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Wachsender Rechtspopulismus in JapanSündenböcke für mehr Verkehrsunfälle und steigende Preise

Im Wahlkampf wird in Japan Stimmung gemacht gegen Migranten und ausländische Touristen. Die Regierungspartei ist dabei, weil sie sonst Verluste befürchtet.

Japans Premierminister Shigeru Ishiba im Wahlkampf vergangenen Samstag in Tokio Foto: Yoshio Tsunoda/imago

Tokio taz | Erstmals zählt jetzt in Japan bei einer landesweiten Wahl die Zuwanderung zu den Hauptthemen. Junge rechtspopulistische Parteien hetzen gegen Arbeitsmigranten. Vor der Oberhauswahl am 20. Juli beschreibt Takashi Tachibana, Chef der NHK-Partei, „Ansammlungen von Schwarzen oder Muslimen vor einem Bahnhof“ als „beängstigend“.

Die Sansei-Partei findet mit dem Slogan „Japaner zuerst“ Anklang. Schon bei Tokios Lokalwahl im Juni errang sie aus dem Stand drei Sitze.

Die konservative Regierungspartei LDP schlägt mit Forderungen wie „Null illegale Ausländer“ und „Achtung der japanischen Kultur und Bräuche“ in dieselbe Kerbe. „Kleinparteien, die in Migrationsfragen rechts der LDP stehen, könnten die konservativen Wähler spalten“, meint Jeffrey Hall, Politologe an der Kanda University of International Studies in Chiba. Falls die Minderheitsregierung aus LDP und Komei-Partei im Oberhaus die Mehrheit verliert, könnte Premierminister Shigeru Ishiba zurücktreten.

Mehr Migranten und Touristen verunsichern Japaner

Der neue Wahlkampffokus überrascht, da nur 3 Prozent der Bevölkerung Ausländer sind. Doch ihre rasche Zunahme befeuert rechte Parteien. Im Vorjahr stieg die Zahl der Ausländer in Japan um fast 11 Prozent auf 3,8 Millionen, die der ausländischen Touristen um 40 Prozent auf 37 Millionen.

Dabei spielen Nachholeffekte nach der Pandemie eine Rolle. Auch öffnete die Regierung weitere Branchen für ausländische Arbeitskräfte, da Japan wegen seiner alternden Bevölkerung Arbeitskräfte fehlen.

Parallel wachsen Abstiegsängste. Denn die Rückkehr der Inflation nach zwei Jahrzehnten schmälert die Kaufkraft. Erhöhte US-Importzölle gefährden Arbeitsplätze, besonders in der Autoindustrie.

Diese Zutaten nutzen Influencer für ausländerfeindliche Kampagnen. Bloggerin Megumi Hayashibara warnte, Japanern könnte es ergehen „wie einheimischen Flusskrebsen, deren Lebensraum durch invasive Arten bedroht“ wird.

Der umstrittene Internetunternehmer Hiroyuki Nishimura veröffentlicht You­tube­videos mit Titeln wie „Japan wird nicht länger ein Land für Japaner sein“ für seine 1,6 Millionen Follower.

Auch Medien machen Stimmung gegen Ausländer

Auch große Zeitungen und TV-Sender, denen Leser und Zuschauer weglaufen, berichten verstärkt über negative Seiten der Zuwanderung, wie Missbrauch der Krankenversicherung, mehr Verkehrsunfälle und steigende Hotelpreise.

Umfragen zufolge haben mehr Japaner das Gefühl, Ausländer störten die soziale Harmonie. Sie trennten den Müll nicht und telefonierten laut im öffentlichen Nahverkehr. „Die rechten Kleinparteien greifen dieses Unbehagen und seinen Einfluss auf das Sicherheitsgefühl auf“, schreibt Japan-Analyst Javier Delgado.

Premier Ishiba reagierte darauf mit den Forderungen, Ausländer müssten die Gesetze beachten und die „nervig komplizierte japanische Sprache und Gepflogenheiten lernen, selbst wenn es den Staat Geld kostet“.

Inzwischen beschloss seine Regierung erste restriktive Maßnahmen. Behörden verlängern Aufenthaltsvisa nur noch, wenn alle Beiträge zur Renten- und Krankenversicherung bezahlt sind. Wer Ausländer einstellt, muss ihre Beitragszahlungen nachweisen. Touristen mit unbezahlten Arztrechnungen dürfen nicht wieder einreisen. Auch die Einbürgerung und die Umwandlung eines ausländischen in einen japanischen Führerschein sollen erschwert werden.

Als Reaktion auf die gestiegene Einwanderung wohlhabender Chinesen überlegt die Regierung, deren Käufe von Immobilien künftig einzuschränken.

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7 Kommentare

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  • Im Frühjahr war ich in Japan.

    Großraum Kansai, vorwiegend Kyoto mit seinen 19 Unesco-Weltkulturerbestätten.

    So entspannend! Züge, die pünktlich fahren, bei einem sicheren Gefühl unterwegs, was sich in der Stadt fortsetzt.

    Die Zahl der polizeilich erfassten Straftaten in Deutschland lag im Jahr 2023 bei 5.940.667. Laut Daten der japanischen Polizei gab es 2023 insgesamt 703.351 gemeldete Straftaten.



    Japan hat 120 Millionen Einwohner, Deutschland 80 Millionen.



    Über 90 Prozent weniger Kriminalität in Japan. Japan bietet ein hohes Sicherheitsgefühl und sehr viel Freundlichkeit.

    Vor allem einen phantastischen kulturellen Level. Japan ist mit seinm Zen-Buddhismus kulturelle Weltspitze. Das kann man sich nicht verhunzen lassen.

    Diese riesigen Zen-Anlagen stehen Tag und Nacht offen. Das geht nur, wenn das Vertrauen in die Bevölkerung groß ist, dass dort nichts zerstört, beschmiert oder verdreckt wird.

    In Deutschland unmöglich.

    Kommt man zurück nach Deutschland erwartet einen ein Kulturschock, und man sieht auf Anhieb wie weit die Selbstzerstörung hier schon fortgeschritten ist.

    Deutschland kann Japan als warnendes Beispiel dienen.

  • Auch Japan wird sich überlegen müssen, ob man lieber genug Arbeitskräfte hat oder Ruhe im ÖPNV.



    Scherz beiseite: Abstiegsängste (individuell wie national), soziale Vulnerabilität, Inflation und zu lange aufgeschobene Reformen in puncto Migration, aber auch Gleichstellung und Bildung - und das alles im Kontext derselben Multikrise (politisch, ökonomisch, ökologisch, demographisch), die alle reifen Ökonomien trifft, bilden einen furchtbar fruchtbaren Nährgrund für die Rechte.

  • "Behörden verlängern Aufenthaltsvisa nur noch, wenn alle Beiträge zur Renten- und Krankenversicherung bezahlt sind. Wer Ausländer einstellt, muss ihre Beitragszahlungen nachweisen. Touristen mit unbezahlten Arztrechnungen dürfen nicht wieder einreisen"

    Was ist daran restriktiv, und restriktiv ist hier ja durchaus negativ konnotiert. Ich finde das konsequent und folgerichtig

  • Woher kommt mir das nur bekannt vor...

    • @Markus Schäfer:

      Ja, in Ungarn, Polen, Dänemark, Italien, Schweden, Österreich, USA und, und.. geht es ähnlicher zu.

      Aber auch Deutschland.

      www.handelsblatt.c...sen/100098815.html



      Migration



      Habeck über Syrer – Wer nicht arbeitet, wird gehen müssen

  • Völlig irrational diese Angst.

    Megumi Hayashibara vergleicht Ausländer mit invasiven Arten, was hochgradig rassistisch ist, weil Menschen aus anderen Ländern nicht als Menschen angesehen werden, sondern als artfremd.

    Hiroyuki Nishimura muss auch sein Statement überdenken. Japan soll nicht für Japaner sein, weil Länder gehören entweder allen Menschen oder keinem. Jeder Mensch soll das Recht haben, die Kultur eines anderen Landes kennenzulernen, bevorzugt selbstverständlich per Segelschiff statt Flugzeug.

    Mülltrennung und laut sein im ÖPNV, das stimmt, ist aber eine Eigenart der Weißen Touristen der ersten Welt. Bevorzugt Amerikaner, weil die sich denken, mit ihrer Hautfarbe und ihrer Herkunft können die sich alles erlauben.

    Menschen aus Ländern, die in der Vergangenheit imperialistisch unterdrückt wurden, machen aber keinen negativen Eindruck, sondern wollen einfach nur weg aus ihrem Elend. Japan sollte diese Menschen bedingungslos unterstützen, um demografische Probleme in den Griff zu kriegen.

    • @Troll Eulenspiegel:

      "... ist aber eine Eigenart der Weißen Touristen der ersten Welt. Bevorzugt Amerikaner, weil die sich denken, mit ihrer Hautfarbe und ihrer Herkunft können die sich alles erlauben. ..." Ähnliches hört man auch über Deutsche, Briten, Russen etc. als Touristen.