am Wochenende hatte Russlands Präsident Wladimir Putin selbst direkte Verhandlungen mit der Ukraine vorgeschlagen – und lange offen gelassen, wer für die russische Seite daran teilnehmen wird. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj reiste in die Türkei. Putin dagegen sagte schließlich ab und schickte nur noch die dritte Reihe.
Wadephul will Führung zeigen
Der deutsche Außenminister Wadephul hatte schon am Morgen eine Schlagzeile produziert. Noch bevor das Treffen der Nato-Außenminister*innen beginnt, tritt er kurz vor die Presse, das ist so üblich. Doch Wadephul will offensichtlich eine Nachricht setzen: Er stellt sich hinter die Forderung des US-amerikanischen Präsidenten Donald Trump, die Verteidigungsausgaben in den Mitgliedstaaten des Militärbündnisses auf 5 Prozent des Bruttoinlandprodukts zu erhöhen. „Wir folgen ihm da“, sagt Wadephul. Deutschland sei bereit und in der Lage, die Verpflichtungen zu erfüllen. „Wir haben unsere Verfassung geändert und die Möglichkeit, die Verteidigungsausgaben zu tätigen, die nötig sind.“ Deutschland könne Vorbild sein.
Wadephul, das ist klar, will Führung zeigen. Und Trump auch mit dieser Zusage in der Nato halten, was wiederum Russland abschrecken soll. Die Nachricht läuft schnell als Eilmeldung über die Agenturen.
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Johann David Wadephul, 62, CDU, ist seit anderthalb Wochen neuer Außenminister, und übernimmt das Amt in krisengeschüttelten Zeiten. Wadephul ist deshalb bereits nach Warschau und Paris, nach Kyjiw, Israel und ins Westjordanland gereist, in London hat er am sogenannten „Weimar plus“-Treffen teilgenommen. An diesem Donnerstag trifft er erstmals auf seine 31 Amtskolleg*innen der Nato-Mitgliedstaaten. Bei dem informellen Treffen soll der Nato-Gipfel Ende Juni in Den Haag vorbereitet werden. Dann sollen die neuen Verteidigungsausgaben beschlossen werden. Möglicherweise steht das ganze Bündnis auf dem Spiel.
Abgrenzung von Baerbock
Wadephul unterscheidet sich deutlich von seiner Vorgängerin, der Grünen Annalena Baerbock, nicht nur weil er fast 20 Jahre älter, ein Mann und Christdemokrat ist. Wadephul ist ein eher sachlicher, nüchterner Typ, manche nennen ihn blass. Mit feministischer Außenpolitik – die seine Vorgängerin hochgehalten hat – kann er nicht viel anfangen, im Bundestag kündigte er eine „grundnüchterne Orientierung an unseren Interessen als Deutsche und Europäer an“. Seit vielen Jahren macht der Jurist und Oberstleutnant der Reserve Außen- und Sicherheitspolitik, zuletzt als stellvertretender Vorsitzender der Unionsfraktion. Nicht nur bei Parteifreunden wird er als einer geschätzt, der sich inhaltlich auskennt. Und anders als Baerbock will er mit dem Kanzler an einem Strang ziehen.
Erstmals seit fast 60 Jahren kommen Außenminister und Kanzler wieder aus der selben Partei. „Aus einem Guss“ solle die Außenpolitik jetzt sein, das wird Wadephul nicht müde zu betonen; außerdem ist der Mann aus Schleswig-Holstein für seine Loyalität bekannt. Viele stellen sich deshalb die Frage, wie viel Platz überhaupt für Wadephul bleibt. Friedrich Merz will einen Schwerpunkt seiner Kanzlerschaft auf die Außenpolitik legen, im Kanzleramt soll ein Nationaler Sicherheitsrat entstehen – das schwächt das Auswärtige Amt und seinen Minister.
Mit dem Aufschlag in Belek aber hat Wadephul erst einmal Furore gemacht – und sich selbst ein bisschen bekannter. Am Nachmittag kommt dafür Lob vom Nato-Generalsekretär. Deutschland übernehme „eindeutig die Führung“, darüber sei er „sehr froh“, sagt Rutte vor der versammelten internationalen Presse.
Druck auf europäische Nato-Staaten steigt
Bei dem Treffen der Nato-Außenminister*innen steht neben dem Krieg in der Ukraine die Erhöhung der Verteidigungsausgaben ganz oben auf der Agenda. Rutte hat dazu als Ziel bis 2032 ausgegeben: 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigungsausgaben plus 1,5 Prozent für Infrastruktur mit Verteidigungsbezug – was auf Straßen, Schienen und Brücken fast immer zutrifft. Es sind diese Zahlen, auf die sich auch Wadephul bezieht. Sie sollen inhaltlich hergeleitet sein, machen aber zusammen auch genau fünf Prozent, so wie Trump es gefordert hat.
Die USA fordern von den Europäern eine solche Erhöhung schon lange. Schon Ex-Präsident Barack Obama machte Druck. Wegen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine erscheint sie jetzt umso dringlicher. Und auch, weil sich Europa unter Trump auf den Schutz durch die USA nicht mehr verlassen kann. Doch davon will Wadephul in Belek nichts wissen. Am Morgen hat er sich zunächst mit Marco Rubio getroffen, dem US-Außenminister. „Wir haben eine fast vollständige Übereinstimmung in allen wichtigen Fragen, nicht nur die Nato, sondern auch die weltpolitische Lage betreffend“, sagt Wadephul. „Das ist sehr erfreulich.“ Er gehe davon aus, dass auch in den USA über weitere Sanktionen gegen Russland nachgedacht wird. „Insofern: Die USA und Europa lesen vom selben Blatt.“
Bereits am vergangenen Wochenende musste man das stark bezweifeln. Erst unterstützte Trump Merz und seinen französischen, britischen und polnischen Regierungskollegen, die gemeinsam nach Kyjiw gereist waren, eine Waffenruhe von Putin forderten und mit neuen Sanktionen drohten. Ein starker Moment. Doch kurz darauf war bei Trump keine Rede mehr von Druck und Sanktionen. Die europäische Initiative wirkte wie ein Bluff.
Macht Wadephul den ersten Alleingang?
Es ist auffällig, wie offensiv Wadephul in Belek die Nähe zu den USA sucht. Das klingt schon sehr anders als noch vor wenigen Wochen. „Europa muss jetzt handlungsfähig sein und die USA ersetzen, so gut es eben geht“, hatte Wadephul gesagt, nachdem Trump Ende Februar den ukrainischen Präsidenten vor laufenden Kameras aus dem Weißen Haus geschmissen hatte. Von Ersetzen ist inzwischen – trotz aller weiteren Ausfälle Trumps – nicht mehr die Rede. Ist das reine Strategie, um den US-Präsidenten möglichst lange „im Boot“ zu halten, wie Merz es gerne nennt?
Oder hofft der Transatlantiker wirklich noch auf die Möglichkeit einer verbindlichen Zusammenarbeit mit Trump? „Wir wissen, dass sich unser Verhältnis zu den Vereinigten Staaten im Wandel befindet“, sagte Wadephul bei seiner ersten Rede als Minister im Bundestag. „Es ist in unserem allergrößten Interesse, diese Partnerschaft neu auszutarieren.“ Was das bedeutet, sagte er nicht.
Abgesprochen war Wadephuls Vorstoß nicht, zumindest nicht mit dem Koalitionspartner. Zwar steht im Koalitionsvertrag, dass sich Schwarz-Rot an die Fähigkeitsziele der Nato halten werde – aber dass sich der Außenminister für eine drastische Erhöhung stark machen soll, das steht da nicht. In Deutschland lagen die Verteidigungsausgaben bislang bei etwa 2 Prozent. Nach Angaben von Merz würde jeder Prozentpunkt mehr ein Plus von etwa 45 Milliarden Euro bedeuten. Fünf Prozent entsprächen demnach 225 Milliarden Euro, jedes Jahr. Eine gigantische Summe. Zum Vergleich: Der gesamte Bundeshaushalts 2024 belief sich auf rund 466 Milliarden Euro. Eine Finanzierung ist dank der Reform der Schuldenbremse zwar möglich – schnell aber häufte sich auch ein riesiger Schuldenberg an.
Rückkehr der Ampel-Dynamik
Kritik kam umgehend nicht nur von der Opposition, sondern auch von der SPD. Wadephul wird noch Überzeugungsarbeit leisten müssen: Der Vorstoß muss vom Kabinett und auch vom Bundestag beschlossen werden. Das ist nicht ohne Risiko.
Am Abend fällt auch noch der Kanzler seinem Minister in den Rücken. Im Fernsehen versucht Friedrich Merz, die Debatte einzukassieren. Die Diskussion über Prozentzahlen sei eine „Hilfskonstruktion“, sagt er in der Polit-Talkshow „Maybrit Illner“. Besser solle es um konkrete militärische Fähigkeiten gehen. „Wir müssen die Fähigkeit entwickeln, den europäischen Kontinent aus eigener Kraft heraus verteidigen zu können“, so der Kanzler. Auf die 5-Prozent-Forderung Trumps geht Merz nicht ein, auch nicht auf seinen Außenminister Johann Wadephul. Das klingt fast ein bisschen nach der Dynamik der Ampel.
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